Management und Organisation - Soziokratie: Unterschied zwischen den Versionen

Aus FernFH MediaWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
 
(6 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 13: Zeile 13:
Kunden von Fabrique sind die Konsumgüterindustrie, Unterhaltungsunternehmen, Kultur- und Dienstleistungsunternehmen, die Regierung und Organisationen im Erziehungsbereich.<br>
Kunden von Fabrique sind die Konsumgüterindustrie, Unterhaltungsunternehmen, Kultur- und Dienstleistungsunternehmen, die Regierung und Organisationen im Erziehungsbereich.<br>
Zu Beginn der Arbeit mit der Soziokratie wurden bei Fabrique die Produktionsprozesse analysiert und umstrukturiert. Das führte zu einer besseren Aufgabenverteilung und einer neuen Organisationsstruktur. Die Arbeit wird jetzt effektiver und mit höherer Qualität ausgeführt.<br>
Zu Beginn der Arbeit mit der Soziokratie wurden bei Fabrique die Produktionsprozesse analysiert und umstrukturiert. Das führte zu einer besseren Aufgabenverteilung und einer neuen Organisationsstruktur. Die Arbeit wird jetzt effektiver und mit höherer Qualität ausgeführt.<br>
Paul Stork, einer der drei Geschäftsführer von Fabrique, erklärt: &quot;<br>''Das Unternehmen setzte sich früher aus relativ kleinen Teams zusammen. Es gab acht Mitarbeiter je Team, die sich einen Raum miteinander teilten. Ein Team bestand aus Designern, Programmierern und Projektleitern. Der Teamleiter, eine mitarbeitende Führungskraft, bestimmte die Vorgaben. Er oder sie war für das Arbeitsklima und die Entwicklung innerhalb der Mannschaft verantwortlich. Diese Arbeit, einschließlich Leistungsüberprüfungen, kam bei den Teamleitern zu ihrer normalen Projektarbeit hinzu.''&quot;<br>
Paul Stork, einer der drei Geschäftsführer von Fabrique, erklärt:&nbsp;<br>''„Das Unternehmen setzte sich früher aus relativ kleinen Teams zusammen. Es gab acht Mitarbeiter je Team, die sich einen Raum miteinander teilten. Ein Team bestand aus Designern, Programmierern und Projektleitern. Der Teamleiter, eine mitarbeitende Führungskraft, bestimmte die Vorgaben. Er oder sie war für das Arbeitsklima und die Entwicklung innerhalb der Mannschaft verantwortlich. Diese Arbeit, einschließlich Leistungsüberprüfungen, kam bei den Teamleitern zu ihrer normalen Projektarbeit hinzu.''<br>
Die Teamleiter hatten keine Verantwortung für die finanziellen oder qualitativen Aspekte der Arbeit. Diese Verantwortung wurde an die beiden Abteilungsleiter delegiert, die alle Teams überwachten. In der Hierarchie standen diese Abteilungsleiter zwischen den Teamleitern und den Direktoren. Die Direktoren jedoch, Stork unter ihnen, waren auch damit beschäftigt, die Inhalte von Projekten zu definieren und die Kundenbeziehungen aufrecht zu erhalten.
Die Teamleiter hatten keine Verantwortung für die finanziellen oder qualitativen Aspekte der Arbeit. Diese Verantwortung wurde an die beiden Abteilungsleiter delegiert, die alle Teams überwachten. In der Hierarchie standen diese Abteilungsleiter zwischen den Teamleitern und den Direktoren. Die Direktoren jedoch, Stork unter ihnen, waren auch damit beschäftigt, die Inhalte von Projekten zu definieren und die Kundenbeziehungen aufrecht zu erhalten.


''''''


'''''''''Mama-und-Papa-Verhalten'''<br>
Diese Struktur war in einiger Hinsicht ungünstig. Es war unklar, wer den Produktionsprozess überwachte oder wer für was verantwortlich war. Daher gab es viel &quot;Mama-und-Papa-Verhalten&quot;, wie Stork es nennt. &quot;Wenn ein Abteilungsleiter etwas untersagte, wandten sich die Leute an den nächsten, um die Zustimmung zu bekommen. Es war auch schwierig, in Richtung Qualität zu steuern. Die Direktoren waren hauptsächlich an der inhaltlichen Qualität orientiert, während sich die Projektleiter mehr auf die Qualität der Abläufe konzentrierten.&quot; Außerdem ging die Führung auf verschiedenen Ebenen in verschiedene Richtungen. Ein Teammitglied konnte zum Beispiel mit dem Segen von einem Direktor einem Projekt zusätzliche Zeit widmen, um den Kunden besser zufrieden zu stellen, während aus der Sicht des Abteilungsleiters in der Rückschau diese Entscheidung in finanzieller Hinsicht schlecht war.


''''''
'''Mama-und-Papa-Verhalten'''<br>
Diese Struktur war in einiger Hinsicht ungünstig. Es war unklar, wer den Produktionsprozess überwachte oder wer für was verantwortlich war. Daher gab es viel „Mama-und-Papa-Verhalten“, wie Stork es nennt. „Wenn ein Abteilungsleiter etwas untersagte, wandten sich die Leute an den nächsten, um die Zustimmung zu bekommen. Es war auch schwierig, in Richtung Qualität zu steuern. Die Direktoren waren hauptsächlich an der inhaltlichen Qualität orientiert, während sich die Projektleiter mehr auf die Qualität der Abläufe konzentrierten.“ Außerdem ging die Führung auf verschiedenen Ebenen in verschiedene Richtungen. Ein Teammitglied konnte zum Beispiel mit dem Segen von einem Direktor einem Projekt zusätzliche Zeit widmen, um den Kunden besser zufrieden zu stellen, während aus der Sicht des Abteilungsleiters in der Rückschau diese Entscheidung in finanzieller Hinsicht schlecht war.


'''''''''Bessere Abstimmung'''<br>
Jeder wusste um das Verbesserungspotenzial in der Arbeitsorganisation und es gab wiederholt Vereinbarungen dazu. Aber niemand war für die Umsetzung der Vereinbarungen verantwortlich, da es keine Klarheit über die Befugnisse gab, die zu bestimmten Aufgaben gehörten. So führten die Vereinbarungen nur zu unausgereiften Lösungen. Die Lösung des Soziokratischen Zentrums war, die Organisationsstruktur zu ändern. Die Gebiete der Abteilungen wurden eindeutig definiert und ihre verschiedenen Funktionen wurden miteinander abgestimmt. Die Veränderungen verbesserten die Koordination zwischen Führung und Umsetzung und zwischen Produktion und Verkauf. Die Arbeitsabläufe in den Abteilungen wurden anhand des Kreisprozesses von Leiten, Ausführen und Messen neu formuliert und klar einzelnen Funktionen zugeordnet. Jede Abteilung gewann zudem die Entscheidungshoheit über ihre Belange und damit stieg die Selbstverantwortung.<br>''''''


''''''
 
'''Bessere Abstimmung'''<br>
Jeder wusste um das Verbesserungspotenzial in der Arbeitsorganisation und es gab wiederholt Vereinbarungen dazu. Aber niemand war für die Umsetzung der Vereinbarungen verantwortlich, da es keine Klarheit über die Befugnisse gab, die zu bestimmten Aufgaben gehörten. So führten die Vereinbarungen nur zu unausgereiften Lösungen. Die Lösung des Soziokratischen Zentrums war, die Organisationsstruktur zu ändern. Die Gebiete der Abteilungen wurden eindeutig definiert und ihre verschiedenen Funktionen wurden miteinander abgestimmt. Die Veränderungen verbesserten die Koordination zwischen Führung und Umsetzung und zwischen Produktion und Verkauf. Die Arbeitsabläufe in den Abteilungen wurden anhand des Kreisprozesses von Leiten, Ausführen und Messen neu formuliert und klar einzelnen Funktionen zugeordnet. Jede Abteilung gewann zudem die Entscheidungshoheit über ihre Belange und damit stieg die Selbstverantwortung.<br>


'''Die Verwirrung entwirrt'''<br>
'''Die Verwirrung entwirrt'''<br>
Wie sieht die Organisation von Fabrique im Augenblick aus? Paul Stork sagt, dass es derzeit drei Abteilungen gibt:<br>
Wie sieht die Organisation von Fabrique im Augenblick aus? Paul Stork sagt, dass es derzeit drei Abteilungen gibt:<br>
„''Diese arbeiten wie zuvor medienübergreifend: Sie arbeiten in beiden Bereichen, den Printmedien und dem Internet. Jede hat ihre eigenen Kunden und trägt ihre eigene Verantwortung für Verkauf und Qualität. Zwei der drei Abteilungen - gleichzeitig die größten beiden - haben inzwischen einen Leiter, der vollzeit führt und nicht mehr im operativen Geschäft tätig ist. Die dritte Abteilung ist dafür noch zu klein, aber sie wird vielleicht in der Zukunft ihren eigenen Abteilungsleiter erhalten. Zurzeit ist der Leiter ein &quot;mitarbeitender Abteilungsleiter&quot;.'' &quot;<br>
„''Diese arbeiten wie zuvor medienübergreifend: Sie arbeiten in beiden Bereichen, den Printmedien und dem Internet. Jede hat ihre eigenen Kunden und trägt ihre eigene Verantwortung für Verkauf und Qualität. Zwei der drei Abteilungen - gleichzeitig die größten beiden - haben inzwischen einen Leiter, der vollzeit führt und nicht mehr im operativen Geschäft tätig ist. Die dritte Abteilung ist dafür noch zu klein, aber sie wird vielleicht in der Zukunft ihren eigenen Abteilungsleiter erhalten. Zurzeit ist der Leiter ein „mitarbeitender Abteilungsleiter“.''<br>
Die Verwirrungen der Führungsebenen, die das Unternehmen durchzogen, wurden ziemlich gut entwirrt. Die Abteilungsleiterin ist verantwortlich für Arbeitsklima, Qualität, Entwicklung und Finanzen. Sie weist auch die ProjektleiterInnen an, die für den alltäglichen Fortschritt der Arbeit zuständig sind. Die Abteilungen definieren auch ihre eigenen Grundsätze, unter dem Vorbehalt, dass sie diese mit den anderen Abteilungen abstimmen, damit sie nicht gegen die allgemeinen Ziele von Fabrique stehen.<br>
Die Verwirrungen der Führungsebenen, die das Unternehmen durchzogen, wurden ziemlich gut entwirrt. Die Abteilungsleiterin ist verantwortlich für Arbeitsklima, Qualität, Entwicklung und Finanzen. Sie weist auch die Projektleiter*innen an, die für den alltäglichen Fortschritt der Arbeit zuständig sind. Die Abteilungen definieren auch ihre eigenen Grundsätze, unter dem Vorbehalt, dass sie diese mit den anderen Abteilungen abstimmen, damit sie nicht gegen die allgemeinen Ziele von Fabrique stehen.<br>
„''Alles ist jetzt viel besser steuerbar“, meint Stork. „Kein Mama-und-Papa-Verhalten und das Geschäft hat auch an Dynamik gewonnen“. Er nennt ein Beispiel: &quot;Wir haben einen neuen Plan zur Steigerung der Rentabilität von Projekten gestartet. Seine Umsetzung begann erst langsam. Aber nun, da wir unsere organi-satorischen Änderungen durchgeführt haben, können wir die Projektverant-wortlichen besser identifizieren und sie arbeiten motivierter. Die Dinge gehen viel schneller, und die Gewinne steigen.''&quot;<br>''''''
„''Alles ist jetzt viel besser steuerbar“, meint Stork. „Kein Mama-und-Papa-Verhalten und das Geschäft hat auch an Dynamik gewonnen“. Er nennt ein Beispiel: „Wir haben einen neuen Plan zur Steigerung der Rentabilität von Projekten gestartet. Seine Umsetzung begann erst langsam. Aber nun, da wir unsere organisatorischen Änderungen durchgeführt haben, können wir die Projektverantwortlichen besser identifizieren und sie arbeiten motivierter. Die Dinge gehen viel schneller, und die Gewinne steigen.''<br>'''Die neue Rolle der Direktor*innen'''<br>
 
Als Direktor ist Stork jetzt weniger in Angelegenheiten der Umsetzung eingebunden. Er muss sich keine Sorgen um Fristen für Projekte oder um die Planung von Weiterbildungen oder Versammlungen mehr machen, weil das in der Verantwortung der jeweiligen Führungskräfte liegt. Marketing ist jetzt seine erste Aufgabe. Er lacht:''' „Wenn ich manchmal in meine alte Gewohnheit zurückfalle, mich in Projekte einzumischen, sind die Abteilungs- und Projektleiter bevollmächtigt, mich darauf hinzuweisen, weil es jetzt klar ist, wer für was verantwortlich ist.'''<br>
''''''
Damit erhalten diese eine Korrekturfunktion und können die Direktoren*innen an ihre Funktionsgrenzen erinnern. Doch damit nicht genug, zukünftig könnten Aufgaben, die jetzt von den Direktoren und von Beratern wahrgenommen werden, ebenfalls an die Abteilungen delegiert werden. Stork:<br>
 
''Die Mitarbeiter in den Abteilungen möchten nicht dasitzen und auf Aufträge warten, sondern ihr eigenes Marketing machen. Sie möchten nicht auf Futter warten, wie ein Nest junger Vögel, die mit ihren weit geöffneten hungrigen Schnäbeln auf einen Wurm warten.'' Sobald das eingeführt sein wird, werden die Abteilungen Organismen geworden sein, mit der Fähigkeit, ihr eigenes Fortbestehen zu sichern. Dann werden sie drei wichtige Funktionen in ihren eigenen Händen haben: Sicherstellen, dass sie Input bekommen (Werbung/Akquise), dass sie etwas produzieren (Transformation) und dass ihre Produkte ausgeliefert werden (Output).<br>
'''Die neue Rolle der DirektorInnen'''<br>
Als Direktor ist Stork jetzt weniger in Angelegenheiten der Umsetzung eingebunden. Er muss sich keine Sorgen um Fristen für Projekte oder um die Planung von Weiterbildungen oder Versammlungen mehr machen, weil das in der Verantwortung der jeweiligen Führungskräfte liegt. Marketing ist jetzt seine erste Aufgabe. Er lacht: &quot;'''Wenn ich manchmal in meine alte Gewohnheit zurückfalle, mich in Projekte einzumischen, sind die Abteilungs- und Projektleiter bevollmächtigt, mich darauf hinzuweisen, weil es jetzt klar ist, wer für was verantwortlich ist.'''&quot;<br>
Damit erhalten diese eine Korrekturfunktion und können die DirektorenInnen an ihre Funktionsgrenzen erinnern. Doch damit nicht genug, zukünftig könnten Aufgaben, die jetzt von den Direktoren und von Beratern wahrgenommen werden, ebenfalls an die Abteilungen delegiert werden. Stork:<br>
&quot;''Die Mitarbeiter in den Abteilungen möchten nicht dasitzen und auf Aufträge warten, sondern ihr eigenes Marketing machen. Sie möchten nicht auf Futter warten, wie ein Nest junger Vögel, die mit ihren weit geöffneten hungrigen Schnäbeln auf einen Wurm warten.''&quot; Sobald das eingeführt sein wird, werden die Abteilungen Organismen geworden sein, mit der Fähigkeit, ihr eigenes Fortbestehen zu sichern. Dann werden sie drei wichtige Funktionen in ihren eigenen Händen haben: Sicherstellen, dass sie Input bekommen (Werbung/Akquise), dass sie etwas produzieren (Transformation) und dass ihre Produkte ausgeliefert werden (Output).<br>
Wird sich Stork dann auf seinen Lorbeeren ausruhen können? Nein, er wird sich aufgrund seiner Projekterfahrung und Leitungsfunktion mit mehreren Themen beschäftigen: dem Nachdenken über die Zukunft des Unternehmens, der Gestaltung und Ausformung von Kooperation mit externen Partnern sowie der Kundenpflege und Einführung von Neuerungen.
Wird sich Stork dann auf seinen Lorbeeren ausruhen können? Nein, er wird sich aufgrund seiner Projekterfahrung und Leitungsfunktion mit mehreren Themen beschäftigen: dem Nachdenken über die Zukunft des Unternehmens, der Gestaltung und Ausformung von Kooperation mit externen Partnern sowie der Kundenpflege und Einführung von Neuerungen.


Zeile 53: Zeile 47:
Die Soziokratie wurde von Prof. Dr. Gerard Endenburg seit den 1960er Jahren auf der Grundlage der Ideen und Erfahrungen des niederländischen Sozialreformers Kees Boeke entwickelt und in sein eigenes Unternehmen (Endenburg Elektrotechniek) implementiert. In den siebziger Jahren entstand die Stiftung Sociocratisch Centrum Rotterdam mit dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse weiterzugeben.
Die Soziokratie wurde von Prof. Dr. Gerard Endenburg seit den 1960er Jahren auf der Grundlage der Ideen und Erfahrungen des niederländischen Sozialreformers Kees Boeke entwickelt und in sein eigenes Unternehmen (Endenburg Elektrotechniek) implementiert. In den siebziger Jahren entstand die Stiftung Sociocratisch Centrum Rotterdam mit dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse weiterzugeben.


''''''
 


'''Die soziokratische Organisation'''<br>
'''Die soziokratische Organisation'''<br>
Zeile 62: Zeile 56:
2) Die Arbeit wird in Kreisen und Kreisprozessen organisiert. Ein Kreis ist eine Gruppe von Menschen, die regelmäßig zusammenkommen und ein gemeinsames Ziel erreichen wollen. Im Unternehmen können das einzelne Teams, Bereiche, Abteilungen oder das Top-Management sein. Als Kreisprozess wird der dynamische Prozess von Leiten – Durchführen – Messen bezeichnet und hier so etwas wie ein Regelkreislauf oder kybernetischer Kreis.<br>[[Datei:Abbildung6.jpg|300px|none|thumb|Der dynamische Prozess]]
2) Die Arbeit wird in Kreisen und Kreisprozessen organisiert. Ein Kreis ist eine Gruppe von Menschen, die regelmäßig zusammenkommen und ein gemeinsames Ziel erreichen wollen. Im Unternehmen können das einzelne Teams, Bereiche, Abteilungen oder das Top-Management sein. Als Kreisprozess wird der dynamische Prozess von Leiten – Durchführen – Messen bezeichnet und hier so etwas wie ein Regelkreislauf oder kybernetischer Kreis.<br>[[Datei:Abbildung6.jpg|300px|none|thumb|Der dynamische Prozess]]


3) Es gibt eine doppelte Verknüpfung von Kreisen, d.h. es gibt zwischen einem oberen und unteren Kreis zwei Verbindungsglieder. Zum einen den*die Chef*in, der*die von oben gewählt wird und zum anderen eine*n Vertreter*in, der von dem jeweiligen Kreis gewählt wird. Ziel ist es, die beiden Funktionen Leiten (Chef) und Messen (Vertreter) voneinander zu trennen.<br>
3) Es gibt eine doppelte Verknüpfung von Kreisen, d.h. es gibt zwischen einem oberen und unteren Kreis zwei Verbindungsglieder. Zum einen den*die Chef*in, der*die von oben gewählt wird und zum anderen eine*n Vertreter*in, der von dem jeweiligen Kreis gewählt wird. Ziel ist es, die beiden Funktionen Leiten (Chef) und Messen (Vertreter) voneinander zu trennen.<br>[[Datei:Abbildung7.jpg|300px|none|thumb|Der Kreis der Soziokratie]]
 
[[Datei:Abbildung7.jpg|300px|none|thumb|Der Kreis der Soziokratie]]


Die Bereichskreise (Unternehmensbereich wie Marketing, Produktion, Distribution…) sind weiter aufgegliedert in die verschiedenen Abteilungskreise, die wiederum weiter aufgeteilt sind. Diese Kreisorganisation besteht neben der linearen Struktur. In diesen Kreisen werden die „politischen“ Entscheidungen getroffen, d.h. Grundsatzentscheidungen, die auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet sind. Das Tagesgeschäft und die Ausführung dieser Entscheidungen funktioniert in den traditionellen Stablinien.<br>
Die Bereichskreise (Unternehmensbereich wie Marketing, Produktion, Distribution…) sind weiter aufgegliedert in die verschiedenen Abteilungskreise, die wiederum weiter aufgeteilt sind. Diese Kreisorganisation besteht neben der linearen Struktur. In diesen Kreisen werden die „politischen“ Entscheidungen getroffen, d.h. Grundsatzentscheidungen, die auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet sind. Das Tagesgeschäft und die Ausführung dieser Entscheidungen funktioniert in den traditionellen Stablinien.<br>

Aktuelle Version vom 12. Juli 2023, 16:29 Uhr

Soziokratie als Beispiel für Zukunftsorganisation

Es gibt eine Menge Sonderformen der Organisation, die letztlich alle auf dem vor ca. 10.000 Jahren (in der heutigen Form, Vorformen gab es schon viel früher) erfundenen Modell der Hierarchie beruhen. Wir werden sie in der Lektion 5 noch durcharbeiten, wenngleich in stark komprimierter Form.
Die Soziokratie soll ein Beispiel für eine Organisationsform sein, die es noch nicht wirklich gibt. Selbstverständlich gibt es sie doch, sie wird in einer gewissen Anzahl an Unternehmen bereits praktiziert und zwar mit – dort – großem Erfolg.
Sie hat sich aber noch nicht in der Wirtschaft durchgesetzt, sondern wird bisher vor allem im Schulbereich, in kleineren Firmen und manchen Non-Profit-Organisationen verwendet. Den Grund dafür sehen wir uns später an. Nun zum Modell. Als ersten Schritt nähern wir uns über eine Fallstudie an:

Raus aus dem Durcheinander

Aus dem englischsprachigen Newsletter 02/2008, übersetzt von Isabell Dierkes, redigiert von Christian Rüther
Fabrique in Delf/Holland, ist ein multidisziplinäres Designunternehmen für neue Medien, Markenentwicklung, Grafik- und Industriedesign. Es wurde 1992 gegründet, beschäftigt ungefähr 90 Mitarbeiter und arbeitet seit 2004 mit der Soziokratie. Es hat schon zahlreiche Preise für seine Entwürfe und Arbeiten gewonnen.
Kunden von Fabrique sind die Konsumgüterindustrie, Unterhaltungsunternehmen, Kultur- und Dienstleistungsunternehmen, die Regierung und Organisationen im Erziehungsbereich.
Zu Beginn der Arbeit mit der Soziokratie wurden bei Fabrique die Produktionsprozesse analysiert und umstrukturiert. Das führte zu einer besseren Aufgabenverteilung und einer neuen Organisationsstruktur. Die Arbeit wird jetzt effektiver und mit höherer Qualität ausgeführt.
Paul Stork, einer der drei Geschäftsführer von Fabrique, erklärt: 
„Das Unternehmen setzte sich früher aus relativ kleinen Teams zusammen. Es gab acht Mitarbeiter je Team, die sich einen Raum miteinander teilten. Ein Team bestand aus Designern, Programmierern und Projektleitern. Der Teamleiter, eine mitarbeitende Führungskraft, bestimmte die Vorgaben. Er oder sie war für das Arbeitsklima und die Entwicklung innerhalb der Mannschaft verantwortlich. Diese Arbeit, einschließlich Leistungsüberprüfungen, kam bei den Teamleitern zu ihrer normalen Projektarbeit hinzu.“
Die Teamleiter hatten keine Verantwortung für die finanziellen oder qualitativen Aspekte der Arbeit. Diese Verantwortung wurde an die beiden Abteilungsleiter delegiert, die alle Teams überwachten. In der Hierarchie standen diese Abteilungsleiter zwischen den Teamleitern und den Direktoren. Die Direktoren jedoch, Stork unter ihnen, waren auch damit beschäftigt, die Inhalte von Projekten zu definieren und die Kundenbeziehungen aufrecht zu erhalten.


Mama-und-Papa-Verhalten
Diese Struktur war in einiger Hinsicht ungünstig. Es war unklar, wer den Produktionsprozess überwachte oder wer für was verantwortlich war. Daher gab es viel „Mama-und-Papa-Verhalten“, wie Stork es nennt. „Wenn ein Abteilungsleiter etwas untersagte, wandten sich die Leute an den nächsten, um die Zustimmung zu bekommen. Es war auch schwierig, in Richtung Qualität zu steuern. Die Direktoren waren hauptsächlich an der inhaltlichen Qualität orientiert, während sich die Projektleiter mehr auf die Qualität der Abläufe konzentrierten.“ Außerdem ging die Führung auf verschiedenen Ebenen in verschiedene Richtungen. Ein Teammitglied konnte zum Beispiel mit dem Segen von einem Direktor einem Projekt zusätzliche Zeit widmen, um den Kunden besser zufrieden zu stellen, während aus der Sicht des Abteilungsleiters in der Rückschau diese Entscheidung in finanzieller Hinsicht schlecht war.


Bessere Abstimmung
Jeder wusste um das Verbesserungspotenzial in der Arbeitsorganisation und es gab wiederholt Vereinbarungen dazu. Aber niemand war für die Umsetzung der Vereinbarungen verantwortlich, da es keine Klarheit über die Befugnisse gab, die zu bestimmten Aufgaben gehörten. So führten die Vereinbarungen nur zu unausgereiften Lösungen. Die Lösung des Soziokratischen Zentrums war, die Organisationsstruktur zu ändern. Die Gebiete der Abteilungen wurden eindeutig definiert und ihre verschiedenen Funktionen wurden miteinander abgestimmt. Die Veränderungen verbesserten die Koordination zwischen Führung und Umsetzung und zwischen Produktion und Verkauf. Die Arbeitsabläufe in den Abteilungen wurden anhand des Kreisprozesses von Leiten, Ausführen und Messen neu formuliert und klar einzelnen Funktionen zugeordnet. Jede Abteilung gewann zudem die Entscheidungshoheit über ihre Belange und damit stieg die Selbstverantwortung.

Die Verwirrung entwirrt
Wie sieht die Organisation von Fabrique im Augenblick aus? Paul Stork sagt, dass es derzeit drei Abteilungen gibt:
Diese arbeiten wie zuvor medienübergreifend: Sie arbeiten in beiden Bereichen, den Printmedien und dem Internet. Jede hat ihre eigenen Kunden und trägt ihre eigene Verantwortung für Verkauf und Qualität. Zwei der drei Abteilungen - gleichzeitig die größten beiden - haben inzwischen einen Leiter, der vollzeit führt und nicht mehr im operativen Geschäft tätig ist. Die dritte Abteilung ist dafür noch zu klein, aber sie wird vielleicht in der Zukunft ihren eigenen Abteilungsleiter erhalten. Zurzeit ist der Leiter ein „mitarbeitender Abteilungsleiter“.
Die Verwirrungen der Führungsebenen, die das Unternehmen durchzogen, wurden ziemlich gut entwirrt. Die Abteilungsleiterin ist verantwortlich für Arbeitsklima, Qualität, Entwicklung und Finanzen. Sie weist auch die Projektleiter*innen an, die für den alltäglichen Fortschritt der Arbeit zuständig sind. Die Abteilungen definieren auch ihre eigenen Grundsätze, unter dem Vorbehalt, dass sie diese mit den anderen Abteilungen abstimmen, damit sie nicht gegen die allgemeinen Ziele von Fabrique stehen.
Alles ist jetzt viel besser steuerbar“, meint Stork. „Kein Mama-und-Papa-Verhalten und das Geschäft hat auch an Dynamik gewonnen“. Er nennt ein Beispiel: „Wir haben einen neuen Plan zur Steigerung der Rentabilität von Projekten gestartet. Seine Umsetzung begann erst langsam. Aber nun, da wir unsere organisatorischen Änderungen durchgeführt haben, können wir die Projektverantwortlichen besser identifizieren und sie arbeiten motivierter. Die Dinge gehen viel schneller, und die Gewinne steigen.“
Die neue Rolle der Direktor*innen
Als Direktor ist Stork jetzt weniger in Angelegenheiten der Umsetzung eingebunden. Er muss sich keine Sorgen um Fristen für Projekte oder um die Planung von Weiterbildungen oder Versammlungen mehr machen, weil das in der Verantwortung der jeweiligen Führungskräfte liegt. Marketing ist jetzt seine erste Aufgabe. Er lacht: „Wenn ich manchmal in meine alte Gewohnheit zurückfalle, mich in Projekte einzumischen, sind die Abteilungs- und Projektleiter bevollmächtigt, mich darauf hinzuweisen, weil es jetzt klar ist, wer für was verantwortlich ist.“
Damit erhalten diese eine Korrekturfunktion und können die Direktoren*innen an ihre Funktionsgrenzen erinnern. Doch damit nicht genug, zukünftig könnten Aufgaben, die jetzt von den Direktoren und von Beratern wahrgenommen werden, ebenfalls an die Abteilungen delegiert werden. Stork:
Die Mitarbeiter in den Abteilungen möchten nicht dasitzen und auf Aufträge warten, sondern ihr eigenes Marketing machen. Sie möchten nicht auf Futter warten, wie ein Nest junger Vögel, die mit ihren weit geöffneten hungrigen Schnäbeln auf einen Wurm warten.“ Sobald das eingeführt sein wird, werden die Abteilungen Organismen geworden sein, mit der Fähigkeit, ihr eigenes Fortbestehen zu sichern. Dann werden sie drei wichtige Funktionen in ihren eigenen Händen haben: Sicherstellen, dass sie Input bekommen (Werbung/Akquise), dass sie etwas produzieren (Transformation) und dass ihre Produkte ausgeliefert werden (Output).
Wird sich Stork dann auf seinen Lorbeeren ausruhen können? Nein, er wird sich aufgrund seiner Projekterfahrung und Leitungsfunktion mit mehreren Themen beschäftigen: dem Nachdenken über die Zukunft des Unternehmens, der Gestaltung und Ausformung von Kooperation mit externen Partnern sowie der Kundenpflege und Einführung von Neuerungen.

Was ist nun „Soziokratie“?

Es ist an der Zeit, die Rahmenbedingungen zu definieren: Soziokratie ist ein Ansatz, der ein Unternehmen in folgenden Aspekten bereichern könnte:

  • Entscheidungen werden von allen Beteiligten getragen. Das erhöht die Motivation/Selbstdisziplin auch bei der Umsetzung mitzuwirken und kann die brachliegenden Produktivitätspotenziale entfalten. Krankenstand und „innere“ Kündigungen nehmen ab, die Identifikation mit dem Unternehmen steigt. Die Mitarbeiter*innen gehen gerne zur Arbeit und fühlen sich am Arbeitsplatz wohl.
  • Die Qualitäten/Kompetenzen/das Knowhow der Mitarbeiter*innen fließen in die Entscheidungsfindung mit ein – Nachhaltigkeit und Qualität der Entscheidungen steigen.
  • Der Wandel wird als Teil der natürlichen Entwicklung akzeptiert, das Unternehmen und die Mitarbeiter*innen gestalten aktiv Veränderungen im Unternehmen. Change Prozesse werden als Chance gesehen, gefördert und unterstützt.

Die Soziokratie ist ein System von Managementinstrumenten, wodurch Organisation effektiv und effizient „produziert“ werden kann. Die Methode basiert auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Steuern dynamischer Prozesse (Kybernetik).
Die Soziokratie wurde von Prof. Dr. Gerard Endenburg seit den 1960er Jahren auf der Grundlage der Ideen und Erfahrungen des niederländischen Sozialreformers Kees Boeke entwickelt und in sein eigenes Unternehmen (Endenburg Elektrotechniek) implementiert. In den siebziger Jahren entstand die Stiftung Sociocratisch Centrum Rotterdam mit dem Ziel, die gewonnenen Erkenntnisse weiterzugeben.


Die soziokratische Organisation
Die Soziokratie kann jeder bestehenden Organisation oder Struktur hinzugefügt werden, wenn ein gemeinsames Ziel besteht.
Die Soziokratie basiert auf vier grundlegenden Prinzipien:

1) Der Konsent regiert die Beschlussfassung, dabei meint Konsent hier: Es gibt keine schwerwiegenden und begründeten Einwände gegen einen Beschluss. Schwerwiegend meint die persönliche Einschätzung, ob diese Entscheidung dem gemeinsamen Ziel dient, d.h. innerhalb eines Toleranzbereiches zur Zielerreichung liegt. Begründet meint, ob ich Argumente liefern kann, die gegen einen möglichen Vorschlag sprechen. Es gibt hier kein Vetorecht, nur den Austausch und das Aushandeln auf der Basis von nachvollziehbaren Argumenten (das Argument regiert).

2) Die Arbeit wird in Kreisen und Kreisprozessen organisiert. Ein Kreis ist eine Gruppe von Menschen, die regelmäßig zusammenkommen und ein gemeinsames Ziel erreichen wollen. Im Unternehmen können das einzelne Teams, Bereiche, Abteilungen oder das Top-Management sein. Als Kreisprozess wird der dynamische Prozess von Leiten – Durchführen – Messen bezeichnet und hier so etwas wie ein Regelkreislauf oder kybernetischer Kreis.

Der dynamische Prozess

3) Es gibt eine doppelte Verknüpfung von Kreisen, d.h. es gibt zwischen einem oberen und unteren Kreis zwei Verbindungsglieder. Zum einen den*die Chef*in, der*die von oben gewählt wird und zum anderen eine*n Vertreter*in, der von dem jeweiligen Kreis gewählt wird. Ziel ist es, die beiden Funktionen Leiten (Chef) und Messen (Vertreter) voneinander zu trennen.

Der Kreis der Soziokratie

Die Bereichskreise (Unternehmensbereich wie Marketing, Produktion, Distribution…) sind weiter aufgegliedert in die verschiedenen Abteilungskreise, die wiederum weiter aufgeteilt sind. Diese Kreisorganisation besteht neben der linearen Struktur. In diesen Kreisen werden die „politischen“ Entscheidungen getroffen, d.h. Grundsatzentscheidungen, die auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet sind. Das Tagesgeschäft und die Ausführung dieser Entscheidungen funktioniert in den traditionellen Stablinien.

4) Die Wahl von Personen und Funktionen findet in offener Aussprache und im Konsent statt: Jedes Mitglied wählt eine Person mit Hilfe eines Wahlscheins.

Der Wahlschein
  • Der*die Wahlleiter*in liest die Zettel vor und bittet jeweils um Begründung für die Wahl.
  • Der*die Wahlleiter*in fragt, ob jemand seine Meinung geändert hat.
  • Der*die Wahlleiter*in macht aufgrund der Rückmeldungen einen Wahlvorschlag.
  • Die TN geben ihre Zustimmung oder ihre Bedenken und begründen sie nachher.
  • Der*die Wahlleiter*in integriert die Bedenken in einen neuen Vorschlag.

Prinzipien für die Soziokratische Organisation

  • Meinungen können jederzeit geändert werden, auch Beschlüsse können bei einer späteren Versammlung wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn es neue wesentliche Informationen gibt = dynamische Steuerung. Die Steuerung ist flexibel, pragmatisch. Wenn sich etwas an den Bedingungen/Ergebnissen ändert, kann sofort darauf reagiert werden.
  • Es geht nicht um perfekte, sondern optimal machbare Lösungen auf der Basis der derzeitigen Kenntnisse und Ressourcen.
  • Es gibt eine konstruktive Fehlerkultur. Fehler sind einfach Messungen, die ein Verlassen des Zielkorridors anzeigen. Sie dienen als Rückmeldung, um wieder auf die Spur zu kommen.
  • Es gibt ein hohes Maß an Transparenz = alle für eine Entscheidung notwendigen Informationen müssen vorliegen, d.h. dass alle Beteiligten ein Recht auf den Zugang zu den für die Entscheidung notwendigen Informationen haben.
  • Es gibt eine politische Ebene der Kreisversammlungen, in der die wesentlichen Rahmenbedingungen beschlossen werden, und eine ausführende Ebene, meistens in Linienform mit klassischer Aufteilung Chef*in und Teammitglieder, die das Tagesgeschäft erledigen und ausführen.
  • Die Soziokratie als Organisationsform ist leer, d.h. sie kann für jede Organisation angewendet bzw. übernommen werden. Sie fördert Gleichberechtigung, ein kooperatives Miteinander, Eigenmotivation, Selbstverantwortung, Zusammenhalt und Ehrlichkeit. Insofern passt sie oder fördert sie ein kooperatives Miteinander. Herrschaftshierarchien werden verändert zu funktionalen Hierarchien.
  • Es gibt eine Kultur des Sowohl-als-auch statt des Entweder-oder. Es geht sowohl um wirtschaftlichen Erfolg als auch Menschlichkeit, es geht um Konsententscheidungen im Kreis und Ausführung in funktionalen Hierarchien. (Scheinbare) Widersprüche werden aufgelöst.


Die soziokratische Moderation der Kreisversammlung
Die soziokratische Methode gibt eine klare Struktur und konkrete Hilfen, wie in Kreissitzungen Konsent-Entscheidungen herbeigeführt werden können.
Dabei fallen besonders folgende Elemente auf:

1) Die Unterteilung in verschiedene Runden: Bildformende Runden (Sammlung aller relevanten Informationen zu einem Thema), Meinungsbildende Runden (jede*r sagt seine*ihre Meinung zu dem Thema) und Konsentrunden (Beschlussfassung und Suche nach einem Beschluss ohne schwerwiegenden Einwand)
2) Das klare Ablaufschema für eine Kreissitzung: Einstiegsrunde

  • Moderator*in erinnert an das gemeinsame Ziel der Organisation/Versammlung
  • Befindlichkeitsrunde: Wie geht’s mir jetzt? Was brauche ich, um präsent zu sein?
  • Bitten/Änderungswünsche zur jetzigen Tagesordnung

Administrativer Teil (was wird gebraucht, damit das Treffen effektiv ablaufen kann):

  • Ankündigungen, die das Treffen beeinflussen könnten
  • Länge des Meetings
  • Bestätigung des Protokolls des letzten Meetings
  • Datum, Ort des nächsten Meetings
  • Beschluss der gemeinsamen Tagesordnung für dieses Meeting

inhaltlicher Teil mit den einzelnen Themen


Thema 1 (nach folgendem Ablaufschema)
Bildformende Phase: Präsentation des Themas/des Vorschlages und Sammeln aller Informationen, die für die Meinungsformung notwendig sind. Meinungsformende Phase: Alle Teilnehmer*innen haben die Gelegenheit, ihre Meinung zu dem Thema zu äußern (hintereinander). Danach wird es meistens noch eine zweite Meinungsrunde geben. Dabei werden mögliche Lösungsvorschläge oder Kriterien für eine Lösung gesammelt. Entscheidungsfindende Phase: Der*die Moderator*in formuliert einen Vorschlag auf Basis der Kriterien aus der Meinungsformenden Runde, liest ihn vor und stellt ihn zur Abstimmung. Jede*r Teilnehmer*in gibt seinen Konsent oder nennt einen schwerwiegenden Einwand. Gemeinsam wird das Argument hinter dem Einwand in einen neuen Vorschlag eingearbeitet und wieder zur Abstimmung gegeben, bis alle einverstanden sind.


Thema 2
Abschlussrunde

  • Befindlichkeitsrunde: Wie geht’s mir jetzt?
  • Rückmeldung zur Effektivität des Meetings – Messen, inwieweit Bedürfnisse erfüllt wurden
  • Themen/TOP für das nächste Meeting


3) Das Reden nacheinander im Kreis, Blitzlichtrunden statt offene Diskussion. In der Regel geht es z.B. bei der Meinungsformenden Phase ein- oder zweimal im Kreis und jede*r Teilnehmer*in kann sagen, was zu dem Thema auf dem Herzen liegt. So wird jede*r gehört und jeder kann auch die dazukommenden Gedanken äußern und weitere Kriterien ergänzen. Diese Form der Erhebung verhindert unfruchtbare Diskussionen, die sich im Kreis drehen, sowie Polarisierungen zwischen einzelnen Vielrednern.
4) Die besondere Verantwortung des*der Moderator*in: Er*sie ist als Mitglied der Gruppe in einer Doppelrolle – einerseits Moderator*die, andererseits „normales“ Gruppenmitglied. Als Moderator*in hat er*sie die Aufgabe aus der Vielzahl der Rückmeldungen einen Vorschlag zu finden, der möglichst von allen Beteiligten getragen werden kann. Als Gruppenmitglied kann er*sie versucht sein, seine*ihre eigenen Argumente oder Vorschläge besonders zu gewichten. Der*die Moderator*in braucht eine besondere Präsenz und Lösungsorientierung. Zur Präsenz gehören unbedingte Akzeptanz der Teilnehmer*innen, die innere Klarheit, an welchem Punkt der Versammlung sich die Gruppe befindet, sowie eine Balance zwischen Führen und Laufenlassen. Zur Lösungsorientierung gehört die Geduld und Ruhe, wenn der Entscheidungsprozess etwas dauert, sowie die Fähigkeit, jeden Einwand als hilfreich zu begrüßen und die Argumente dahinter zu hören und einen konstruktiven Vorschlag für den Kreis zu finden.


Prinzipien der Soziokratischen Moderation

  • Das Argument zählt – rationeller Zugang und Fokus auf „gute“ Absichten. Emotionen haben auch ihren Platz. Sie werden als Anzeiger für bestimmte Argumente gesehen, die noch nicht genug gewürdigt sind. Allerdings zählen diese Emotionen nur, wenn die Verbindung zu den Argumenten gefunden werden kann.
  • Es wird eine Form von „Macht mit“ statt „Macht über“ gefördert: Alle Beteiligten haben die gleichen Möglichkeiten der Mitsprache und jedes Argument zählt. Dabei gibt es keine Abstufung nach Position oder Dauer der Betriebszugehörigkeit o.Ä. (Gleichwertigkeit – Gleichberechtigung der Mitarbeiter*innen – Primat des Arguments).
  • Einwände werden als noch nicht gehörte Argumente gesehen und begrüßt. Die Kunst des*der Moderator*in besteht darin, die Einwände so umzuwandeln, dass sie konstruktiv genutzt werden können.
  • Der*die Moderator*in ist nicht allein verantwortlich für das Gelingen der Kreisversammlung. Sie gehört allen Kreismitgliedern und der*die Moderator*in kann jederzeit die TN fragen, wie es weitergehen soll bzw. welche Ideen zum Prozess im Raum sind.

Grenzen und Herausforderungen

  • Funktioniert nur, wenn das Top-Management sich für die Einführung einsetzt.
  • Ist ein Lernweg, dauert und braucht Zeit, einerseits für das Unternehmen als Gesamtorganismus, andererseits für die beteiligten Personen.
  • Die Unternehmenskultur und die Soziokratie müssen zusammenpassen bzw. eine Bereitschaft zum Wandel da sein.
  • Ist Pionierarbeit, weil der Ansatz im deutschsprachigen Raum kaum bekannt ist und international erst in wenigen Unternehmen ganz implementiert wurde.

Ablauf für die Implementierung der Soziokratie in einer Organisation

  1. Information über Soziokratie: Schnupperworkshop, -seminar, externe*r Expert*in moderiert eine Teamsitzung mit der Soziokratischen Methode
  2. Top-Management möchte die Soziokratie einführen, Entscheidung für die Soziokratie
  3. Projektgruppe organisiert die Einführung, ggf. erst in einer bestimmten Abteilung
  4. Schulung der Mitarbeiter*innen in Soziokratie
  5. Während der Lernphase moderiert ein*e soziokratische*r Expert*in die ersten sechs Kreissitzungen. Danach moderiert ein*e aus der Gruppe gewählte*r Moderator*in. Der*die externe Expert*in unterstützt.
  6. Messen der Ergebnisse und Abstimmen des weiteren Vorgehens mit der Projektgruppe/ dem Management.

Literaturtipps

  • Buck, John/ Villines, Sharon: We the people. A guide to sociocratic principles, 2007
  • Endenburg/ Buck: Die kreativen Kräfte der Selbstorganisation, 2005
  • Endenburg, Gerard: Sociocracy. As social design, 1998
  • Endenburg, Gerard: Sociocracy. The organisation of decision-making “no Objection” as the principle of sociocracy, 1998

Aufgabe 3

1.) Eine schnelle Reflexion: Wie geht es Ihnen mit diesem Modell? Spinnerei oder DAS Konzept der Zukunft? Möglichst spontan antworten, in ein paar Worten!
2.) Denken Sie an die Organisation, in der Sie gerade arbeiten oder die letzte, in der Sie gearbeitet haben. Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen:
• Hätte das Konzept der Soziokratie dort eine Chance? Warum bzw. wie?
• Welche Hindernisse würden auftauchen?