Beratungstheorie - Menschenbilder: Unterschied zwischen den Versionen
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* '''Reserven''' bilden, indem die Leistung heruntergefahren wird.<br> | * '''Reserven''' bilden, indem die Leistung heruntergefahren wird.<br> | ||
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<u>Nachteil</u>: Reserven kosten Ressourcen und bremsen das System aus | <u>Nachteil</u>: Reserven kosten Ressourcen und bremsen das System aus | ||
* '''Unabhängige Teilstrukturen''' (Projektgruppen, Abteilungen mit jeweils einem einzigen klaren Ziel) | * '''Unabhängige Teilstrukturen''' (Projektgruppen, Abteilungen mit jeweils einem einzigen klaren Ziel) schaffen.<br> | ||
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<u>Nachteil</u>: mehr Bindung an die Teilgruppe als an das Unternehmen, parallele Kosten | <u>Nachteil</u>: mehr Bindung an die Teilgruppe als an das Unternehmen, parallele Kosten | ||
* Ein '''vertikales Informationssystem''' | * Ein '''vertikales Informationssystem''' installieren.<br> | ||
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<u>Nachteil</u>: „up to date“ sein kostet Ressourcen, Anforderungen an die Mitarbeiter, oftmals Verweigerung/ Sabotage durch inkonsequente, unvollständige Nutzung | <u>Nachteil</u>: „up to date“ sein kostet Ressourcen, Anforderungen an die Mitarbeiter*innen, oftmals Verweigerung/ Sabotage durch inkonsequente, unvollständige Nutzung | ||
* | * laterale Beziehungen, also '''Kollegialbeziehungen''' in der Belegschaft und deren Austausch fördern und stützen.<br> | ||
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<u>Nachteil</u>: zeitliche und lokale Räume kosten Ressourcen, Effizienzfragen tauchen auf, Konfliktpotential entsteht erst dadurch vermehrt. | <u>Nachteil</u>: zeitliche und lokale Räume kosten Ressourcen, Effizienzfragen tauchen auf, Konfliktpotential entsteht erst dadurch vermehrt. | ||
Über verschiedene Systeme der Belohnung, Bestrafung, Anreize, aber auch über Identifikation, Involvement oder Akzeptanz beeinflusst die Organisation und damit die Führung das Verhalten der Mitarbeiter*innen (siehe '''Abbildung 4).''' | Über verschiedene Systeme der Belohnung, Bestrafung, Anreize, aber auch über Identifikation, Involvement oder Akzeptanz beeinflusst die Organisation und damit die Führung das Verhalten der Mitarbeiter*innen (siehe '''Abbildung 4).''' | ||
[[Datei:MN425.PNG|Abbildung 4: Wirkfaktoren auf das organisationale Verhalten (Galbraith, 1977, S.359, zitiert nach Kirchler, 2005, S.139)]]Erklärung: Geteilte Zellen: linke Zelle bezeichnet den Einfluss auf das Verhalten innerhalb der Gruppe, die rechte Zelle zwischen den Gruppen. | |||
Erklärung: Geteilte Zellen: linke Zelle bezeichnet den Einfluss auf das Verhalten innerhalb der Gruppe, die rechte Zelle zwischen den Gruppen. | |||
<span id="_Ref248823529" class="anchor"></span>Abbildung 4: Wirkfaktoren auf das organisationale Verhalten (Galbraith, 1977, S.359, zitiert nach Kirchler, 2005, S.139) | <span id="_Ref248823529" class="anchor"></span>Abbildung 4: Wirkfaktoren auf das organisationale Verhalten (Galbraith, 1977, S.359, zitiert nach Kirchler, 2005, S.139) | ||
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[[Datei:MN425 4.PNG|KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) als PDCA Zyklus (plan-do-check-act)]] | [[Datei:MN425 4.PNG|KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) als PDCA Zyklus (plan-do-check-act)]] | ||
==== Die lernende Organisation <ref>Argyris & Schön (1996) siehe 2006; Senge (1990), siehe 2001</ref> | ==== Die lernende Organisation <ref>Argyris & Schön (1996) siehe 2006; Senge (1990), siehe 2001</ref> ==== | ||
Wie in den vorigen Kapiteln unschwer zu erkennen, geht es in einer überaus komplexen und dynamischen Welt zunehmend um das fortwährende Lernen: Das '''individuelle Lernen und die Lernprozesse der gesamten Organisation gehen ineinander über'''. | Wie in den vorigen Kapiteln unschwer zu erkennen, geht es in einer überaus komplexen und dynamischen Welt zunehmend um das fortwährende Lernen: Das '''individuelle Lernen und die Lernprozesse der gesamten Organisation gehen ineinander über'''. |
Version vom 19. Jänner 2022, 08:58 Uhr
Menschenbilder
Metamodelle hinter Beratungstheorien, aber auch hinter Führungstheorien sind letztlich auch immer vom Menschenbild geprägt, bzw. prägen Metamodelle (wie wir in die Welt blicken) das jeweilige Menschenbild.
Menschenbilder durchwirken unsere Wahrnehmung, unser Denken, unser Handeln: und damit maßgeblich unsere Wirtschaft, die jeweiligen Unternehmungen, und damit auch die Beratungsansätze. In diesem Heft findet keine tiefgehende historische Betrachtung statt, wie sich das Menschenbild in der Wirtschaft (und Gesellschaft) über die Jahrzehnte entwickelt hat. Ein Einblick soll jedoch auch hier den wertvollen Rahmen für Beratungstheorien bieten, denn diese fußen stets auch in unterschiedlichen Menschenbildern oder in Mischformen von Menschenbildern.
Zugleich zeigt sich in der alltäglichen Beratungspraxis, dass insbesondere die Berater*innenhaltung, die Wertmaßstäbe im Hintergrund DIE ausschlaggebende Ausrichtung geben und die konkreten aktuellen Entscheidungen und Aktivitäten bestimmen.
Im Folgenden betrachten wir einige Menschenbilder und Organisationstheorien, die historisch entstanden (Hinweis: auch Führungstheorien stammen aus dieser Entwicklung).
Wir gehen dabei einer ungefähren Zeitachse entlang vor:
- Homo Oeconomicus (1900er-1930er Jahre),
- Social Man (1930er-1960er Jahre),
- Self actualizing Man (1950er-1970er Jahre),
- Complex Man (1980er Jahre) und
- (post)moderne Ansätze (1990er Jahre bis heute) führen uns bis in die Gegenwart herauf.
Die Menschenbilder entwickelten sich nicht immer genau historisch hintereinander. Die jeweiligen Menschenbilder und Organisationstheorien waren zum Teil auch zeitgleich im Diskurs, oder sind heute noch aktuell – und bilden damit Teile der Landschaft, in denen sich Beratung bewegt oder Beratung selbst bewegt wird.
Für eine vertiefte Befassung mit Menschenbildern und Organisationstheorien darf ich Sie auf Fachliteratur, insbesondere auf das hervorragende Werk von Kirchler (2005) hinweisen. Von diesem ausgehend holte sich der Autor immer wieder einige maßgebliche Impulse zur Recherche und Inhalte in Bezug auf die Menschenbilder.
Zu diesem Zweck werden wir eine teils stichwortartige, teils tabellarische Skizzierung der Menschenbilder vornehmen und anschließend jeweils einige relevante Organisationstheorien kennen lernen.
Homo Oeconomicus
Dieses Menschenbild geht auf Ausführungen von Adam Smith und Thomas Malthus zurück.
Folgende Parameter kennzeichnen die Sicht auf den arbeitenden Menschen und dessen Umgebung:
knappe Ressourcen
rationale Entscheidungen
egoistische Nutzenmaximierung und Kostenminimierung
fiktiver Durchschnittsmensch:
verantwortungsscheu
monetär motivierbar
zweckrational
Gewinnmaximierer*in und Nutzenmaximierer*in
Sie/Er agiert im Rahmen voller Markttransparenz und mit wirtschaftlicher Voraussicht, hoher Reaktionsgeschwindigkeit und im Rahmen stabiler, linearer, unabhängiger Bedürfnisse (siehe Rosenstiel).
Im Rahmen des homo oeconomicus sprechen wir vor allem von Taylorismus/Scientific Management, von Psychotechnik, von Münsterberg, von „Klassischen Organisationstheorien“.
Frederick Winslow Taylor
Auf diesen Wirtschaftsforscher geht der Begriff des Taylorismus und damit des „scientific managements“ zurück. Siehe hierzu weiter unten mehr.
Hugo von Münsterberg
Zeigte sich besorgt über die kritiklose Übersteigerung des Taylorismus. Er brachte die Erkenntnisse der Experimentalpsychologie Wilhelm Wundts vor allem in die Eignungsverfahren und Personalauslese herein. Damit setze er die „Psychotechnik“ von Wilhelm Stern im industriellen Bereich ein. Zentrale Fragen wurden darum neben der Selektion von Personal auch die Schulung von Mitarbeiter*innen - basierend auf der Erforschung von Ermüdungseffekten, Arbeitszeiten, Pauseneffekten und dergleichen.
Letztlich galt die industrielle Psychotechnik von Münsterberg dem Versuch, der fortschreitenden Entmenschlichung der Arbeit einen Riegel vorzuschieben. Arbeit steht nicht nur für Anstrengung und Mühsal, sondern bewirkt auch individuelle Entwicklung und Sinnschöpfung im Leben [1] .
Auf Willy Hellpach geht aus dieser Zeit zurück, dass man auf Gruppenfabrikation umstieg: waren vorher etwa alle Dreher*innen in einem Bereich untergebracht und tätig, und mussten die Werkstücke stets an solche Arbeitsstationen zurückkehren, so unterteilte man jetzt in Arbeitsgruppen, die sich der Gesamterstellung eines Werkstückes widmeten (etwa der Herstellung einer Pumpe).
Klassische Organisationstheorien
Grundanliegen dieser Ansätze der 1920er bis 1930er Jahre war, in optimaler Weise die Umweltbedingungen der Organisation anzupassen, damit diese erfolgreich arbeiten kann.
Frederick Winslow Taylor – wissenschaftliche Betriebsführung
Ausgehend von einem mechanistischen Menschenbild und der Hervorhebung wissenschaftlicher Methoden auch im Arbeitsbereich werden Arbeitsschritte zerlegt, und Prozesse, Werkzeuge sowie Menschen und deren Arbeitshandlungen einer Optimierung zugeführt: die Auswahl und Schulung der (körperlich) bestgeeigneten Arbeiter*innen ging hier etwa so weit, dass auch die Proportionen von Gliedmaßen für bestimmte Arbeitsschritte als maßgeblich angesehen und erhoben wurden. Zeit- und Bewegungsstudien erbrachten den „one best way“, durch den die ineffiziente Arbeitsmaschine Mensch optimal aufgestellt und ausgerichtet werden sollte. Finanzielle Anreizsysteme sind hier dem Menschenbild folgend wesentlich, da Arbeitskräfte stets ihren Nutzen maximieren wollen.
Kennzeichnend für Scientific Management ist:
- Es gibt klare Hierarchien
- Man arbeitet stark spezialisiert
- Führungskräfte beaufsichtigen und kontrollieren Mitarbeiter*innen in direkter Weise
- Es gibt Entscheider*innen und ausführende Organe
- extreme Zentralisierung
Administrative Theorie von Fayol
Fayol widmete sich dem Ziel, die (betriebliche) Organisation in ihrer Gesamtheit zu optimieren. Einige Anzeichen dieser Organisationstheorie finden sich heute noch in bürokratischen, administrationslastigen Systemen wieder. Hierzu skizzierte er folgende Kennzeichen:
- Starke Autoritätsstruktur
- Neu: starke Arbeitsteilung in inhaltlich definierten Gruppen (Schreiber*innen, Archivar*innen)
- direkte Kontrolle der Mitarbeiter*innen
- Es gibt Entscheider*innen und ausführende Organe
- Neu: Untergebene dürfen Eigeninitiative entwickeln, wenn diese mit den Organisationszielen konform geht.
Gulick [2] formulierte in Anlehnung an die administrative Theorie die Aufgaben des Managements unter dem Kürzel „POSDCORB“: planning, organizing, staffing, directing, coordinating, reporting, budgeting. Nach dieser Legende orientieren sich bewusst oder unbewusst auch heute noch viele Führungskräfte in deren Selbstorganisation. Auch in Assessment- und Development-Centers findet dieses Schema explizit in Übungen Anwendung, um unterschiedliche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Potentiale der Kandidat*innen zu bemessen.
Bürokratiemodell von Weber
Ziel dieses Modells war und ist in Organisationen Ordnung zu schaffen, ein System hinein zu bringen, Rationalität und Uniformität zu gewährleisten, und dabei konsistent zu sein. Gefallen Ihnen diese Ziele, so wie den meisten Menschen auf den ersten Blick?
Nun, willkommen damit auch im Modell der „formalistischen Unpersönlichkeit“. Eine humorvolle Darstellung hierzu finden Sie bei „Asterix und Obelix“ von Uderzo (Das Verrücktenhaus aus "Asterix erobert Rom" - Passierschein A 38; http://www.youtube.com/watch?v=lIiUR2gV0xk). In diesem Filmschnitt wird leicht ersichtlich, dass hier die operativen Regeln übersteuert sind, das Regelwerk inflationär wird, es zu eigenen sprachlichen (Amts)dialekten kommt; Prozesse sind starr und eng und von schriftlichen Routinen und Kontrollen geprägt.
Folgende Prinzipien sind kennzeichnend:
- Es gibt feste offizielle Bereiche mit Ablaufregeln
- Hierarchie ist Ausdruck einer Autoritätsbeziehung
- geschriebene Dokumente
- Führungskräfte sind formale Fachexpert*innen
- Es sind keine inoffiziellen Aufgaben erlaubt
- Es gelten generelle Regeln, keine Ausnahmen
Letztlich haben wir hier den Prototyp einer Beamt*innenorganisation vor Augen, mit all ihren Vorzügen und Nachteilen (Entlassungsschutz aber auch Uniformierung und Austauschbarkeit, formalisierte Verantwortung und damit Verantwortungsverschiebung, etc.).
Social Man
Mehrere Faktoren lösten das damalige Menschenbild von der rein ökonomisch-mechanistischen Sichtweise und brachten (nach Versuchen von Münsterberg) endgültig den Durchbruch zu mehr Menschennähe: es waren dies die Hawthorne Studien und die Human Relations Bewegung. Hinzu kam der zunehmende Druck am Markt und die mittlerweile erstarkte Bewegung der Gewerkschaft!
Im Rahmen der sogenannten Hawthorne Studien erforschten Mayo, Roethlisberger und Dickson beim Unternehmen Western Electric, wie sich Umweltbedingungen auf die Leistung, Gesundheit und auf das Verhalten der Arbeiter*innenschaft auswirken. Dies geschah also ganz im Sinne der Psychotechnik und somit des homo oeconomicus. Hierbei kamen sie allerdings darauf, dass die Befragung an sich ständige positive Veränderungen hervorbrachte, weil man sich den Mitarbeiter*innen sozial zuwandte und sie (zu Forschungszwecken) wahrnahm. Die Human Relations- Bewegung fußt in einer Reihe von Forschungsarbeiten (zum Teil zu leadership [3] oder zu Gruppendynamik [4] ), die darauf hinwiesen, dass die Gruppe einen wesentlichen Faktor für das „soziale Tier“ Mensch darstellt und neben formalen Rahmenbedingungen eine differenzierte soziale Ordnung auch im Unternehmen relevant sind.
„Social man“ wendet sich nach einer Sinnentleerung der Alltagsarbeit dem Menschen in seiner sozialen Dimension zu: unsere Identität, unseren Willen und unsere Zugehörigkeit und damit unsere Bindung schöpfen wir aus unseren Beziehungen (siehe Weinert). Wir kommunizieren miteinander, entscheiden und handeln/ arbeiten gemeinsam, wir richten uns nach informellen Regeln des Miteinanders. Damit rückt auch die Leistung der Gruppe und das Betriebsklima in den Brennpunkt. Nach Schein [5] kümmern sich Führungskräfte gemäß dem Menschenbild des Social man demnach darum, dass Kommunikation stattfinden kann, Untergebene sich wohlfühlen, zufrieden sind, dass Mitarbeiter*innen „dazu gehören“ und sich in die Arbeitsgruppe integrieren; letztlich sind sie Sprachrohr zwischen Arbeiter*innenschaft und Führung.
Der Ansatz des Soziotoechnischen Systems weiter unten baut bereits auf der Kritik an der Human Relations-Bewegung auf: das soziale System ist relevant, aber es kann diesem nicht die zentrale, alleinige Rolle und Aufmerksamkeit zukommen. Das technische System samt Aufbau- und Ablauforganisation leistet einen ebenso relevanten Beitrag.
Organisationstheorie I: Partizipative Theorie von Likert
Mit dieser Theorie wollte Likert den Schwächen bisheriger klassischer Organisationsformen (und Theorien) entgegensteuern. Bisherige Theorien waren gekennzeichnet von wenig Entscheidungsgewalt, wenig Transparenz, starker Kontrolle, und von kurzfristig angelegter Motivation aus Angst vor Strafe. Dies führte erfahrungsgemäß zu sehr kurzer Leistungssteigerung und zu zunehmenden Fehlzeiten und Fluktuation im Personalstand.
Diese Theorie entstand also im Anliegen, Gruppenprozesse im Unternehmensfeld zu optimieren, indem man auf Partizipation, also Teilnahme an Entscheidungen setzte. Hierzu überlegte sich Likert, welche Gruppensysteme es denn so gäbe, und kam auf 4 Systeme: das ausbeutend autoritäre (salopp industrielle Diktatur und Ausbeutung), das wohlwollend autoritäre (salopp das patriarchalische Familienunternehmen), das beratende (Beraterunternehmen) und das Gruppensystem.
Das Gruppensystem ist gekennzeichnet durch:
flache Hierarchien
personenzentriert unterstützend
gruppenzentriert agieren, Verantwortung ist wichtig
Arbeitsteams mit durchschnittlicher Spezialisierung bilden
selber Wege und Ziele definieren lassen
limitierte Jobrotation einführen
keine direkte Kontrolle sondern Ermutigung zur Entscheidung
Führung koordiniert, ist nicht mehr ein vis-á-vis zu Ausführenden
starke Dezentralisierung
Organisationstheorie II: Organisation als „Offene Systeme“
„Kooperative Systeme“
Chester Barnard dachte über Organisationen nach und fand, dass diese zum einen soziale Systeme sind, die aus Handlungen zweier oder mehrerer Personen bestehen. Zum anderen sind Organisationen (also auch Unternehmen) natürliche Systeme, deren Kernziel und Grundbedürfnis das eigene Überleben ist – und nicht die Organisationsziele.
Letztlich zeichnet er Organisationen auch als kooperative Systeme: verändert sich/man ein Element im System, so kommt es zwangsdringlich zur Anpassung aller anderen Elemente. Kooperative Systeme stehen in einer wechselseitigen Abhängigkeit mit externen Systemen (etwa ein Unternehmen mit seinen Lieferant*innen, mit der wirtschaftspolitischen Situation, mit dem Zeitgeist etc.). Darum wird es wesentlich sein, die Organisation an den individuellen Reifegrad der Mitarbeiter*innen anzupassen. Das beste Design kann nicht wirken, wenn die Einzelnen nicht dabei sind. Unternehmen werden sich darum kümmern, was in der Umwelt und in der Innenwelt der Firma geschieht, welchen Veränderungen man sich anpassen muss, wo man mitwachsen, entgegenwachsen muss. Informelle Bereiche sind besonders wichtig, hier werden Vorboten von Veränderungen spürbar, hier werden Anpassungen eingeleitet (stellen Sie sich vor, wie über die vielen kurzen Treffen beim Kaffeautomat im Betrieb oder bei der Anfahrt zur Arbeit neue Meinungen entstehen, Trends aufkommen, wo „wir stehen, hin müssen, was geschehen sollte, von wem es abhängt, was auf welches Team wie wirkt“ etc.).
Was kennzeichnet nun eine Organisation im Sinne des kooperativen Systems?
- Autorität wird in einem bestimmten Bereich akzeptiert, wo persönliche Vorteile und die Gruppeneinstellung dadurch gestützt werden
- hohe Hierarchien & klare Linien
- hohe Spezialisierung der organisatorischen Einheit
- direkte, enge Kontrolle von kleinen Gruppen
- Führungskräfte und Berater*innen glänzen als Generalist*innen
- Zentralisiert, es wird top-down gewirkt
Organisationsmodell als offenes, soziales System
Über die Sichtweise kooperativer Systeme und deren Wechselbeziehungen zu externen Systemen hinaus geht Katz (und Kahn) mit der „offenen Systemtheorie“. Diese bringt Soziale Systeme (siehe oben) und das Individuum (aus Sicht der Individualpsychologie) zusammen. Damit setzt sich ein Unternehmen aus den wesentlichen Individuen zusammen, und darüber hinaus ist die Gesamtheit nicht nur die Summe ihrer (individuellen) Teile: als soziales nach außen offenes System steigt die Komplexität, aber auch der Zusatzwert enorm an. In möglichst einfacher Form versucht man nun, die Komplexität von offenen, sozialen Systemen zu beschreiben, etwa durch „input“ - „throughput“ - „output“. Wobei die Frage entsteht, wie kann so etwas effektiv(er) sein, und wie sind die Rollen in diesem System verteilt, oder wie sollten sie es sein, um als Unternehmen erfolgreich zu sein. Dies kann man sich gut anhand einer prototypischen Entwicklung einer Firma vorstellen, die sich in ihren Systemen stetig ausdifferenzieren wird und damit auch stetig Rollen ausreift:
Im Laufe der Entwicklung eines Unternehmens (Organisation), wird zu allererst das technisch-produktive System entstehen – es muss vorerst mal etwas produziert werden. Erst auf dieser Basis entstehen der Bedarf und der Raum für unterstützende Systeme (wie Einkauf, Verkauf). Infolgedessen wird es nötig werden, ein Managementsystem auszuformen, das sich der internen Optimierung, den aufrechterhaltenden Systemen wie PR und HR widmet. Zu allerletzt werden adaptive Systeme wertvoll und auch wesentlich für die weitere erfolgreiche Entwicklung, etwa Marktforschung, Entwicklung und Forschung, und – Beratung!
Offene soziale Systeme sind gekennzeichnet durch:
- Arbeitsteilung und Spezialisierung (sonst gibt es keine Rollen)
- Führung überwacht die Erfüllung der Rollen, sanktioniert
- Hierarchien erlauben Effizienz, dort wo es sehr dynamisch ist kommen auch demokratische Prozesse ins Spiel
- Gleichgestellte Mitarbeiter*innen/ „buddies“ leisten sogenannte kollegiale Kontrolle
- dezentralisierte Entscheidungen
Wenn Sie jemals in einer Firma beschäftigt waren, die von Null auf entstand und sich entwickelte, können Sie diese abstrakte Beschreibung sicher gut mit Erfahrungsbildern ausschmücken, und werden jetzt wahrscheinlich dazu fügen: „wir haben immer wieder sehr darum gefochten, wie wir unsere Rollen (siehe Abbildung 2) neu ausrichten, differenzieren, und vor allem – wie wir diese jeder für sich auslegt, auslebt, interpretiert. Etwa als Teamkolleg*in plötzlich eine Führungsrolle zu übernehmen, das schuf Konflikte: es musste geklärt werden, welche Erwartungen da sind, welche Rollen einander widersprechen, was wie gemeint ist und wie es ankommt. Und es musste immer wieder im Laufe des Wachstums neu geklärt werden, wo klare Führungsansagen gut sind, und wo es Räume für gemeinsame Entscheidungen braucht. Letztlich irritierte uns immer wieder, dass die einen zu dicht dran waren, um entscheiden zu können, und die anderen zu weit entfert, um überhaupt mitreden zu können“.
Soziotechnisches System
Forscher wie Trist, Bamforth, Rice, Emery und Thorsrude werden Sie auch als „Tavistock Gruppe“ finden. Diese spielten die obigen Ansätze weiter, und unterstrichen den wechselseitigen Einfluss des technischen und des sozialen Systems in Unternehmen. Ihre Erkenntnisse gewann die Gruppe aus Studien und Beratungstätigkeiten rund um den englischen Bergbau und um Umstellungen in der Schichtarbeit sowie deren Auswirkungen auf die Menschen und auf Erfolgsfaktoren.
- Flache Hierarchie
- Generalist*innen - Arbeitsteilung als ultima ratio
- Dezentrale Entscheidungen
Die Grundidee besteht darin, dass Mitarbeiter*innen Generalist*innen sein sollten, also alle Aufgaben ausführen können und in selbstgeführten Gruppen zusammen arbeiten, wie es dem menschlichen Sozialverhalten entspricht. Demokratie bildet die Basis der Zusammenarbeit und Selbstregulierung im Team, die Organisation gibt nur den Rahmen dafür vor. Im Wesentlichen können Sie sich sicher gut vorstellen, dass dies stimmig ist, wenn sehr komplexe Aufgaben in einem einfachen System zu leisten sind. Da alle an allem arbeiten (können), wird man sich auch sehr zur Sache bekunden, an allem interessiert sein, wenig Information verloren gehen, wenngleich der Aufwand beträchtlich ist.
Als Hinweis darauf, wie lange solche Menschenbilder und Theorien nachwirken: noch in den späten 1960er Jahren gab es in Norwegen ein Programm der „industriellen Demokratie“, demzufolge man die Erfolge durch soziotechnische Gestaltung zu heben versuchte, und teilweise auch schaffte. Erst in den 1980er Jahren erreichten die „Ausläufer“ der soziotechnischen Systemtheorie die Werkhallen Europas, als es die ersten teilautonomen Arbeitsgruppen gab. Ein zentraler Faktor ist bis heute, dass man sich nicht daran gewöhnen kann, auf ein Stück Kontrolle im Unternehmen zu verzichten.
Self Actualizing Man
In diesem Menschenbild wird – quasi als Folge oder Gegenbewegung zum Social Man – nicht mehr so stark auf die Gruppe fokussiert, sondern auf den Einzelnen. Arbeit soll humanisiert werden, indem man die individuellen, vielfältigen Bedürfnisse, Fähigkeiten ins Zentrum stellt und der optimalen Bewirtschaftung zuführt. Die heutigen Schlagworte von Selbstverwirklichung und Autonomie gehen auf dieses Menschenbild zurück.
Den gesellschaftlichen Hintergrund können wir aus heutiger Sicht in den vielen Streiks der späten 1960er und 1970er Jahre sehen: die arbeitenden Menschen waren in einer noch immer sehr tayloristisch getakteten Arbeitswelt unzufrieden, unglücklich und auch krank geworden. Arbeitskräfte wechselten häufiger ihre Arbeitgeber*innen, die Firmen hatten mit Fluktuation und Qualitätseinbußen zu kämpfen. Die Ansätze des „Social Man“ waren zwar gut und hilfreich, aber zumeist für die vor allem produzierende, industrielle Wirtschaft keine umsetzbare Lösung. Der „Umweg“ über die Gruppe gemäß dem Social man ist schwer umsetzbar, betrieblich sehr oft schwer darzustellen und zu evaluieren. Mit dem Akzent auf der persönlichen Weiterentwicklung aller Mitarbeiter*innen fand man jedoch betrieblich geeignetere Ziele und Methoden, die auch tagesaktuelle brennende Unzufriedenheit in den Belegschaften begegnen, entkräften half.
Was steht im Zentrum des Self actualizing man (Weinert):
- „Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ (Bert Brecht): zuerst Basisbedürfnisse beachten, dann Sinnbedürfnis und Selbstverwirklichung
- Mitarbeiter*innen sind „reif“ und in einem bestimmten Maße auch flexibel. Sie reifen durch autonome Entscheidungen und durch längerfristige Entwicklungsmöglichkeiten.
- Menschen sind in erster Linie intrinsisch (also aus sich heraus, aus der Sache heraus) motiviert, externe Motivation bremst dies eher ein.
- Mitarbeiter*innen versuchen von sich aus, ihre eigenen und die Organisationsziele harmonisch zusammen zu bringen
- Was tut die Führung: anregen, unterstützen, fördern; Autonomie ermöglichen, für vollständige Aufgaben sorgen, professionell die Rolle einer/s Interviewer*in/ Mediator*in/ Katalysator*in ausüben (Schein).
Drei Theorien, die in diesem Menschenbild wurzeln, wollen wir uns – noch vor den Organisationstheorien – kurz annähern. Diese Inhalte sind nämlich zum heutigen Basisrepertoire in den meisten Beratungsformen geworden und zählen zur Grundausstattung jeder beraterischen Ausbildung. Aus dieser Popularität heraus werden wir uns hier mit einer Skizzierung wesentlicher Grundaussagen und ein wenig Illustrierung begnügen.
Bedürfnispyramide nach Maslow
Abraham Maslow war Begründer der humanistischen Psychologie, seine Bedürfnispyramide zählt demnach auch zu den Grundbausteinen humanistisch geprägter Beratung.
Er beschreibt fünf Klassen von Bedürfnissen, wobei die ersten vier als Defizitbedürfnisse nur dann aktiv sind, wenn ein Mangel besteht, und das fünfte als Wachstumsbedürfnis letztlich nicht stillbar ist:
- physiologische Bedürfnisse (Schlaf, Essen, Wärme, Sexualität…)
- Sicherheit (Struktur, Ordnung, Angstfreiheit)
- Soziale Bedürfnisse (Zuneigung, Gruppe, Zugehörigkeit)
- Bedürfnis nach Wertschätzung (Ich/Ego, Macht, Status, Beachtung)
- Selbstverwirklichung /Transzendenz.
Hegen Sie Kritik an dieser Überlegung? Nur zu Recht: an diesem Punkt könnte man nämlich die Grundfesten des Self actualizing verwerfen, wenn dies stimmen würde. Man kann nämlich das eine (ungestillte) Bedürfnis durch die Erfüllung eines anderen kompensieren (zumindest auf Zeit).
Aus der Sicht des Autors dieses Heftes bietet sich als bessere „Brille“ eher die weiterentwickelte Bedürfnistheorie von Alderfer an, die zudem viel einfacher ist:
Menschliche Bedürfnisse sind entweder „existence“, also existenzielle Bedürfnisse, oder „relatedness“, also Beziehungsbedürfnisse, oder „growth“, also Wachstumsbedürfnisse. Und die Aktivierung läuft nach oben und nach unten in gleicher Weise, also in jede Richtung.
Motivations-Hygiene-Theorie oder 2-Faktoren-Theorie
Herzberg, Mausner und Snyderman gingen der menschlichen Motivation im Arbeitsbereich auf den Grund, und fanden dazu zwei unabhängige Dimensionen:
- „Kontext verhindert Unzufriedenheit“
Hygienefaktoren oder Kontextfaktoren: je weniger diese „dissatisfiers“ erfüllt werden, umso mehr lösen diese Unzufriedenheit aus, führen aber nicht zu Zufriedenheit.
Bsp.: Lohn, Arbeitsbedingungen, Prozesse, Modell der Führungskräfte, Klima, Beziehungen, Image (des Berufs, der Abteilung, der Firma, der Branche)…
- „Kontent ermöglicht Zufriedenheit“
Motivatoren, oder Kontentfaktoren: führen zu Zufriedenheit.
Bsp.: Verantwortung, Autonomie, Entwicklungsmöglichkeiten, die Arbeit an sich etc.
Diese Überlegungen führten zum Konzept des „job enrichments“, der psychologischen Anreicherung von Arbeit, damit Menschen zufrieden und motiviert sind, und damit auch nachhaltig sehr gute Leistung bringen.
Neoklassische Organisationstheorie I: Theorie X und Theorie Y
McGregor unterstreicht, dass Führungsstil und -verhalten maßgeblich davon abhängen, welches Menschenbild und damit welche Überzeugungen und Einstellungen, Werte die Führungskräfte pflegen. Dies veranschaulicht er an der Theorie X und Theorie Y, die für zwei nahezu konträre Menschenbilder stehen (siehe Abbildung 3).
- X: Menschen/ Mitarbeiter*innen sind träge, arbeitsscheu, wollen geführt werden, brauchen Kontrolle und Autorität.
- Y: Menschen/ Mitarbeiter*innen sind aktiv, streben nach den Organisationszielen, verfügen über Motivation, Entwicklungspotential, Verantwortungsbereitschaft. Man kann sie am besten durch selbst gesetzte Ziele lenken und motivieren, dies fördert deren Selbstkontrolle und deren Integration in den Betrieb.
Das Führungsverhalten wird demnach das Verhalten der Geführten bedingen: nimmt man Mitarbeiter*innen als verantwortungsscheu und passiv an, wird man strengere Kontrollen und Regulierungen einführen, welche wiederum genau dieses Arbeitsverhalten mitbedingen oder erst hervorbringen werden. Aus Y-Perspektive hingegen geht man unwillkürlich mit Angeboten zu Handlungs- und Gestaltungsspielräumen sowie der Möglichkeit zur Selbstkontrolle auf Mitarbeiter*innen zu, die man für verantwortungsbewusst und proaktiv, initiativ hält. Letztlich kennen wir diese Überlegung heute vom Prinzip der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ her.
Letztlich kann man sehr wohl festhalten, dass sich die Theorie X in jenen Fällen bewährt, wenn es um Grundbedürfnisse geht, etwa im militärischen Kontext, in Katastrophenmomenten. Ansonsten wirkt sich dieses Bild negativ aus.
Neoklassische Organisationstheorie II: Integration von Individuum und Organisation
Chris Argyris versuchte, psychoanalytische Annahmen mit administrativen Prozessen zu integrieren. Er spricht von der Organisation als Kollegialsystem, in welchem das Individuum Raum und Impulse findet, sich selbst zu verwirklichen. Dieses Konzept reifte er über die Jahre weiter aus hin zum Konzept der „Lernenden Organisation“.
Was beeinflusst maßgeblich jedwedes Verhalten in Organisationen:
- Individuelle Merkmale
- Formale Organisationsstrukturen
- Informelle Gruppenprozesse
Während die bisher betrachteten und betriebenen „klassischen Organisationen“ Argyris zufolge am ehesten den Struktureigenschaften von Kindern entsprechen, denn diese lernen aus Belohnung und Bestrafung. Eine solche Organisationsform wird also Erwachsene dazu verleiten, sich im übertragenen Sinn wieder wie ein Kind aufzuführen. Erwachsene hingegen brauchen Selbstverwirklichung, bemühen sich um einen hohen Selbstwert, vertrauen ihren Fähigkeiten, richten sich langfristig aus und wollen sich selbst bestimmen.
Darum hält Argyris ein gemischtes Modell als erstrebenswert, in dem es neben der hierarchischen Pyramide auch flache Verteilung und Gleichverteilung von Macht gibt. Im Brennpunkt stehen natürlich die Realisierung der Organisationsziele, aber auch die Aufrechterhaltung des internen Systems sowie die Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen. Besonderes Augenmerk wird auf den individuellen psychologischen Erfolg gelegt: dazu analysiert man die Organisation in ihrer Gesamtheit, optimiert mit allen gemeinsam diesen Rahmen; dies schließt erhebliche Einflüsse aller auch auf die Kernfunktionen der Organisation mit ein.
Das Kollegialsystem zeichnet sich wie folgt aus:
- Es gibt starke Partizipation, hierzu auch Gruppenvertreter*innen zur Mitentscheidung
- Qualitätsstandards der eigenen Tätigkeit werden gemeinsam erstellt
- Eigenverantwortung und gleichverteilte Autorität
- Geht es um Routinen oder um Krisenmomente, wird Zentralisierung bevorzugt – geht es um Verantwortung und Bindung von Mitarbeiter*innen, dann wird dezentralisiert
- Berater*innen und Entscheider*innen sind überlappende Rollen und stehen in einer Zweiwegkommunikation, über transparente Aufgaben bekommt man Einblick ins Ganze
Neoklassische Organisationstheorie III: Theorie der Firma
Von den Forscher*innen March, Cyert und Simon stammt dieser behavioristische Ansatz zur Organisation; Simon erhielt für seine Arbeiten zum Thema Entscheidungen immerhin den Wirtschaftsnobelpreis. Dennoch sei vorausgeschickt, dass diese Theorie sehr beschreibend ist und als kaum umsetzbar gilt.
Die Organisation wird hier schlüssiger Weise als System von Individuen betrachtet, die (ständig) Entscheidungen fällen. Die einzigen echten Ziele, die hier verfolgt werden können sind jene, die sich die Führung zu eigen macht, und die Mitarbeiter*innen gekonnt zu den richtigen Entscheidungen bewegt.
Zwei Typen von Entscheidungen sind für ein Unternehmen hier wesentlich:
- „staying“ or „leaving – bleibe ich im Unternehmen oder gehe ich
- (Leistungs-) Erwartungen entsprechen oder verweigern
Diese Entscheidungen werden durch individuelle, innere Beweggründe beeinflusst und davon, wie man die Konsequenzen und Erwartungshaltung der Organisation einschätzt; aber auch wie man Belohnungssysteme und Abläufe im Unternehmen wahrnimmt. Wesentlich in den Entscheidungsvorgängen der Mitarbeiter*innen ist jedoch, dass diese immer in „bounded rationality“, also in limitierter, gehemmter Rationalität geschehen: unter zeitlichem Druck, eingeengten Ressourcen der Informationsbeschaffung und –bearbeitung. Darum folgen Mitarbeiter*innen auch gerne den Erwartungen der Führungskräfte. Dies vereinfacht die Sache im Alltag enorm, und tausende kleiner solcher Entscheidungen begründen die gesamte Haltung, und somit die wesentliche Antwort auf die obigen zwei Fragen. In einer solchen Organisation kommt es zu ständigen Verhandlungen, nicht nur top-down, sondern vor allem lateral: Kolleg*innen gleichen einander ständig ab, echte Entwicklung und echte Lösungen für gegebene Probleme können so selten stattfinden. Vielmehr wartet man mit seinen vorbereiteten, festen Lösungsansätzen darauf, dass die passenden Probleme auftauchen.
Die Theorie der Firma ist gekennzeichnet durch:
Der Arbeitsvertrag regelt Zielkonflikte
Jene Entscheidungen, die für die Firma irrelevant sind, liegen bei der/dem Mitarbeiter*in
Mitarbeiter*innen werden zunehmend zu Dienstleister*innen
Führung richtet die Entscheidungen auf die Organisationsziele aus, während Mitarbeiter*innen als Berater*innen die beste konkrete Lösung erarbeiten: dies führt zu Konflikten zwischen Ziel und Lösung
Complex Man
Die Schwierigkeit des Menschenbildes Self Actualizing Man war in den letzten Theorien des vorigen Kapitels bereits sichtbar geworden: es ist nicht zielführend und realitätsnah, generelle Richtlinien und Handlungsvorschriften zu entwerfen, und es genügt nicht, den Individuen generell mehr Räume einzugestehen. Im Menschenbild des Complex Man geht man nun mehr darauf ein, dass es enorme Unterschiede zwischen den Menschen gibt, und ebensolche enormen Unterschiede sich bei ein und derselben Person über die Zeit und über die Situationen hinweg zeigen.
Schein beschreibt den Hintergrund des Complex Man mittels folgender sechs Annahmen:
Bedürfnisse variieren in und zwischen Personen
Die Motive sind nicht voneinander unabhängig
Jeder Mensch hat eine komplexe Lerngeschichte mit stetig neuen Motiven
Man muss darum in einer Organisation unterschiedliche Motive zugleich verfolgen
Zufriedenheit und Leistung spiegeln nur teilweise die Motivmuster wider
Es gibt nicht DEN richtigen Weg in der Führung, sondern nur für diese Personen in dieser Situation.
Auf diesem Hintergrund bemühte man sich ab den 1970er Jahren darum, Situationen zu erfassen und zu analysieren, ohne jedoch allgemeine Richtlinien für das Verhalten daraus abzuleiten. Es ging nun um die Gestaltung von Arbeitsaufgaben, um die Gestaltung von Autonomie und Feedbackformen, um die Gestaltung von Strukturen und Prozessen des technischen und des sozialen Arbeitsaspektes.
Gerade jene Theorien fanden aus der Perspektive des Complex Man verstärkt Beachtung, welche vor allem die situativen Faktoren miteinbeziehen, die sogenannten Kontingenztheorien. Aber ebenso Ansätze, die sich mit der Bedeutung und dem Sinn in Organisationen beschäftigen, letztlich mit Kultur und deren Aspekte im Organisationsbereich, oder aber mit der Neugestaltung bisheriger bürokratischer Systeme.
Kontingenztheorien
Wie bereits unterstrichen, sind Unternehmen dann effektiv, wenn sie sich erfolgreich nach den Umweltfaktoren ausrichten.
Auf welche Umwelt- und Situationsfaktoren sollen sich nun Organisationen erfolgreich ausrichten: [6]
- geografische, technologische und kommerzielle Aspekte
- Wirtschaftslage
- Marktbedingungen
- Konkurrenz
- Arbeitsmarkt
- Zulieferer*innen
- Erfassung Umweltaspekte über Unsicherheit und Komplexität
Wie sollen dies Organisationen schaffen?
In keinem Fall normativ, also „wenn a, dann x“
Durch akkurate ständige Analyse der Umwelt
Durch anschließende rationale Entscheidungen
Durch die effektive Nutzung von „gate keepers“, also jenen Funktionen im Unternehmen, die eine Anbindung zur Außenwelt darstellen (Pressestelle, Verkauf, Außendienst, Beraterpool etc.)
Indem sie die passende Position finden [7]
zwischen einem „mechanistischen“ Systemtyp (siehe Systemgastronomie, Fastfood, Pharma - mit Expertentum, Regeln und Hierarchien) und
einem „organischen“ Typ (Informationstechnologien, Kreativindustrie, Biotechforschung – Austausch und aktive Teilnahme)
indem sie die innere soziale Architektur gekonnt ausrichten, also Funktionen, Fähigkeiten und Firmenziel:
bei einer stabilen Umwelt arbeitsteilige Strukturen wählen und damit hohe innere wechselseitige Abhängigkeiten eingehen (kaum eine Aktion kann ohne Kommunikation oder Einbeziehung der anderen Abteilungen laufen)
bei einer dynamischen, veränderlichen Umwelt eher einer multi-divisionale Form anstreben (wo es verschiedene Produktlinien gibt, Abteilungen für verschiedene Märkte und damit auch eigenständige Ziele und Verantwortungen, quasi einzelne Subunternehmen unter einem Dach).
Organisation als Informationsverarbeitendes System
Jay Galbraith sah im „Unternehmen“ grundsätzlich die ständigen Entscheidungsprozesse zu Strategien und zum „wie organisieren wir uns“, damit Firmenziele, Strukturen und individuelle Bedürfnisse integriert werden.
Aufbauend auf den Bildern elektronischer Datenverarbeitung beschreibt Galbraith, wie Unternehmen mit stetig wachsender Unsicherheit der Aufgaben umgehen können. Damit bezeichnet er den Umstand, dass man einerseits bestimmte Informationen benötigt, um Problem- und Aufgabenlösungen erfüllen zu können, andererseits aber eine bestimmte Informationsmenge bereits zur Verfügung hat. Je komplexer die Aufgaben und die Umwelt, umso unsicherer werden die Aufgabenstellungen, umso vielschichtiger die Ziele und umso differenzierter die interne Organisation. Informationsmenge und Informationskapazität sollten in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen.
Dieses (Fließ-) Gleichgewicht schafft ein Unternehmen, respektive dessen Mitarbeiter*innen, indem sie…
- Reserven bilden, indem die Leistung heruntergefahren wird.
Nachteil: Reserven kosten Ressourcen und bremsen das System aus
- Unabhängige Teilstrukturen (Projektgruppen, Abteilungen mit jeweils einem einzigen klaren Ziel) schaffen.
Nachteil: mehr Bindung an die Teilgruppe als an das Unternehmen, parallele Kosten
- Ein vertikales Informationssystem installieren.
Nachteil: „up to date“ sein kostet Ressourcen, Anforderungen an die Mitarbeiter*innen, oftmals Verweigerung/ Sabotage durch inkonsequente, unvollständige Nutzung
- laterale Beziehungen, also Kollegialbeziehungen in der Belegschaft und deren Austausch fördern und stützen.
Nachteil: zeitliche und lokale Räume kosten Ressourcen, Effizienzfragen tauchen auf, Konfliktpotential entsteht erst dadurch vermehrt.
Über verschiedene Systeme der Belohnung, Bestrafung, Anreize, aber auch über Identifikation, Involvement oder Akzeptanz beeinflusst die Organisation und damit die Führung das Verhalten der Mitarbeiter*innen (siehe Abbildung 4).
Erklärung: Geteilte Zellen: linke Zelle bezeichnet den Einfluss auf das Verhalten innerhalb der Gruppe, die rechte Zelle zwischen den Gruppen.
Abbildung 4: Wirkfaktoren auf das organisationale Verhalten (Galbraith, 1977, S.359, zitiert nach Kirchler, 2005, S.139)
Hierbei strebt man an, dass Mitarbeiter*innen dem Unternehmen beitreten oder bleiben, ihre Rolle übernehmen, mehr als ein Minimum leisten, proaktiv und kooperativ sind. Die Identifikation mit der Organisation ist die höchste Ebene der Motivation, und unterstützt demnach auch alle gewünschten Verhaltensaspekte nachdrücklich.
Was kennzeichnet nun ein Unternehmen im Sinne des „Informations-verarbeitenden Systems“:
- Die Arbeitsteilung sinkt mit zunehmender Unsicherheit
- Führungsautorität nur in Ausnahmen und Krisen
- dezentrale Entscheidungen erhöhen die Informationsverarbeitung
- vertikale Informationssysteme erleichtern entsprechende Gruppenentschei-dungen (arbeiten in – virtuellen- Netzen bahnt sich an)
- Die Rolle der internen Berater*innen wird weiter aufgewertet, allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen Führung und Operative /Beratung, also Linie und Stab.
Organisationen als Arenen der Macht
Henry Mintzberg greift genau das Manko des zuletzt geschilderten, informationstheoretischen Ansatzes auf und stellt dies ins Zentrum der Betrachtung: Machtbeziehungen und Ausdruck von Macht in Organisationen.
In Organisationen wird ständig um Macht gespielt, diese strategisch und taktisch eingesetzt.
Wer sind nun die „Player*innen“ um die Macht?
Interne und externe Gruppen und Einzelpersonen versuchen in Organisationen Macht auszuüben und zu mehren (siehe Abbildung 5).
„Operating Core“ steht für die ausführende Basis, die Produktion. Die „middle line“ bezeichnet das Mittlere Management samt Team- und Abteilungsleiter*innen, Projektleader*innen, welche neben Überwachungsaufgaben auch die Kommunikation mit Außenwelten führen. Die Führungsspitze und damit strategische Akteur*innen sind der „strategic apex“, deren Ziele und damit Entscheidungsprozesse langfristig ausgelegt sind. Außerhalb des Ganzen siedelt Mintzberg die „technostructure“, das technische System (wo es vor allem um informelle Kommunikation und Prozesskompetenz geht) und das unterstützende System, „support staff“ an. Letztere beraten und servicieren das zentrale System quer durch alle Ebenen, etwa als Postbotendienst, Kantine, Forschungsabteilung, Public Relations Office, Rechtsabteilung).
Außerhalb dieser Darstellung beeinflussen weitere Komponenten wie Aktieninhaber, Firmenbesitzer, aber auch Lieferanten, Mitbewerber und Gewerbeorgane die Organisation zeitweise maßgeblich mit.
Welche Formen nehmen nun Organisationen an, gemäß ihrem Umgang mit Macht, sie zeigen und gestalten sich als:
- Instrumente – diese sind wesentlich von außen gesteuert (Post, Feuerwehr, Zwangsorganisationen)
- Geschlossene Systeme – werden von außen und innen beeinflusst, existieren in einem engen Korsett, auch als „Maschinenbürokratie“ bezeichnet (bei großen internationalen „reifen“ Firmen, AMS)
- Mission – eine klare Ideologie mit klaren inspirierenden Zielen steuert von innen, es gibt eine einfache Umwelt, externe Einflüsse werden abgeschirmt (Hilfsorganisationen, soziale Vereine).
- Autokratie – weisen eine einfache Struktur auf, sind organisch und flexibel, leben in dynamischen Nischen, orientieren sich an einer starken Persönlichkeit und entsprechend starker Unternehmensphilosophie (alteingesessene Mittelstandsbetriebe, Familienimperien).
- Meritokratie – hier wirkt Macht über Fertigkeit und Wissen, Intrigen und Koalitionen prägen den Alltag (professionelle Bürokratie wie Spitäler und Universitäten, aber auch „Adhokratie“ in Think-tank ähnlichen Beratungsfirmen oder Kreativagenturen)
- Politische Arenen – hier sind per se alle am Machtspiel beteiligt, es grassieren Konflikte zu sich ständig verändernden Zielen, solche Systeme glänzen entweder durch ein Übermaß an Flexibilität oder durch Erstarrung.
Wo sind welche Formen besonders erfolgreich?
- In der Umsetzung der Unternehmensziele sind dies Autokratie und Mission
- In der Effizienz sind es Instrumente und geschlossene Systeme
- In der Leistung sind es professionelle Bürokratien
- In der Innovation sind es Adhokratie, also spezielle Meritokratien
Organisationen sollten einerseits danach trachten mehrere Motive zu bedienen: Unternehmensziele erreichen, effizient sein, hohe Leistungen erbringen, innovative Räume bedienen, Kooperation und Kultur und damit auch Umgang mit Konflikten zu pflegen.
Letztlich kann man die jeweiligen Motive nur über unterschiedliche Instrumente und Maßnahmen erreichen, und eine Organisation wird sich wiederholt dafür entscheiden müssen, welches Motiv (also Unternehmensbedürfnis) an erster Stelle liegt.
Theorie des Organisierens
Karl Weick knüpft an das bereits erwähnte konstruktivistische Paradigma an, demzufolge wir nicht von einer sondern von vielen, nahezu unzählig möglichen Wirklichkeiten sprechen, die durch unsere Interpretationen, durch Kommunikation und soziale Momente Bedeutung und Sinngehalt bekommen. Auch in Organisationen geht es also darum, dass Landkarten geschaffen werden, und diese wiederum Verhalten bedingen und damit Realität schaffen.
Wie geschieht dies konkret?
Während Mitarbeiter*innen und Führung denken, träumen, sprechen und handeln greifen sie auf Metaphern zurück („alle an einem Strang ziehen“, „im selben Boot sitzen“, „Lemminge“), aber auch auf Labels („das ist Arbeit“, „das ist Meuterei“, „das ist Freizeit“) und auf Plattitüden („wer viel tut ist fleißig“, „den Letzten beißen die Hunde“, „Leben ist anstrengend“, „Arbeit ist das halbe Leben“). Letztere sind jene Sprüche, die schwer zu wiederlegen oder zu konkretisieren sind, jedoch mit bedingen, was wir als normal oder anständig oder erstrebenswert sehen.
Welche konkreten Richtlinien kennzeichnen nun die Theorie des Organisierens?
- Don´t panic in face of disorder
In komplexen, mehrdeutigen Welten müssen wir unterschiedliche Sichtweisen und Handlungen zugleich setzen
- You never do one thing all at once
Entscheidungen und Aktionen wirken wie Wellen im Meer, darum die Warnung vor Aktionismus und der Aufruf zu Bedachtsamkeit im Umgang mit dem System
- Chaotic action is preferable to orderly action
Nichts tun ist in jedem Fall lähmend und verwirrend, besser ist „panta rhei, alles fließt“
- Most important decisions are often the least apparent
Dies erinnert an später berichtete Techniken wie appreciative inquiry, wonach die kleinen relevanten Momente ins Bewusstsein gerufen werden, und damit deren Bedeutung fixiert wird.
- There is no solution
Probleme kann man nicht eindeutig oder optimal lösen, man kann sie aber managen
- Stamp out utility
Der übliche Nutzengedanken bremst in absehbarer Zeit Unternehmen in deren Entwicklung aus, und Potential im Unternehmen verkümmert, statt zu befruchten.
- The map is the territory
Ein Aufruf über unsere Konstruktionen zu sprechen, darüber was ankommt oder was wie wahrgenommen wird
- Re-chart the organizational chart
Da bisherige Funktionsbeschreibungen nach Weick nicht die gelebte, sinnhafte Unternehmensrealität zeigen, sollte man alles neu zeichnen und beschreiben (etwa in Form von mindmaps, Gemälden mit Symbolen wie „der Hahn auf dem Mist“, „das Ei“, „der Bauer“, der „Tank“, der „Fluss“… siehe OMV-print-Werbung 2006)
- Visualize organizations as evolutionary systems
Individuen, Unternehmensteile und Unternehmen verändern sich nicht nur, sondern sie entwickeln sich.
- Complicate yourself
Einfach bedeutet, das wesentliche Potential abgeben, der Realität nicht begegnen.
Kulturtheorie
Auch bei Edgar Schein finden wir den Einzug von konstruktivistischer Sichtweise als Instrument, um den „Complex Man“ in einer „complex world“ zu betrachten und für Unternehmen Empfehlungen zu gewinnen.
Im Laufe der Entwicklung von sozialen Einheiten, von Gruppen und damit von Unternehmen werden aus den Erfahrungen bestimmte Grundannahmen getroffen, die zu einem Großteil nicht geäußert werden. Wie es beim Individuum etwa Glaubenssätze sein können („ich muss mich anstrengen, um es zu etwas zu bringen“, „ich bin zu faul“, „mir kann keiner was“, „Leben ist Genuss“), so sind es hier ganze Denk- und Verhaltensmuster, die auch für neue Probleme als Lösungsschablone genommen werden („Filialen schließen“, „scharfes Controlling einsetzen“, „wachsen, wachsen, wachsen“, „auf neue Märkte setzen“).
Diese Grundannahmen werden durch die sozialen Momente wie etwa verbale und nonverbale Kommunikation, Imitation und Modellwirkung etc. weiter gereicht, „weitervererbt“. Grundannahmen schaffen somit Wirklichkeiten: was wird thematisiert, was nicht eines Blickes gewürdigt, was erkennt man als Problem, welche Rolle spielen Gefühle, wie sehen Lösungen aus. Aber ebenso bewirken diese Grundannahmen die leitenden Werte eines Unternehmens und seiner Individuen, deren Normen, Tabus, Regeln und deren Symbole. Als „Fremder“ sieht man dies symptomatisch am stärksten an der verwendeten Sprache („denglish“, Abkürzungen, Versachlichung), den Floskeln („Maaaaahlzeit“), den Statussymbolen (Auto, Kleidung, Uniform, „Tracht“, Hobbies), den Zeichen (Türschild, „kein Parteienverkehr“, „komme gleich“, blackboard, „dumbs up“).
All dies bezeichnet man als Unternehmenskultur, die auf der Weitergabe und Weiterentwicklung von Grundannahmen beruht.
So kann in einem Unternehmen etwa Schweigen bei Meetings als Respekt und konstruktiver Beitrag zur effizienten Zeit- und Rollennutzung sein, in einem anderen wiederum ist es wesentlich, sich emotional stark und umfangreich auszudrücken und kleine „Bühnen“ zu bewirtschaften, die eine „speakers corner“ Funktion erfüllen.
Ein guter Teil dieser Annahmen sind unbewusst, einem Eisbergrumpf gleich unter Wasser, jedoch stark wirksam. Andere Elemente sind zugänglich, intern oder von extern beobachtbar, erkennbar. Andere Kulturelemente können auch sehr bewusst und gemeinsam gepflegt sein (Logos, Image, Design, Kommunikationsräume etc.). Die letztgenannten Merkmale sind dann zwar bewusst, deren eigentlicher Gehalt, die Grundannahmen dahinter, sind jedoch zumeist sehr schwer zu entschlüsseln.
Kultur wird von Gründern fundiert, von einer Kerngruppe angelegt, und von (formell oder informell) einflussreichen Personen geprägt. Letztlich nimmt jeder der Organisation täglich daran teil, die geltenden Annahmen und Kultur zu verfestigen, zu bestätigen, oder zu hinterfragen, aufzubrechen und zu verändern. Sichtbare Belege dafür sind etwa die „Legenden“, „Anekdoten“, „Gründungs-geschichten“, „Heldenfiguren“, aber auch die typischen Rituale („casual Friday“). Besondere Einzelpersonen sind als Kulturträger üblicherweise die Controller oder Inquisitoren der Unternehmenskultur.
Indem in Unternehmen neue Geschichten geschrieben und mitgeteilt werden, verändern sich auch Grundannahmen und Kulturelemente. Insbesondere bei ineffektiven oder existenzgefährdenden Grundannahmen wird es wesentlich sein, dies zu identifizieren und zu verändern. Beobachtungs- und Feedbacksysteme, Klausuren oder externe (systemische) Beobachtungsprotokolle erlauben hier, den Fokus zu bündeln, die Organisation ihrer selbst bewusst zu machen. Letztlich steht die Kulturtheorie hiermit der Theorie von der Lernenden Organisation sehr nahe.
New Public Management
Haben Sie es in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren bereits bemerkt?
Mancherorts haben Sie wahrscheinlich erlebt, dass bislang schwerfällige, bürokratische Organisationen (Krankenkasse, Magistrat, Kammern etc.) Sie überhaupt erstmals oder spürbar stärker als Kund*innen wahrgenommen haben. Vielleicht haben Sie gestaunt, wie effektiv und effizient plötzlich Anliegen und Aufträge abgewickelt wurden, wahrscheinlich haben Sie mit leicht zynischem Blick PR-Maßnahmen als Beitrag zu bisher ungekannter Transparenz betrachtet („von wegen Bürger*innennähe, da lass ich mich aber überraschen“). Ja, richtig vermutet: diese teils auch stark extern spürbaren Paradigmenwechsel bei solchen Organisationen geschahen auf dem Hintergrund des „New Public Management“ Ansatzes. Damit fokussierte man nach langen Jahrzehnten (oder länger) eine komplette Neugestaltung der Struktur und der Kultur in diesem Bereich an. Intern wurde sehr nachhaltig an Wandlungsprozessen gestaltet, um ökonomisch sinnvoll zu wirtschaften, um die Organisation und deren Mitglieder zielgenau auszurichten, deren Leistungen messbar und darstellbar zu machen, und damit bewirtschaftbar.
Acht Grundsätze prägen das New Public Management:
Rückzug auf Kernkompetenzen und damit eine neue Organisationsstruktur und Outsourcing von Dienstleistungen, Zukauf von Produkten. Dieser Weg wird laufend weiter bestritten, etwa in der kürzlichen Zusammenlegung und Externalisierung der IT-Zentren der Sozialversicherungen.
Einführung von neuen Steuerungsinstrumenten und neuen Maßnahmen wie das Auditing, Zielvereinbarungen, die Vergabe von Leistungsaufträgen, die Erstellung und Optimierung von Standardprozessen: die Organisation wird zunehmend output-orientiert aufgestellt.
Trennung von Politik und Verwaltung wird gefordert, um bisherige Gräben, Blockaden und Wucher zu schließen. Über viele Jahre wird daran gearbeitet, dass normative Rollen und strategische sowie operative voneinander getrennt werden, und Entscheidungen dezentralisiert etwa in den Abteilungen autonom getroffen werden können. Die vielfach weit verteilten Verantwortungen werden zunehmend in smarte Funktionen integriert.
Man kreiert zusehends neue Produkte (siehe Wifi Beraterpool, Gründerservice der WKO) und betreibt massive Qualitätsorientierung, indem man Kund*innenzentren aufbaut, Marketing betreibt und Qualitätsstandards verfolgt.
In der Personalführung revolutioniert sich der alte „beamtische“ Verwaltungsansatz in Richtung moderne Führung und Personalpflege, Ausbildung und Entwicklung von Humanressourcen wird extensiv ausgebaut.
In die Finanzverwaltung wird Budgetlogik eingeführt, dezentral von Einheiten selbst verwaltet, interne und externe Rechnungsführungen werden revolutioniert (e-Rechnung, transparente Info zu den geleisteten Diensten etwa bei SVA-Abrechnungen, interne Rechnungsflüsse zwischen Einheiten).
man betreibt aktives Monitoring der Leistungsträger (Abteilungen, Produktlinien) über die jeweiligen Kosten, effektiven Leistungen und deren Wirkung
Ablaufprozesse werden durch intensive Unterstützung externer Beratung (Organisationsentwicklung) optimiert.
Postmodern Man und Wissensarbeiter
Anders als beim „Complex Man“ stehen nun (mittlerweile) massive, bereits angelaufene soziodemografische Veränderungen im Kern der Betrachtung, die ebenso starke Auswirkungen auf Menschenbild und Wirtschaftstreiben, auf die gesamte Orientierung der Gesellschaft haben (werden), zum Großteil in noch nicht absehbarer Form. So verändert sich etwa die Alterspyramide in den Gesellschaften der Ersten Welt [8] , Menschen werden zunehmend älter, der Beschäftigungszeitraum verkürzt sich teilweise jedoch, es kommen stets weniger Kinder zur Welt, die Bildungssysteme suchen nach einer Neuausrichtung in einer schwer prognostizierbaren wandelnden Umwelt. Die Globalisierung [9] der Märkte [10] , kapitalistische oder auch Gemeinwohlansätze und das Ringen um soziale Gerechtigkeit prägten bereits das letzte Jahrzehnt. Zudem erleben wir eine Veränderung in der Berufsarchitektur (Stichwort: „stirbt die Lehre aus?“, „wie viele Ausbildungen braucht man noch“, Berufsbilder verändern sich oder sterben aus), und in den Arbeitsstrukturen (Teleworking, neue Optionen in den Arbeitszeiten, Neue Selbständigkeit, Freelancertum, Generation Praktikum).
Folgt man zeitgenössischen Beiträgen zur Frage, wohin wir uns seit einigen Jahren hin entwickeln, so findet man rasch zu Autoren aus der Trend- und Zukunftsforschung wie Max Horx, langjährigen Vorreitern aus Beratung und Forschung, sowie Peter Drucker (dem zu Ehren im Herbst 2009 ein Symposium in Wien abgehalten wurde - leider bereits in memoriam). Wie schätzen diese hochrangigen (Vor-)Denker die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen ein, vor allem im Hinblick auf den Menschen in der Wirtschaft und auf die nötigen Korrekturen in Organisationen?
Die rasante (Weiter-) Entwicklung der Informationstechnologien schafft neue Optionen, neue Wirklichkeiten in der Arbeits- und damit Unternehmenswelt, und damit neue Herausforderungen für die Menschen.
Im Rahmen neuer Beschäftigungsformen und „postmodernen“ Lebensbedingungen strebt der Mensch nach Selbstverwirklichung und Freiheit, er legt in seiner Arbeit und in seinem Leben insgesamt sehr viel Wert auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Bewusst oder unbewusst geht er einen Weg, auf dem er sich ständig neu sucht/ findet und neu definiert.
Max Horx beschreibt eine neue Ausrichtung der Wirtschaft, die Ihnen aus unserem (mittlerweile) Alltag wohlbekannt sein wird: den „smart capitalism“ [11] . Geprägt wird dieser durch
- die Prinzipien der Dienstleistungsdemokratie (alles ist Service, jeder ist persönliche Dienstleister*in),
- dem Kapital des Vertrauens (je komplexer und unkontrollierbarer die Welt umso höher der Wert des Vertrauens),
- der neuen Nachhaltigkeit (corporate social responsibility, neue partizipative Formen der Bürgerbeteiligung, Kooperationen von öffentlichen Institutionen und privaten Unternehmen)
- der Softindividualität (Menschen existieren in Netzwerken, der alte „Egoismus“ ist out, eine neue Form der Selbstpflege ist angesagt)
- dem Glokalismus (lokales Bewusstsein und Pflege lokaler Werte und Ressourcen, eingebettet in globale Marktbewegungen und globale Sicht)
- dem „wachsenden Menschen“ (Stichwort „Lifelong learning“)
- der „Überwindung der Spaltung“ (Extreme weichen auf wie „Arbeit, Freizeit“, „Wirtschaft und Politik“, „Mann und Frau“, „Volk und Individuum“ etc.).
Der Begriff „postmodern man“ geht auf Hatch [12] zurück und deckt sich in weitestem Sinne mit dem „Wissensarbeiter“ nach Drucker. Dieser „neue“ Mensch stellt die Freiheit und die Selbstbestimmung in sein Lebenszentrum, er agiert in einer Welt der Information und des Wissens. Bisherige Formen des Wissens waren ein lebenslanges Kapital, brachten Status und Macht sowie finanzielle Sicherheit. Dies kann in einer beschleunigten Welt nicht mehr funktionieren. Darum sind es nun andere Säulen, auf welche der postmoderne Mensch setzt: Kreativität, hohe fachliche und soziale Kompetenz. Man setzt auf Spaß und Flow, auf gelingende Kommunikation und auf Persönlichkeit. Führung geschieht durch Visionen und durch Klärung von Zielen, Richtung, Wegen und Rollenanforderungen. Die individuellen Potentiale sollen beständig gefördert werden, damit sich das Wissen und die Stärken der Mitarbeiter*innen in Produktivität verwandeln.
„Postmoderne“ Organisationstheorien
Postmoderne Werte wie Freiheit, Kreativität und Verantwortung bilden, wie Sie sehen werden, bei allen diesen Ansätzen die Wurzeln. Allerdings muss hier auch darauf hingewiesen werden, dass Pluralität und „Nichtfestlegung“, und der Diskurs (die laufende Diskussion) an sich ebenfalls Werte der Postmoderne sind, und darum würde man postmodern eher sagen: lasst uns einen Dialog darüber führen, um heraus zu finden, welche Werte es denn wirklich sind, die in der postmodernen Welt wirken.
Darum werden Sie auch die hier beschriebenen Organisationstheorien als recht bunte Mischung erleben.
Dennoch recht durchgängig sind die Organisationstheorien des postmodern man gekennzeichnet durch:
- Horizontale Strukturen
- Flache Hierarchien
- Flexibilität als Wert und Qualität
- Empowerment als Methode (statt Kontrolle)
- Innovation als ständig treibendes Prinzip
- Kund*innenservice steht im Kern der Unternehmung
Sehr viele Organisationstheorien sind zwischen 1990 und 2009 Jahrzehnt ersonnen worden, in diesem Heft werden wir auf eine Auswahl in unterschiedlicher Tiefe eingehen.
Behrens und Bierach (2002) listen aus einer verstärkt betriebswirtschaftlichen Sicht eine Reihe von Organisationstheorien und damit verbundene Management-philosophien im Zeitraum des Postmodern Man (siehe Tabelle 2).
Tabelle 2: Management & Organisationsphilosophien
(nach Behrens und Bierach, 2002, S.102-104)
Periode | Vertreter | Kurzbeschreibung in Stichworten |
---|---|---|
Ende 80er: |
|
|
Kaizen und TQM Just in Time Globalisierung |
Masaaki Imai James Womack, Danile Jones Kenischi Ohmae |
kontinuierliche Lernprozesse, systematische Optimierung der Prozesse Optimierung der Wertschöpfungskette Wettrennen um die Märkte |
Beginn 90er: |
|
|
Reengineering Shareholder value Team versus Leader |
Michael Hammer Alfred Rappaport Warren Bennis |
Prozesse überdenken, mehr Produktivität Kapitalmarktperspektive über Kennzahlen in Unternehmen Innovation im Team schaffen |
Mitte 90er: |
|
|
Benchmarking Balanced Scorecard Kernkompetenzen Knowledge Management |
Robert Campy Robert Kaplan Gary Hamel Peter Senge |
Leistungsvergleiche Finanzdaten erweitern um Kund*innen, um Mitarbeiter*innen etc. was man am besten kann Wissenspools |
Ende 90er: |
|
|
Dekonstruktion Mergers & Akquisitions Corporate governance |
Dieter Heuskel R. Greenbury |
Wertschöpfungsketten aufbrechen, neue Formierungen am Markt was nicht wächst, kauft sich Wachstum effektive Kontrolle von Organisationen |
2000: |
|
|
e-commerce Customer relationship Management Corporate portfolio/ Desinvestment |
N. Negroponte F. Reichheld Jack Welch |
neue Vertriebswelten? unsere Kund*innen im Fokus verkaufen, was nicht Nummer 1,2,3 am Markt ist |
Future: |
|
|
Szenario/ Sustainability: Fokussierter Mischkonzern Unternehmensinterne Börse |
Arje de Geus |
Was müssen wir tun mehr als eine Kernkompetenz streuen, stabilisiert wo verzinsen sich unsere Mittel intern optimal |
Ansätze des Re-Engineerings (Hammer und Champy, 1993)
„Die Philosophie des Business Reengineering ist es schließlich, die bestehende Organisation grundsätzlich in Frage zu stellen, d.h. unabhängig von den bestehenden Strukturen eine neue Organisation „auf der grünen Wiese“ zu konzipieren“ [13]
Damit kommt es zu einer einmaligen, jedoch radikalen Veränderung der gesamten Organisation (Struktur, Kultur) und damit der Rollen der Belegschaft. Dies ist somit ein möglicher Ansatz, um Innovation und Veränderung herbei zu führen. Die Frage wird jedoch sein: zu welchem Zeitpunkt beschließt man dies, wie kommuniziert man dieses Vorhaben intern und extern, und welche (sehr guten und sehr wichtigen) Anteile müssen auf welche Weise in die Veränderung positiv integriert und bewahrt werden.
Die grenzenlose Organisation (Ashekenas, Ulrich, Jick und Kerr, 1995), oder Picot, Reichwald und Wigand (1996)
Ähnlich wie der Ansatz der Fraktalen Fabrik oder Virtuellen Organisation erfasst man hier das Phänomen neuer Arbeitsstrukturen: Übernahmen und Fusionen von Unternehmen ergeben immer größere Einheiten, wo jede wiederum mit weiteren Einheiten verknüpft wird oder in einem Vertragsverhältnis steht. Somit kommt es – von oben besehen – zu Unternehmensnetzen, die sich über Sparten und Branchen, über Nationen und Kontinente hinweg erstrecken. Pflegen Unternehmen solche Konzepte längerfristig und bewusster, so führt dies zu neuen internen Strukturen, zu Netzwerk- oder Clanorganisationen [14] . Arbeit wird dadurch herausfordernder, unsicherer, anstrengender, aber auch freier, selbstverantworteter, mit mehr Selbstentwicklung im postmodernen Sinn.
Keiretsu (Gerlach, 1992, sowie Burt, Doyle, 1994)
… beschreibt Unternehmenskonglomerate als eine engere Form der vertikalen und horizontalen Vernetzung von mehreren Unternehmen.
Hier agiert jedes Unternehmen weiter selbständig, geht aber mit unterschiedlichen anderen innerhalb eines gemeinsamen Netzwerkes Verbindungen und unterschiedliche Verträge ein. Im Regelfall stehen im Zentrum des Netzes eine Bank, ein Industrie- und ein Handelsunternehmen, bei denen sich die Vorteile subsummieren. Die enorme Kostenersparnis ist der wesentliche unternehmerische Zielfaktor, der zur Bildung von Keiretsu´s führt:
- Personal-Sharing
- Die Pflege des Zusammengehörigkeitsgefühls
- Gegenseitige Aktienbeteiligungen
- Und die vorrangige Auftragsvergabe innerhalb des Netzwerkes sind ebenso üblich, wie
- Regelmäßige Treffen mit einer Vielzahl von Netzwerkpartner*innen und assoziierten Betrieben, inklusive Zulieferer*innen und Dienstleister*innen.
Historisch gehen Keiretsu´s auf sogenannte Zaibatsu´s zurück: dies waren Mischkonzerne, die in der Hand einzelner Familien waren, allerdings im Nachkriegsjapan verboten wurden (Verhinderung von feudalen Strukturen, Kartellen und Monopolstellungen). In den wirtschaftlichen Rückschlägen der 1990er Jahre kamen viele japanische Firmen von der Keiretsu-Philosophie ab, und vergaben Aufträge nach Kosten-Nutzen- bzw. nach Preis-Leistungskriterien und taten sich somit auch mit Partner*innen außerhalb des Netzwerkes zusammen, um ihr Überleben zu sichern.
Szenarien & Sustainability
Arie de Geus war über viele Jahrzehnte strategischer Vordenker des Konzerns Royal Dutch/Shell gewesen, bevor er mit Quintessenzen aus diesem Erfahrungsschatz in die Öffentlichkeit ging [15] und als Beitrag zu ökonomischen Langlebigkeit über neue Szenarien in Unternehmen schrieb: was sind erfolgreiche Unternehmen, was zeichnet langlebige Unternehmen aus und was sind die tieferen Ursachen dafür. Auch in seinem in deutscher Sprache erschienenen Buch zur Verantwortung in Unternehmen, „Jenseits der Ökonomie“ finden sich seine zentralen Anliegen an die Unternehmen wieder: Unternehmen brauchen Gewinne, drehen sich um Kapital; dies allein genügt jedoch nicht, um Unternehmen länger leben zu lassen, im Regelfall rafft sie die Profitgier innerhalb von zwanzig Jahren dahin. Darum stellt er die Lernfähigkeit direkt neben den Gewinn.
Schlüsselfaktoren für langlebige Unternehmen sind:
- Hohe Umweltsensibilität (durch dauerndes Lernen und Anpassung)
- Bereitschaft zu radikaler Veränderung des Kerngeschäftes
- Hoher Zusammenhalt und Identität zur Gemeinschaftsbildung
- Toleranz und dezentrale Strukturen für ein ökologisches Bewusstsein
- Vorsichtige Finanzierung zur Selbstbestimmung
- Bewahrung und Erneuerung der Grundwerte
Damit gestaltete de Geus das Konzept der Lernenden Organisation fundamental mit: Unternehmen können sich bis an die Grenze zum Chaos hin organisieren und damit Räume für internes Entrepreneurship, für Unternehmergeist bis in die untersten Hierarchien sorgen.
Szenarientechnik [16] war bereits im Rahmen der neuen soziotechnischen Ansätze beschrieben worden. Als strategische Methode kennzeichnen Szenarien den Schwenk vom industriellen in das Informationszeitalter. Unternehmen wie Royal Dutch/ Shell, die RAND Corporation oder der Club of Rome sowie die UNO arbeiten vollständig mit diesem Ansatz. Pierre Wack [17] gilt als einer der ersten Autoren zu diesem Thema, Peter Schwartz [18] veröffentlichte gemeinsam mit Doug Randall das „Pentagon 2020 Warning Scenario“.
TQM Total Quality Management (Crosby, 1984)
… beschreibt in erster Linie eine Managementstrategie zur fortlaufenden Optimierung von Produkt- und Dienstleistungsqualität. Das Qualitätsmanagement wird zu einem übergeordneten Unternehmensziel. Diesen Ansatz gibt es allerdings bereits seit den 1960er Jahren.
Neueren Datums ist allerdings, dass Qualitätsmanagement die gesamte Unternehmenspolitik und Unternehmenskultur durchdringen soll: alle Strukturen, Prozesse, Stakeholder*innen sind über Feedbackprozesse und Qualitätszirkel involviert. Damit wird TQM zu einem umfassenden Denk- und Handlungsansatz, zur Philosophie. Im Zentrum stehen die Produktqualität und die Kund*innenzu-friedenheit. Der Erfolg wird einerseits in diesen Bereichen daran gemessen, inwieweit die sehr klar formulierten Ziele nach drei Jahren erreicht wurden, und andererseits, wie die erreichten Ergebnisse dem Vergleich mit Wettbewerber*innen standhalten – dies geschieht über Benchmarking. Nach Armin Töpfer bedient man damit auch das moderne Marketing: Kund*innenbedürfnisse werden erkannt, Kund*innennutzen geschaffen, Kund*innenvorteile kommuniziert.
Menschen arbeiten hier in selbstverwalteten und bereichsübergreifenden Teams, man setzt auf Empowerment und Selbstkontrolle, Personalentwicklung geschieht laufend und zielgerichtet über Schulungen und Coachings.
Die vier Prinzipien des TQM sind:
- Interne Kunden-Lieferanten-Beziehung: innerhalb der Wertschöpfungskette ist jeder der/s anderen Kund*in (interne Kundenorientierung) und erhält damit alle Rechte und Pflichten wie externe Kund*innen des gesamten Unternehmens.
- Funktionsübergreifende Optimierung: Qualität wird nicht nur aus der Perspektive der jeweiligen Phase betrachtet, sondern auch aus den Blickwinkeln der anderen Produktionsphasen und Unternehmensteile (alle Teile sind wechselseitig miteinander verknüpft; die Werkstätte richtet sich in ihrer Arbeit auch nach den Anforderungen, die etwa der Verkauf, die Kundenbetreuung, der Einkauf von Ersatzteilen etc. haben, und nicht nur nach den eigenen Kriterien).
- Funktionsinterne Optimierung: punktuelle, jeweilige Optimierung geschieht nach den Kriterien Qualität, Kosten und Zeit.
- Unmittelbare Qualitätssicherung: jeder einzelne führt dieselben Qualitäts-prozesse in seiner eigenen Arbeit aus und ist dafür verantwortlich.
Zentrale Säulen für TQM im Betrieb bilden nachvollziehbarerweise:
- Der/die Kund*in (intern, extern),
- die kontinuierliche Verbesserung (von Prozessen, Dienstleistung/Produkt), der Grundsatz „Verhütung statt Kontrolle“ (siehe Arbeitssicherheitsprogramme und –strukturen),
- sowie die Mitarbeiter*in.
Customer Relationship Management
Eine weitere Zuspitzung des TQM-Ansatzes erleben wir im CRM, im Customer Relationship Management. Insbesondere Frederick Reichheld wird als Hebamme des professionellen CRM gesehen. Neben der Technologie- und der Kosten-führerschaft am Markt richtet man Unternehmen hier auf den Erfolgsfaktor Kund*innenorientierung aus. Nicht gemeint ist mit professionellem CRM die landläufige Umsetzung durch softwaregestütztes Direktmarketing.
Laut einer Studie der Meta Group (1999) setzen 72% der Unternehmen erstrangig auf die Kund*innenorientierung und –pflege.
Über professionelles CRM (als Teil des TQM) wird:
- eine Imageverbesserung des Unternehmens angestrebt,
- Effizienzsteigerung betrieben,
- Neukund*innen gewonnen,
- und bestehende Kund*innen positiv gebunden.
Der gesamte CRM-Prozess läuft nach den TQM-Standardschritten ab: planen, agieren, kontrollieren und evaluieren, erneut – besser – planen (siehe
Abbildung 6).
Die lernende Organisation [19]
Wie in den vorigen Kapiteln unschwer zu erkennen, geht es in einer überaus komplexen und dynamischen Welt zunehmend um das fortwährende Lernen: Das individuelle Lernen und die Lernprozesse der gesamten Organisation gehen ineinander über.
Sogenanntes einfaches „single loop“ Lernen war bisher davon geprägt gewesen, dass man sich an definierte Organisationsziele zu bewegte, die Organisation durch reine Anpassung lernte.
Das nunmehr notwendige Lernmodell ist ein „double loop“ Lernen, in dem sich die Richtgröße ständig an veränderte Gegebenheiten anpasst. Vor allem führt das Zweischleifenlernen zur Hinterfragung des Selbstkonzeptes und damit zur Revision der eigenen Handlungsrichtlinien, der Kriterien und Werte („was Erfolg ist, was uns wichtig ist und uns ausmacht“), sowie zur Erneuerung von Strategien. Bisher waren nur die operativen Elemente verändert worden, Werte, Normen und Strategien blieben dieselben. Die bisherige, rigide Zielverfolgung über längere Zeiträume hinweg (extremes Beispiel in der Bürokratie) weicht dem weitgehend selbstorganisierten Lernen. Diese neue Art des Lernens verlangt bewusste Präsenz und ist proaktiv: man antizipiert Veränderungen, kommt der Umwelt bestenfalls zuvor, und jeder leistet seinen bewussten Beitrag zur „Konstruktion von Wirklichkeit“.
Damit ist dieses neue Lernen ein Veränderungslernen (durch Hinterfragen) und ein Prozesslernen (durch Einblick und Ausrichtung der Prozesse die Lernen ermöglichen und definieren).
Mit ein Teil des Konzeptes von Argyris und Schön [20] zur Lernenden Organisation ist auch, dass derzeitige Organisationen zwar den „Windhauch“ davon mitbekommen, was es bedeuten könnte, sich auf diese Formen einzulassen, jedoch dabei ein Entwicklungs- und Reifeweg zu beschreiten ist: man muss Räume öffnen und das kurzfristige Risiko des Chaos eingehen, damit sich grundsätzlich neue Herangehensweisen bilden. Individuen und vor allem Organisationen stecken in den eigenen Denkfallen, in den eigenen Erfolgen und Handlungsmustern fest.
Neues, produktives organisationales Lernen hingegen entdeckt Widersprüche im eigenen System, die Organisation untersucht sich selbst und lernt, was anders sein muss. Was man erkennt, was man lernt, darf jedoch nicht wie bisher in Charts oder Berichten abgelegt werden, sondern als Bilder in den Köpfen aller Mitglieder etabliert werden.
Gerade Peter Senge wurde für die Lernende Organisation der wohl bekannteste Vertreter und Promotor, dies ist wohl auch dem Umstand zu verdanken, dass er Bücher und Vorträge so gestaltet, dass jeder interessierte Mensch sie lesen und nachvollziehen kann. Er spricht den einzelnen (postmodernen) Menschen genauso an, wie die gesamte Organisation, wenn er von fünf Disziplinen spricht, die der Reihe nach beherrscht werden müssen.
Die Zentralen Prämissen der Fünften Disziplin sind:
- Arbeit und Lernen wie bisher führen in eine Sackgasse
- Lineare Ursache-Wirkungs-Ketten erfassen die hochkomplexe postmoderne Wirklichkeit nicht
- Es braucht darum ein ganzheitliches Welt- und Selbstverständnis
- Lernende Organisation spricht sowohl von Lebensführung als auch von gemeinsamer Orientierung in der Welt.
- Systemisches Denken bildet die Basis für die Lernende Organisation
- Systemisches Denken betrachtet alle Elemente in Wechselbeziehungen, also in Beziehung mit allen anderen Elementen des Systems
- „Disziplin“ unterstreicht hier, dass man diese Haltungen und Fertigkeiten lernen und üben kann (und muss)
Tabelle 3 zeigt die vier Kerndisziplinen in übersichtlicher Weise.
Tabelle 3: Die 4 Kerndisziplinen nach Senge
Disziplin | Beschreibung |
---|---|
Personal Mastery | Meint die Fähigkeit das eigene Potenzial bestmöglich zu entwickeln. Indem man die eigenen Ziele auch hierbei ständig nachjustiert, kommt es weder zu Überforderung oder Unterforderung, man behindert sich nicht selbst, und hält ein Leben lang eine kreative Spannung in sich am Leben. |
Mentale Modelle | Wir bestimmen selbst, was wahrgenommen/ interpretiert /getan wird, wir können also auch hinterfragen, welche Vereinfachungen kritisch zu sehen sind und aktiv gestalten. |
Gemeinsame Visionen | Wird man von einer Vision berührt, so bringt dies ein Maximum an Motivation, an Engagement und Commitment, an Sinnerleben und Entwicklungschance, und es richtet auch die faktische Arbeitsleistung optimal aus. Es müssen alle Mitglieder einer Organisation die Vision teilen, dann gibt es harmonische Ziele, Werte, Kommunikationen, in denen aber keine uniformierte Gleichschaltung herrscht, sondern Raum für die individuellen Akzente besteht. |
Team-Lernen | Das lernende Individuum integriert sein Lernen und sein Wissen in ein Team, hier werden Intelligenz und Stärke gebündelt. Das Vertrauen bildet die Grundlage, damit man gemeinsam Prozesse hinterfragen und steuern kann. Dialog, Diskussion und aktives Zuhören werden zu selbstverständlichen Elementen des Miteinanders. Man zieht somit „an einem gemeinsamen Strang“. |
Die fünfte Disziplin, das Systemdenken, zielt darauf ab, Ganzheiten zu erkennen, Zusammenhänge mit einzubeziehen; Teillösungen werden abgelehnt. Senge beschreibt dies als „die Kunst, den Wald und die Bäume zu sehen“.
In seinen Gesetzen der fünften Disziplin werden die systemischen Parameter gut sichtbar:
- Die „Lösungen“ von gestern sind die Probleme von morgen.
Vergangenheit und Gegenwart versorgen die Zukunft häufig mit Problemstellungen. Man hat zugunsten kurzfristiger Vorteile nicht an die langfristigen Folgen gedacht: siehe die Tiefenbrunnen in den Savannen Afrikas, die nach kurzer Fruchtbarkeit zu intensiver Rinderzucht und dann zur Übersalzung der Böden führten.
Je mehr man sich anstrengt, desto schlimmer wird es.
Lösungen erster Art sorgen für Eskalation, wie das heftige Beschleunigen, wenn man mit dem Auto im Schnee stecken bleibt. Die Lösungen zweiter Ordnung sind oft aufwändiger, um die Ecke gedacht, aber letztlich smarter: wie etwa das Herausziehen mit einer Seilwinde oder Unterlegen von Streumaterial.
Das Verhalten verbessert sich, bevor es sich verschlechtert.
Viele Aktionen bringen kurze Vorteile und Verbesserung, „reiten“ dann aber noch endgültiger in die Katastrophe hinein. Solche Aspekte sieht man etwa bei Aufnahme zusätzlicher Kredite, bei Umschuldung auf Fremdwährungskrediten, „Wetten“/ Optionen auf Kredit.
Der bequemste Ausweg erweist sich zumeist als „Drehtür“.
Schnelle Reparaturen sind Teillösungen, und gehen nicht auf das Basisproblem ein, das sich währenddessen im System auch über Umwege aufschaukelt und als Bumerang zurückkehrt.
Die Therapie kann schlimmer sein als die Krankheit.
Oftmals versucht man in Unternehmen lästige Phänomene aus der Welt zu schaffen. Diese waren zunehmend zum „Problem geredet“ worden, auch wenn sie eigentlich keine Existenzbedrohung darstellen und andere Themen wichtiger wären (Ablenkung).
Schneller ist langsamer.
Rasche Urteile und Antworten bergen meist nur „Vor“-Urteile und damit nichts Neues in sich, erschweren damit nur den Prozess und bringen weitere Hemmnisse ein. Anders betrachtet: will man rasch weiterkommen, muss auf eine gewissen Entschleunigung und Fokussierung geachtet werden. In betrieblichen Konfliktsituationen wird oft das nötige Vertrauensritual, oder das offene Brainstorming genauso unterschätzt und ausgelassen, wie die Notwendigkeit, Zeit dazwischen einzuräumen und Dinge sickern zu lassen. Rascher Aktivismus (reflexartiges Reagieren) führt zu noch mehr Problemen und zu Eskalation.
Ursache und Wirkung liegen räumlich und zeitlich nicht nahe bei einander.
Wir tendieren fälschlicherweise dazu, Ursachen stets in unmittelbarer Nähe zu Wirkungen zu suchen, die uns stören.
Kleine Veränderungen können eine Riesenwirkung haben
… aber die Maßnahmen mit der stärksten Hebelwirkung sind häufig zugleich die unauffälligsten. Die Einführung eines adäquaten Gemeinschaftsraums und bereit gestellte Blumen sowie frisches Obst und Säfte in einer Beratungsfirma kann die gesamte Atmosphäre, aber auch die Qualität neuer Ideen in den Produkten massiv beeinflussen. Dem gegenüber sind Klausuren, Kreativitätsschulungen und breite Fortbildungen ein viel höherer Kostenfaktor und nicht hinreichend, um Neues zu gewährleisten.
Sie können den Kuchen essen oder behalten - aber nicht beides gleichzeitig.
Letztlich müssen wir und, Unternehmen sich entscheiden. So gibt es keinen Weg zwischen Wachstum und Konsolidierung, dennoch versuchen viele beides zugleich zu erreichen.
Wer einen Elefanten in zwei Hälften teilt, bekommt nicht zwei kleine Elefanten.
Die folgende Geschichte stammt von Senge selbst, in der er darbringt, wie eine Gruppe von Blinden einen Elefanten untersucht und zu unterschiedlichen Ergebnissen findet, und damit wird deutlich, dass es immer die Gesamtheit ausmacht – man kann Organismen, und damit auch Organisationen und Phänomene nicht auseinander dividieren:
- „Ein Elefant ist wie ein Baumstamm“, sagt der Blinde am Bein
- „… wie ein Segel“, sagt der blinde am Elefantenohr
- „… wie ein dickes Seil“, sagt der Blinde beim Schwanz
- „… wie eine elastische Röhre“, meint der Blinde beim Rüssel
- „… wie ein spitzes Horn“, meint der Blinde beim Stoßzahn
- “ … weich und breiig“ sagt schließlich jener Blinde, der eine Masse am Boden hinter dem Elefanten untersucht
„There is no one to blame“
Die althergebrachte Sündenbocklösung birgt keine Qualität, es geht auch nicht darum, dass einzelne (Teile) schuldig sind. Es gibt nur das gemeinsame Betrachten und Erkennen, und Handeln zum Wohle aller. Wenn einzelne in Unternehmen ein „Problem“ darstellen, so sieht man sie nun nicht mehr als kranke Stelle, sondern als Symptomträger*innen. Wie Schauspieler*innen in Stücken übernehmen sie (denn einer muss es tun) die Rolle, das Problem auszudrücken, dar zu stellen. Das Problem jedoch geht alle an, meint alle, betrifft alle.
- ↑ Kurt Lewin
- ↑ Gulick, 1937
- ↑ Michigan Leadership Forscher: Katz, Kahn, Macoby, Likert. Ohio Leadership Gruppe: Fleishman, Stogdill.
- ↑ Siehe bei Autoren wie Cartwright, Zander
- ↑ Schein, 1980; nach Kirchler, 2005
- ↑ Greenberg, Baron Emery Trist
- ↑ Burns und Stalker, 1961
- ↑ Peter Drucker, 1999 & 2009
- ↑ Kenischi Ohmae, 1992
- ↑ Martin und Schumann, 1996
- ↑ Horx, 2001
- ↑ Hatch, 1997
- ↑ Schuler, 2001, S. 299
- ↑ Schuler, 2001, S.35
- ↑ De Geus, 2002
- ↑ van der Heijden, Kees, 2009
- ↑ Wack, 1984
- ↑ Peter Schwartz, 2003
- ↑ Argyris & Schön (1996) siehe 2006; Senge (1990), siehe 2001
- ↑ Argyris & Schön (1999), siehe 2006