Beratungstheorie - Organisationsentwicklung

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Organisationsentwicklung – Change

Ganz als Kontrapunkt zur soeben betrachteten Strategieberatung, die mit rationalem Kalkül an Problemstellungen herangeht, betrachtet Organisationsentwicklung (OE) besonders stark die weichen Faktoren von Organisationen in deren Analyse und Gestaltung. OE nährt sich damit aus dem Menschenbild der Human Relations-Bewegung und somit dem „Social Man“ und teilweise „Self Actualizing Man“. Man betrachtet und behandelt hier Organisation als Organismus und nicht mehr als Maschine. Demzufolge sind OE-Berater*innen auch Katalysator*innen, Impulsgeber*innen und erfahrene Begleiter*innen in Entwicklungsprozessen. Die Inhalte und letztliche Expertise finden sich nicht bei Berater*innen, sondern im System selbst wieder. Diese Expertise zu mobilisieren ist das Ziel von OE-Beratung. Man findet die OE ebenso unter den Schlagworten Umsetzungsberatung, Transformationsberatung oder Change Management/ Consulting wieder.

Letztlich setzt OE auf Kommunikationsprozesse rund um weiche Parameter wie Konflikte, Gruppendynamik, Motivation, Führung, Commitment und Partizipation. Damit stärkt OE das soziale System und verspricht daraus die optimale Nutzung des technischen Systems; im Zentrum steht das Lernen und damit die Herstellung der dafür nötigen Bedingungen, damit sämtliche Beteiligten aktiv mitgestalten können, um Effektivität und Menschenbezug gleichermaßen zu gewährleisten [1] .

Damit ist OE keine inhaltliche Beratung sondern Prozessberatung, es geht um „Hilfe zur Selbsthilfe“, um Sicherstellung der nötigen professionellen Rahmenbedingungen und Moderation des Entwicklungsprozesses. Gleichzeitig gibt OE ein Sicherheitsnetz durch die kontrollierte und beabsichtigte Dramaturgie des Gestaltungs- und damit Veränderungsprozesses. Da Menschen und deren Organisationen sich bekanntermaßen gegen Veränderungen sträuben und aus ökologischen Prinzipien heraus eher das (nicht) Bewährte fortsetzen, fließt in die OE eine große Portion Wissen um diese psychologischen, soziologischen und pädagogischen Gesetzmäßigkeiten ein.

Mittels OE gestaltet man Wertschöpfungsketten und Prozesse, man führt TQM-, CRM- oder Wissensmanagementsysteme [2] ein, unterstützt in der Vision-Mission-Leitbildfindung. Ganz der Metapher des Organismus folgend, geht es hier verstärkt um die Ausdifferenzierung der einzelnen Systemteile (der Organe sozusagen) und es geht bei wachsender Komplexität darum, wie man diese bewältigt, wie man die Untersysteme miteinander integriert. Wir sprechen hier von offenen Systemen, die vielfältigen Anforderungen durch Spezialisierung gerecht zu werden versuchen, die sich in einer steten Entwicklung befinden, um sich an die Umgebung anzupassen. Somit verändert OE-Beratung Situationsparameter, und führt damit in jedem Fall selbstregulierte Anpassungsaktivitäten im System herbei. Diese sind selten eindimensional, linear zu sehen, sondern bildhaft gesprochen wie eine Welle, die im System alle möglichen Impulse auslöst und sich durch die Gesamtheit fortbreitet.

Dies mag nun alles bildhaft sehr erbaulich klingen – doch welchen Strukturen folgen OE-Berater*innen, was konkret tun sie?

OE- und damit Changeberater*innen sammeln in wissenschaftlich fundierter Weise die geeigneten Daten im Klient*innensystem, beobachten also ganz besonders strukturiert durch mehrere Methoden und melden diese Ergebnisse zuerst einmal klar aufbereitet an das Klient*innensystem zurück. Sie halten dem System also eine Art Spiegel vor und bearbeiten und bewerten dann gemeinsam mit dem Klient*innensystem diese Resultate. Damit garantieren Sie Fairness, mischen sich nicht ein oder spielen sich als Richter*innen auf, sondern laden stimmig „zum Tanz“. Ziele und konkrete Interventionen (Gestaltungsmaßnahmen) werden ebenso in enger Kooperation mit dem Klient*innensystem geschmiedet – bzw. moderieren Berater*innen hier zumeist die eigenständige Ableitung der Maßnahmenkataloge und mischen sich inhaltlich nicht ein. Dies baut auf der Sichtweise auf, dass das System selbst Expert*in ist und auch nur die eigenen Entscheidungen annehmen und umsetzen kann. Nach der Implementierung und Umsetzung der Interventionen, die teilweise von Berater*innen begleitet werden, kommt es zu einer erneuten Beobachtungs- und Datensammlung – zur Evaluation, aber vor allem zum Neustart für die nächste Gestaltungsrunde.

Interventionen und Erfolgsfaktoren

Damit begegnet OE dem eigenen Anspruch und Axiom, dass man in komplexen Systemen ganzheitlich und in komplexen Wechselwirkungen beobachten, denken und agieren muss. Indem man mit solchen groben Prozessstrukturen an das System herangeht, erhalten alle Untereinheiten des Systems auch die Option, angesprochen zu sein und Teil der Anpassungsprozesse zu werden. Hierbei agiert man auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter*innen, auf der Teamebene, sowie auf der Organisationsebene. Wie im Kapitel zur Lernenden Organisation beschrieben, sind dies wesentliche Bausteine des organisationalen Lernens. Frei nach Watzlawick geht es beim Individuum um die „Mentalen Landkarten“, um die eigenen assoziativen Abbilder der Wirklichkeit, auf der Gruppenebene fokussiert man die sozialen Parameter Kommunikation, Beziehung und Konflikt. Auf der Gesamtebene des „Organismus“ Organisation legt man den Fokus auf die Kultur, das Klima, die Prozesse und Strukturen, um soziale sowie technische Elemente gleichermaßen zu betrachten. Die weiter hinten betrachtete Systemische Beratung hingegen trennt hier sehr klar zwischen Individuum und Organisation!

Damit fallen konkrete Maßnahmen auf Individualebene an, die wir alle kennen: fachliche Fortbildung, Seminare und Coachings zu sozialen Kompetenzen, Selbstmanagement, Jobrotation, Optimierung von Arbeitsplätzen, Supervision, gruppendynamische Selbsterfahrung etc.

OE-Berater*innen führen gemeinsam mit ihren Kund*innen auf der Teamebene folglich Teamklausuren, Teamsupervisionen, moderierte Teammeetings durch, begleiten in Outdoor- und Erlebnistrainings oder stimulieren Entwicklung durch Konfliktworkshops, mediative Prozesse oder Kommunikationsworkshops.

Auf organisationalem Niveau regen Berater*innen die Systementwicklung durch Beobachtung, Befragung, durch Workshops zur Prozess- und Rollenoptimierung an, aber auch durch Leitbildentwicklung, Führungskräfteprogramme, Kulturprogramme. Sehr konkrete Maßnahmen auf dieser Ebene fußen wiederum auch auf individueller Schulung und Teamschulung, etwa in der Einführung von standardisierten Mitarbeiter*innengesprächen, Feedbackschleifen, Unterlagen und Rituale zur gemeinsamen jährlichen Zielvereinbarung, aber auch zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsvorsorge.

Auch wenn OE-Beratung in sehr unterschiedlichen Bedingungen sehr unterschiedliche konkrete Ziele bedient, so gibt es dennoch erfolgsfördernde Faktoren [3] in der Prozessgestaltung:

  • Breite und eingehende Diagnose und Zustandsbeschreibung: in allen Systembereichen sollten Erhebungen stattfinden, um die bestehenden Symptome zu erfassen.
  • Klare Visionen liefern nicht nur die konkreten Ziele, sondern weit mehr Rüstzeug, damit das System sich auch in eine klare Richtung entwickeln kann.
  • Gemeinsames Problembewusstsein muss ermöglicht werden und damit wird der Weg frei für die aktive Beteiligung an der Gestaltung.
  • Es braucht eine hohe Akzeptanz und Commitment bei den Entscheidungsträger*innen, relevante Knotenpunkte im System müssen authentisch hinter der Sache stehen.
  • Kommunikation muss zeitnah, breit, offen und klar erfolgen und nicht gekünstelt sein, sondern authentisch.
  • Es braucht ein ausreichendes, aber auch herausforderndes Timing um die Veränderungsprozesse zu gewährleisten.
  • Als besonderes Projekt braucht es professionelles Projektmanagement und klare Verantwortlichkeiten, die auch akzeptiert und gelebt werden.
  • Im Zentrum steht das Empowerment, die berühmte „Hilfe zur Selbsthilfe“, welche ohne entsprechende Ressourcen und fachliche Aufrüstung nicht geleistet werden kann.
  • Sogenannte „quick wins“, also sich rasch einstellende, konkret erlebte Gewinne und Vorteile sichern den Enthusiasmus und damit die Bereitschaft, sich auf das Ziel weiter hin zu bewegen. Ohne rasche Erfolge verlässt kein System den bisherigen Weg.
  • Flexibilität in der Prozessgestaltung und –führung ist die Königstugend: Change- und OE-Berater*innen müssen rasch auf neue Umstände reagieren und nicht am ursprünglichen Entwurf und Plan festhalten. Das System und damit erst recht seine Veränderung stehen in einer starken Dynamik, ein starres Vorgehen nach Plan wie bei einer Maschine würde fehlschlagen.
  • Der Beratungsprozess, die Entwicklung muss fortlaufend und zu konkreten Entwicklungsmomenten monitoriert werden. Dies kann im Regelfall nicht zeitlich vorab geplant werden, sondern an Zuständen und erwarteten Entwicklungspunkten.
  • Verankerung der Entwicklung ist letztlich das Um und Auf, denn ohne schriftliche gemeinsame Vereinbarung und verbindliche Protokollierung kann die Organisation das erreichte Niveau nicht halten oder nicht an die nachrückende Belegschaft weiter vermitteln.

Falls Sie in Beratungsprojekten involviert sind oder waren, die explizit Veränderung, also Change zur Aufgabe haben, so werden Sie auch wissen wie es laufen kann, wenn man diese soeben genannten Dimensionen vernachlässigt. Veränderung trägt eine starke Kraft in sich, und bewirkt in komplexen Systemen auch sehr unvorteilhafte Nahzeit- und Langzeitwirkungen. Ein Mindestmaß an bewusstem Monitoring muss selbst in kleinsten Veränderungsprojekten geleistet werden, mit dem Ziel klare Fehlrichtungen zu verhindern.

Doppler und Lauerburg [4] bieten in ihren Ausführungen ebenso einige Kriterien an, die Change-Beratung zum Erfolg oder Misserfolg machen. Diese sind als Schema übersichtlich in Tabelle 6 dargestellt und spiegeln die oben beschriebenen Dimensionen wider.

Misserfolgstreiber Erfolgsstärkend
Unklare Gedanken, diffuse Ziele Transparente Projektziele, plausible Begründung
„schlampig zusammengestiefeltes“ Projektteam Handverlesene Auswahl von Schlüsselleuten
„high pressure selling“ pfannenfertiger Konzepte Beteiligung der Betroffenen bei der Lösungsfindung
Übertriebenes Effizienzstreben Realistisches Timing
Kaltstart Ordentliche Vorbereitung, Vorphasen
Lieblingsideen wirken ständig im Hintergrund mit Lieblingsideen kommen zuerst klar auf den Tisch, werden offengelegt
Fahrplan durchziehen Sensibel, flexibel den Prozess steuern
Widerstand unterdrücken oder brechen Konstruktiv mit Widerstand umgehen, herein holen
Konflikte verleugnen und vermeiden Konflikte offenlegen, Raum zugestehen, bearbeiten
Hinter verschlossenen Türen aus dem Elfenbeinturm heraus arbeiten Offene Information und lebendige Kommunikation

Tabelle 6: Kriterien für Misserfolg versus Erfolg bei Change-Beratung (nach Doppler, Lauerburg, 2005, S.166 f., zitiert nach Ameln, Kramer und Stark, 2009).


Problematisch am Menschenbild der Human Relations-Bewegung war, dass es zwar stimmt, dass man durch Eingehen auf die Bedürfnisse und vor allem Sozialen Erfordernisse der arbeitenden Menschen moralisch gut steht und man mittels Partizipation an Informationsflüssen, Entscheidungen und Gestaltung durchaus den erstrebten wirtschaftlichen Erfolg wahrscheinlicher macht. Dennoch muss hier, mit dem Vorwissen zur Weiterentwicklung des Menschenbildes darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch die Organisationsentwicklung, das Change Management die Gefahr in sich trägt, falsch verstanden zu werden und so etwa wie eine Basisdemokratie auszurufen. Die Stärkung der Partizipation, optimierte Kommunikation und die Stärkung der Konfliktbehandlung in Unternehmen ist kein schlechter Ansatz - insofern man in Changeprojekten nicht vernachlässigt, dass Ungleichgewichte und spannungsvolle Situationen in einem System Firma letztlich nicht vermieden und „kuriert“ werden können noch sollen (OE verstand sich seit jeher als Unterstützung zur Selbstheilung).

Den einen optimalen Balancezustand, wie es Organisationsentwicklung klassischerweise oft anpeilt, kann und wird es nicht geben - das soziale Miteinander der Menschen basiert seit jeher auch auf Unterschieden und Spannungen, dazu gehört auch der Unterschied zwischen den Interessen der Individuen und den Interessen der Organisation. Unternehmen können ohne jegliche Machtstrukturen und direktive Anweisungen letztlich nicht bestehen oder gar erfolgreich laufen. In sehr partizipativen Maßnahmen erlebt man demnach sogar oft den Widerstand des Systems gegen diese Beratung: Menschen wollen partiell mitgestalten, aber nur in dem alltagsrelevanten Umfeld; für strategische Bereiche verlassen sie sich gerne auf ihre spezialisierten Kolleg*innen. Ebenso sind Menschen und damit auch Organisationen letztlich überaus beschäftigt mit ihren Alltagsaufgaben und können nicht zusätzlich in umfassenden Entwicklungsprojekten überfordert und überlastet werden.

In jedem Fall führt professionelle OE-Beratung an den Fallstricken der rein strategischen Beratung vorbei, wenn es darum geht, dass der „Faktor Mensch“ bei der Umsetzung auch mit an Bord ist. Letztlich wird Organisationsentwicklung und Change-Beratung dann erfolgreich sein, wenn sie auch gleichermaßen die harten Fakten, die technische Systemseite und inhaltliche, strategische Beratung mit an Bord nimmt. Diesbezüglich spricht man heute darum auch von „integrierten Beratungsansätzen“.

Systemische Organisationsberatung

Systemtheoretischer Hintergrund

Als Vorläufer oder zumindest relevanten Paten der Systemtheorie darf hier auf Humberto R. Maturana, einem herausragenden Forscher im Bereich Neurowissenschaften, Psychologie und Philosophie verwiesen werden. Er verband als erster die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der frühen 1990er Jahre mit dem philosophischen und psychosoziologischen Diskurs zum postmodern Man und begründete das hier relevante „Autopoiese-Konzept“.

Die Väter und Mütter der Systemischen Organisationsberatung sind mehrere: neben Maturana´s Autopoiese fließen die Theorie sozialer Systeme und des Konstruktivismus (Niklas Luhmann, Ameln) hinein, aber ebenso die später daraus entwickelten Erkenntnisse aus der systemischen Familientherapie. Hinzu kommen selbstredend die bisherigen Wissensbestände der Organisationsberatung an sich, sowie die naturwissenschaftliche Selbstorganisationstheorie (nicht-lineare Vernetzung, Teufelskreis-Dynamiken). Auch Paul Watzlawick, berühmter österreichischer Kommunikationsforscher und Arno Bammé befassten sich mit dem modernen Konstruktivismus, der Sichtweise von Mensch und Organisation als spezielle (autopoietische) Systeme. Letztlich finden sich die Anfänge der Systemtheorie bei Mach, Ehrenfels und Wertheimer, im späten letzten Jahrhundert treten als Autoren von Bertalanffy („Allgemeine Systemtheorie“), von Foerster (radikaler Konstruktivismus), George Bateson, Fridjof Capra und von Glasersfeld ins Bild.

Maturana und Varela entwarfen, von der Biologie kommend (denken Sie hierbei an die Erkenntnisse zur menschlichen DNA und die genetische Reproduktion sowie Expression) das Autopoiesekonzept, mit dem sie alles Lebendige (neu) zu definieren versuchten:

Wenn wir von Lebewesen sprechen, haben wir bereits angenommen, dass es etwas gemeinsames zwischen ihnen gibt, andererseits würden wir sie nicht zu der einen Klasse zählen die wir „das Lebendige“ nennen […] Unser Vorschlag ist, dass buchstäblich andauernd selbst erzeugen. Darauf beziehen wir uns, wenn wir die sie definierende Organisation autopoietische Organisation nennen.“ [5]


Was kennzeichnet autopoietische Systeme nach Maturana:

  • Autopoiese: die Fähigkeit zur Selbsterzeugung
  • Homöostase: Selbstorganisationsprinzip, „Flussgleichgewicht“
  • Operationale Geschlossenheit: lebendige Systeme sind hier energetisch offen, aber informational geschlossen: „was wir als Wirklichkeit erleben, ist unsere eigene Konstruktion
  • Selbstreferenz: die Interaktion der Systemkomponenten führt zur Erzeugung neuer Komponenten (das System bringt sich selber stetig –neu - hervor).
  • Die Systemgrenze ist ins System integriert und kein zusätzlicher Teil

Luhmann und Giesen stellen jene Denker dar, die diese stark naturwissenschaftlich geprägten Überlegungen in den Bereich sozialer Systeme rückten. Von Foerster hingegen gilt als Vater der Kybernetik, die sich mit der Steuerbarkeit von komplexen Systemen befasst.

Ursprünglich wollte man versuchen, die Wirklichkeit angemessen, exakt und mathematisch zu beschreiben. Gelandet ist man in diesem Diskurs bei der Erkenntnis, dass es eine Systemaktivität ist, wenn wir Wirklichkeit konstruieren und damit Sinn schaffen – und dass es letztlich keine/n neutrale/n Beobachter/in gibt. Denn sobald wir beobachten oder interagieren, werden wir unentwirrbarer Teil des Systems. Im Relativismus spricht man hier davon, dass diese Wirklichkeitskonstruktion immer relativ zur Autor*in/ Urheber*in, zum erzeugenden System ist: meine „Wirklichkeit“ ist mit Sicherheit nicht die Ihre, während Sie dieses Heft lesen – auch wenn wir in wesentlichen Dingen übereinstimmen mögen.

Im Zentrum sozialer Systemtheorie steht die Kommunikation. Sie ist der Code, mit dem innerhalb und zwischen Systemen Kontakt geschieht.

René Descarte wird Ihnen ein Begriff sein, er prägte unsere Denkgeschichte maßgeblich, indem er den Objekten die/den Beobachter*in gegenüberstellte [6] : „cogito ergo sum“, und darum dachten wir bisher über Objekte unserer Wahrnehmung nach. Es ging (siehe auch die Entwicklung der Menschenbilder) um die logische rationale Erschließung der Wirklichkeit: zwischen wahr und falsch gibt es hier nichts („tertium non datur“). Die Systemische Denkweise verbindet nun beide Welten, bietet die fehlende Brücke. Die „Geburt“ dessen wurde erst durch wissenschaftliche Erkenntnisse auf vielen Ebenen möglich, etwa durch die Relativitätstheorie, Chaostheorie, Thermodynamik, Kybernetik, später Quantenphysik. Im Kern steht ein veränderter Blickwinkel auf die Kausalität: nicht mehr linear, direkte Ursachen-Wirkungen sondern kreishafte Zusammenhänge werden betrachtet; zudem sind die betrachteten Objekte allesamt miteinander verbunden – auch mit den Beobachter*innen. Wie wir bereits angesprochen haben, bringen Systeme neue Elemente aus sich selbst hervor („Selbstreferenz“), also ist ein Ganzes nicht nur quantitativ mehr als die Summe seiner Teile, sondern auch qualitativ [7] .


Organisationen und deren Beobachtung

In den vorangegangenen Menschenbildern und damit Organisations- und Beratungstheorien hatte man den Menschen und dessen Organisationen als triviale Maschine betrachtet. Nun bricht mit der Systemischen Denkweise die Vorstellung der „nichttrivialen Systeme“ an: Systeme sind streng genommen nicht analytisch bestimmbar, sie sind vergangenheitsabhängig und unvorhersagbar.

Von „Kybernetik zweiter Ordnung[8] spricht demnach von Foerster, wenn das untersuchte System (Klient*innenunternehmen) und Beobachter*innen als gesammeltes System betrachtet werden:

„…alles was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt. Der Beobachter spricht durch seine Äußerungen zu einem anderen Beobachter, der er selbst sein könnte; alles, was den einen Beobachter kennzeichnet, kennzeichnet auch den anderen.“ [9]

Im Kern von Organisationen stehen - wie weiter oben bereits angemerkt - die Kommunikation, aber auch Entscheidungsprogramme, die Prozesse festlegen, wie etwa unter welchen Parametern eingekauft wird, welche Berater*innen gewählt werden, wie Innovation und Forschung in die Produkte einfließen, wie man die Datenbank füttert. Paul Watzlawick [10] brachte es bezogen auf soziale Systeme und Kommunikation auf den Punkt: „Es kann nicht nicht kommuniziert werden“. Dies gilt nicht nur für die nonverbale stetige Kommunikation, die wir als Individuen abstrahlen, sondern auch für Teams und Unternehmen(steile), die andauernd etwas über sich aussagen - wenn man nur „zuhört“, „zusieht“.

Kommunikation wird systemisch von den Akteur*innen losgelöst, als etwas Eigenständiges zwischen den System(teil)en gesehen. Zugleich ist es aber mit Watzlawick gesprochen unmöglich, dass ein Sender einem Empfänger 1:1 Informationen übermittelt, denn…

was gesendet wurde, muss erst gehört,

was gehört wurde muss erst verstanden,

was verstanden wurde muss erst akzeptiert

und was akzeptiert wurde, muss erst umgesetzt werden.

Dies gilt insbesondere für alle Ihre und meine Beratungsleistungen, erst recht, wenn man von außen Kommunikation und Beziehung aufnimmt. Darum ist Beobachtung auch immer eine aktive Handlung, es geschieht weit mehr dabei als dass passiv und steril Informationen gesammelt würden. Spencer Brown [11] prägte diesbezüglich den Begriff der „Form“: hier meint man nun nicht nur den Raum, Zustand und Inhalt eines Systems, sondern zugleich auch seine relevante Umwelt, den Kontext, in dem Beobachtung stattfindet. Wir denken etwa bei „Katze“ auch immer an „Hund“, wenn wir also Klient*innensysteme beobachten, sind wir stets auch unlösbarer Teil dabei. Wir konstruieren Wirklichkeit, indem wir beobachten und die von Klient*innen selber konstruierte Wirklichkeit erfragen (z.B. „wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Führung“). Hier wird aus systemischer Sicht nicht wichtig sein, was „die Wirklichkeit“ (abgesehen von ökonomischen Kennzahlen) ist, sondern was die Konstruktion, die „mentale Landkarte“ ist. Und diese wurde in einem Sinnschöpfenden Prozess (der Klient*innen, deren Organisation, von uns) erschaffen: insofern wird alles Betrachtete seinen Sinn erfüllen, einen wichtigen Nutzen erfüllen. Diese Überlegung beruht auf der oben beschriebenen Selbstorganisation von Systemen.

Göbel trifft eine für die Beratung wichtige Unterscheidung, indem er autonome Selbstorganisation von autogener Selbstorganisation trennt: autogen bedeutet selbstreguliert, jedoch unbewusst, aus sich selber heraus – autonom meint die geplante, bewusste, angesteuerte Gestaltungshandlung in Organisationen. Aus dieser Unterscheidung findet Beratung ihren Platz, aber auch die Entwicklung postmoderner Organisationsmodelle wie das fraktale Unternehmen und das virtuelle Unternehmen, die beide auf Selbstorganisation im systemischen Sinn aufbauen. Solche Formen werden von vielen Autor*innen mit dem Bild der Jazzband im Vergleich zum Orchester verglichen. In einer Jazzband spielt man ein ungefähres Stück, die Basiskomponenten sind bekannt und werden von allen gemeinsam akzeptiert, die Selbstregulation läuft ständig mit und man schöpft aus den individuellen Freiheiten der Systemteile (Musiker*innen), auch hält man ständig intensiven Kontakt zur relevanten Umwelt, dem Publikum.

Punkto Selbstorganisation weist uns die systemische Erfahrung jedoch auch darauf hin, dass Veränderungen auf Dauer nur extrem schwer von außen in einem System anzustoßen sind: das System wird sich selbstregulierend wieder in den vorigen Status versetzen, diesen aus sich heraus reproduzieren. Denken Sie hierbei an die Erfahrung, wenn aus Abteilungen ganze Teams „outplaced“ werden, weil es massive Konflikte gab. Die neuen Mitarbeiter*innen erweisen sich in der Regel nach einer bestimmen Zeit als sehr ähnlich, es hat sich - von den Gesichtern mal abgesehen - nicht viel verändert. Darum geht die Systemische Beratung oft davon aus, dass man eine recht massive Störung als Intervention, als Maßnahme setzen muss, damit ein System in echte Veränderung geht. Andererseits hat ein/e Berater*in letztlich nicht die leiseste Ahnung von den „Möglichkeitsräumen“, den Potentialen des beratenen Systems. Seine Interventionen können darum auch leicht vollkommen unvorher­seh­bare, hyperexponentielle Effekte im System auslösen, nämlich solche, die man sicher nicht wollte. Das Bild des „butterfly effects“ aus der Chaosforschung wird hier sehr gerne zur Bebilderung bemüht.

Auch, siehe Luhmann [12] , tragen Organisationen eine ständige Verleugnung ihrer latenten Unsicherheit mit sich: in einer komplexen Welt kann ein komplexes System nicht mit Sicherheit sagen, wie „gut“ und „richtig“ die eigenen Entscheidun­gen und Handlungen sind. Darum kommt es einem als Berater*in in manchen Kund*innensystemen so vor, als würden sich die Menschen und das Gesamte ständig belügen, etwas vormachen, auf Mythen und Geschichten bauen, wenn sie zum Beispiel von ihrem Erfolg oder der gelungenen Teamatmosphäre oder von be­stimmten Problemstellen sprechen. Systemisch denkend erkennt man dann, dass gerade dieser Zynismus, diese Märchen dem System ermöglichen zu existieren - und demnach wohl auch etwas zu schaffen. Organisationen weben ständig an Mythen und Glaubenssätzen, an latenten Regeln, welche die sichtbare Realität beeinflussen: wie etwa „immer Vollgas, egal wohin“, „Probleme bringen Aufmerk­samkeit“, „Hilf mir aber misch dich nicht ein“, „wir haben hier keine Probleme“ etc…

Simon fasst zehn Gebote zum systemischen Denken zusammen [13]  :

  • Sei dessen eingedenk, dass alles was gesagt wird, von einer/m Beobachter*in gesagt wird
  • Unterscheide das Gesagte vom Phänomen (über das gesprochen wird, also Mitteilung von Wirklichkeit, Landkarte von Landschaft)
  • Willst du Informationen beschaffen, so treffe Entscheidungen (siehe Unschärfekorrelation in der Naturwissenschaft)
  • Trenne die Beschreibung (der Phänomene) von deren Erklärung und Bewertung
  • Der status quo bedarf immer der Erklärung (alles was ist, beobachtbar ist, wird durch aktives Schaffen erzeugt und hat darum seinen bestätigten Sinn)
  • Unterscheide Elemente, Systeme und Umwelten
  • Betrachte Soziale Systeme als Kommunikationssysteme, definiere Einheiten der Kommunikation
  • Das System besteht immer auch aus seiner Umwelt (was muss ich einbeziehen?)
  • Orientiere dein Handeln an repetitiven Mustern (alles Einmalige hat wenig Bedeutung, Redundanzen zeigen aber Sinn oder Probleme auf)
  • Betrachte Paradoxien und Ambivalenzen als normal und erwartbar! (es gibt etwas zwischen wahr und falsch – nicht in unseren mentalen Landkarten, aber in der Landschaft lebender Systeme)

Das systemische Weltbild umfasst, wie in Tabelle 7 dargestellt, einige klare Unterscheidungsmerkmale zum bisherigen mechanistischen Weltbild. Die Zusammenstellung stammt von einer der österreichischen Proponenten der Systemischen Beratung - Roswita Königswieser.

Mechanistisches Weltbild Systemisches Weltbild
Objektivität, eine Wahrheit, unveränderliche Gesetze Wirklichkeitskonstruktion, viele Wahrheiten und (Hypo-)Thesen
Richtig – falsch, schuldig - unschuldig Kontextabhängigkeit, Nützlichkeit, Anschlussfähigkeit
(Fremd-) Steuerung Selbststeuerung, Selbstorganisation
Lineare Kausalketten Vielfältige Wechselwirkungen, Feedbackschleifen
Messbarer, fixer Unterschied Sich unterscheiden, verändern
Linearer Fortschritt, ändern Entwicklung, ändern und bewahren, deblockieren
Formale Logik, Widerspruchsfreiheit, Ausschluss Integration von Widersprüchen, Einbeziehung
Harte Fakten, rationale Beziehungen Integration von harten und weichen Faktoren, wie Emotion, Intuition, Kommunikation
Rollen: Macher*in, Führende und Geführte, Manipulation Rollen: Impulsgeber*in, Gärtner*in, Befähiger*in, Entwicklungshelfer*in, Coach
Methoden: Instruktion, Anordnung, Befehl, Lernen durch trial & error Methoden: Zuhören, Fragen, Dialog, Diskussion, Reflexion, Lernen lernen

Tabelle 7: Vergleich der Weltbilder: systemisch und mechanistisch (nach Königswieser, Hillebrand, 2008, S.28).

Berater*in & Kund*in

Im Zentrum von Beratung jeglicher Art stehen immer Berater*in und Kund*in/ Klient*in. Auch Ihnen wird mit Sicherheit aus Ihrer beruflichen Erfahrung klar sein, dass bei jeder Auftragssituation Klärungen stattfinden müssen, teils hinter den Kulissen bei sich selbst (auf beiden Seiten), aber vor allem in offener gemeinsamer Kommunikation und damit erhält auch die formale und informellere Beziehung zwischen einander ihren Auftakt. Ebenso wesentlich wird sein, dass man sich aus Berater*innensicht eine klare Sicht erarbeiten sollte, wer echte Auftraggeber*in, wer Sponsor*in und damit Financier, wer direkt Konsument*in und damit Letztkund*in ist und wer noch aller indirekt involviert oder von der Beratungsleistung betroffen sein könnte. Solche Situationsanalysen reichen nicht aus, dass man sie ein für alle Mal durchläuft, sondern vielmehr muss nahezu ständig ein Auge darauf gehalten werden, und zu bestimmten Beratungszeitpunkten sollte man diese Klärung auch offen mit den Kund*innen gemeinsam schaffen.

Berater*innen sind letztlich in jeder Ausprägung und Artikulation ihres Kerngeschäftes (der Beratung) immer Beobachter*innen oder sollten es in einem sehr gereiften Ausmaß sein: egal ob sie von intern, von extern beobachten, in einer sehr spezialisierten Form (Fachexpert*innenblick, prozess- oder inhaltsorientiert) oder in nicht-spezialisierter Weise [14] . Hierbei können Berater*innen unterschiedliche Perspektiven einnehmen:

  • Dezisionistische Perspektive: (aus dem Lateinischen decidere, „entscheiden“) Berater*innen bringen Wissen als Informationen ein, aufgrund welcher die Entscheidungsträger*innen Handlungsalternativen sehen und wählen.
  • Technokratische Perspektive: das Berater*innenwissen, und somit der/die Berater*in bestimmt zwangsdringlich die Entscheidungen - die Entscheidungsträger*innen werden somit zu Ausführenden.
  • Pragmatische Perspektive: unterstreicht den kritischen, konstruktiven Dialog zwischen Berater*in und Kund*in/, Entscheidungsträger*innen, in dem es um das eingebrachte Wissen und auch um Wertefragen gehen soll.
  • Politische Perspektive: der/die Berater*in hat per se eine politische Rolle im System des/der Kund*in: verschiedene Akteur*innen werden unentwegt an ihm „zerren“ und um Koalitionen und Instrumentalisierung der Berater*innen zu eigenen Zwecken (Sichtweisen) bemüht sein.

Um einige Rollenakzente klarer darstellen zu können, wollen wir die Rolle der/s Berater*in aus einer inhaltlich und einer prozessorientierten Sichtweise betrachten, auch wenn diese im Regelfall nur selten in echten Beratungsprojekten so sauber getrennt umgesetzt werden.

In der inhaltsorientierten Beratung stellt sich die/der Unternehmensberater*in im Regelfall als Informant*in, als „Provider“ lösungsrelevanten Wissens dar oder als Lösungsfinder*in. Hier steht die Herausforderung an die/den Berater*in in der Disziplin, sich eigener Handlungen zu enthalten, nicht selbst operativ tätig zu werden.

In der prozessorientierten Beratungsform hingegen stellen Berater*innen als Methoden-Expert*innen den Rahmen her, in dem Kund*innen ihre inhaltlichen Lösungen entwickeln und umsetzen können. Hierbei geht es dann um die Rolle einer/s Moderator*in, aber auch Begleiter*in, die/der die „Lernfähigkeit des Kundensystems“ [15] zu entwickeln hilft. Diese Rollenfärbung ringt Berater*innen vor allem inhaltliche Zurücknahme ab: eben nicht inhaltlich beizutragen, optimalerweise nicht einmal durch unbewusste nonverbale Zustimmungs- oder Ablehnungssignale. Berater*innen sind im prozessorientierten Rahmen darum bemüht, komplexe und oft emotional aufwühlende Probleme neutral und objektiv fassbar zu machen. Darum treten sie mitunter als Dolmetscher*in oder Übersetzer*in für ihre/seine Klient*innen auf und erleichtern es dem System der/des Kund*in damit, kluge Entscheidungen zu treffen und selbst aktiv zu werden.


Einige Kernfragen im Spannungsfeld Berater*in-Klient*in sind:

  • Welches sind offene und vor allem latente Gründe/ Erwartungen von Klient*innen an die/den Berater*in und die Beratungsleistung?
  • Wieso entscheidet man sich gerade für externe oder gerade für interne Beratung (Frage der Ressourcenverwendung, Transaktionskosten), für Beratung an sich?
  • Fragen rund um die Berater*innenwahl, die Vertrags- und Beziehungsgestaltung.
  • Welche Vorstellungen hat das Klient*innensystem (nicht nur die/der eine Ansprechpartner*in) zum Beratungsprozess und zu dessen Steuerung/ Kontrolle (inkl. Wissensmanagement, Ergebnis- und Verlaufsevaluation)? Genauer einzugehen ist darauf: was sind unklare Ziele, gibt es viele komplexe Ziele, bestehen widersprüchliche einander konfligierende Ziele, kann man die Beratungseffekte von den alltäglichen Systemeffekten trennen (eine Frage der Wirksamkeitskontrolle), was genau hat gewirkt, was sind latente Folgen, wie verteilt sich welche Verantwortung, wie erfasst und behandelt man langfristige verzögerte Effekte?
  • Wie tiefgreifend besteht die Notwenigkeit der „Metaberatung“, also des Empowerments der/des Kund*in zur Beratungskooperation, damit diese auch gut integriert wird und verstanden, geteilt wird.
  • Sind die Kund*innensysteme nicht homogen, gibt es Untereinheiten die wie eigene Systeme wirken? Wie geht man damit um? Und wie kommuniziert die/der Berater*in hierzu mit den Kund*innen? Ebenso: ist das Berater*innenseitige System homogen oder zersplittert, wirken hier mehrere Untersysteme mit (z.B. Partnerunternehmen) und wie will man damit um gehen, um Qualität und Transparenz zu sichern?


Interne Beratung

Nicht selten findet man ehemalige Consulter*innen nunmehr mit einer Managementfunktion betraut in Unternehmen wieder, die sich als ebenso professionelle oder zumindest sehr differenzierte Auftraggeber*innen bewegen oder als interne Auftragnehmer*in, interne Beratungsdienstleister*in.

Interne Beratung stellt sich meist als institutionalisierte Unternehmensressource dar: diese leistet Beratung im Management-, IT- oder Personalbereich. Auch interne Rechtsabteilungen und HR-Business-Partner-Konzepte fallen hier herein. Bedenken Sie hierbei die Entwicklung des Menschenbildes mit, als es zunehmend darum ging, dass jede/jeder intern Kund*in und Dienstleister*in zugleich wird und Kommunikation sowie fachliche und Methodenkompetenz die relevanten Kriterien werden.

Die Vor- und Nachteile interner und externer Beratung sind leicht auszumachen: Vorteilhaft ist mit Sicherheit, dass interne Berater*innen samt ihrem Wissen dem Unternehmen erhalten bleiben, sie verfügen über interne Erfahrung im Unternehmen, erleben die Auswirkungen ihrer Beratungen oft in eigener Person mit. Sie kämpfen aber auch mit Beziehungsthemen und internen Koalitionsversuchen und damit um ihre Objektivität und Unabhängigkeit, auch macht ihnen zunehmende Betriebsblindheit zu schaffen. Dafür gelingt internen Berater*innen die Einschätzung, wie realistisch eine Maßnahme ist oder welche Formen und Zeitachsen sowie Akteur*innen für ein Beratungsprojekt förderlich sind und welche nicht. Externe Berater*innen hingegen bringen auch Erfahrungen und Wissen aus anderen Betrieben mit, sind darum meist innovativer, aber auch unabhängiger und per se objektiver. Externe Berater*innen sind jedoch auch naturgemäß an Folgeaufträgen interessiert und gelten gerne als Management-hörig; zudem sieht man sie gerne als „Fremde“, als jene die von der Firma keine Ahnung haben und nur Theoretiker*innen sind, und darum kämpfen sie mit der Akzeptanz, aber auch mit Anpassungsproblemen (Auftreten ebenso wie administrative Schnittstellen zu den Kund*innen).

Einen vertiefenden Einblick zu gegenwärtiger, interner Beratung in Unternehmen finden Sie im Artikel „Analysis of best practices of internal consulting“ [16] . Die Autor*innen fassten die Ergebnisse von 30 Artikeln zusammen, die sich mit interner Beratung bei Unternehmen der Fortune 500 List befassen, und geben Antworten zu folgenden Fragen:

  • in welchen Businessbereichen findet interne Beratung intensiv statt,
  • was sind Brennpunkte der Interventionen (Maßnahmen),
  • welches sind die Methoden zur Steigerung der organisationalen Fähigkeiten,
  • wie wird Talent Management betreut und
  • wie wird der klassische fünfstufige Beratungsprozess umgesetzt (Eingang, Diagnose, Datensammlung, Maßnahmendesign, Umsetzung, Evaluation).

Auffallend aus den Rückmeldungen der Praktiker*innen war, dass interne Consultants im Regelfall „keinen Platz am Tisch der obersten Entscheidungsträger*innen“ erhalten, weil sie entweder als HR-Funktion gesehen werden, ihnen zu wenig strategische Kompetenz zugestanden wird oder sie (aus diesen Faktoren heraus) zu wenig glaubwürdig auftreten und erscheinen. Zwei Drittel der Praktiker*innen arbeiten im Rahmen von Change-Projekten und damit als Organisationsentwickler*innen, die Hälfte bemüht sich mit der Implementierung von Business Plänen in die vorhandene Struktur- und Prozesswelt. Schwerpunkte in den Arbeitsmethoden bei den internen Berater*innen bilden Kommunikationsprozesse, Formen persönlichen Empowerments (Coaching, Mentoring etc.) und teambezogene Ansätze (Workshops, Gruppendynamik, Supervision, Klausuren). Kaum fand man hingegen Aktivitäten zu Diversity, zur Bildung einer lernenden Organisation oder zu Wissensmanagement.

Qualitätsmerkmale der Beratung für interne wie für externe Beratung sind in jedem Fall dieselben und man kennt sie auch unter dem Begriff der „Governance[17] der Beratung:

  • Unabhängigkeit der Berater*innen und der Beratung (Unparteilichkeit)
  • Transparenz der beratenden Aktivitäten
  • Objektivität (nach allgemein gültigen und/oder gemeinsam anerkannten Kriterien)
  • Wirtschaftlichkeit (und damit Kosten-Nutzen-Balance)

Diese Prinzipien werden im Rahmen der Beratungsdienste auf folgende Systeme angewendet und dadurch konkret sichtbar: Strategie, Organisation, Prozesse, Systeme, Werte und Verhalten. Erfolg verbuchen Berater*innen, interne wie externe gleichermaßen dann, wenn sie ein kundenspezifisches Angebot bieten, ihre Ansätze umsetzungsfähig und realisierbar sind, sie Wissen im Kund*innensystem systematisch und stichhaltig aufbauen und integrieren, sowie interne Ressourcen möglichst anhaltend oder kontinuierlich zu mobilisieren helfen.

U-Theory

Den Hintergrund für diese Theorie und das ebenso genannte Verfahren stellt das Unwohlsein in der heutigen Zeit dar; davon sehen sich die Autor*innen selbst berührt: Otto Scharmer [18] und Kolleg*innen [19] vom MIT sowie von der Society for organisationale Learning in Cambridge, Massachusetts (also Teil der geistigen Elite der US-Ostküste) sehen weltweite Misswirtschaft, hyperexponentielle Verläufe von Prozessen auf allen Ebenen, die in ein „break down“ führen. Die U-Theory sieht sich als couragierter Beitrag dazu, das Ruder herum zu reißen und zu einem „break through“ der Menschheit in Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Spiritualität zu führen. Von besonderer Bedeutung für diese Vision sind ein neues Bewusstsein, das individuell und kollektiv, also gemeinschaftlich wirkt und gepflegt werden muss, sowie die neue „kollektive Leadership“, die uns alle aufruft, nicht mehr oberflächlich rational zu agieren, um folgenschweres Scheitern zu vermeiden.

Otto Scharmer unterstreicht, dass wir mit blinden Flecken agieren, die aber erhellbar sind, es ist eine Frage des ins Bewusstsein Holens, und dies verlangt nach einer neuen Form des Rituals, des Prozesses. Nachhaltiges Versagen führen die Autor*innen in letzter Instanz auf den fehlenden Blick und Kontakt zu inneren Quellen zurück, die uns führen, entscheiden, handeln, wirtschaften, kommunizieren oder kooperieren lassen. Auch hier geht es, wie bereits in früheren Kapiteln, um eine massive Veränderung der eigenen und gemeinsamen Perspektivenwahl: wir betrachten jene Zukunft, die „wanting to be born“, also sich danach sehnt, dazu bereit ist, geboren zu werden. Diesen Erfahrungsmoment (eine Kombination aus Träumen, meditieren, denken und fühlen) nennt man hier „presencing“. Presencing meint einerseits das voraus-wahrnehmen und spielt andererseits zugleich das pre-sensing an, also ein „den (konstruktiven) Sinn vorausfühlen, vorausahnen.

Die Abkehr von bisheriger spontaner und rationaler, gewohnter Problem- und Lösungsbearbeitung beim Einzelnen und in der Gruppe (Organisation) nennt Scharmer metaphorisch „stop downloading“. Werden wir uns dessen bewusst, wie wir im Regelfall (also zu 99%) der Fälle Inhalte und Herangehensweise aus bereits verfügbaren Erfahrungen als Muster „herunterladen“, also unreflektiert anwenden, dann ist ein erster Schritt geschehen. Dazu gehört auch der unverstellte Blick auf die Fakten, die hier nicht mehr interessengeleitet bereits in unserer Wahrnehmung verbogen oder verleugnet werden.

Hier wirken auf der einen Seite Überlebensdruck und Existenzangst, auf der anderen Seite das Bedürfnis und der Sog hin zu Veränderung, zu Entwicklung und zum Lernen. Die Sehnsucht nach einem neuen Paradigma des Denkens treibt auch ein vielleicht letztes Aufbäumen und Dagegenhalten alter Denkmuster hervor, die uns so lange in Sicherheit schaukelten.

Das Verfahren der U-Theory kann man als eine Reise durch fünf (aktiv betriebene) Erlebnisdimensionen veranschaulichen:

  1. Co-Initiating: Gemeinsame Intentionsbildung
  • Ziel: „eine gemeinsame Intention schaffen“
  • Anweisung: „innehalten, zuhören, was sagen andere, was sagt mir das Leben, dass gerade ich genau jetzt tun soll“
  1. Co-Sensing: Gemeinsame Wahrnehmung

  • Ziel: „beobachte, beobachte, beobachte“
  • Anweisung: „gehe zu den Orten mit dem größten Potential, und horche mit weit offenem Geist und Herzen“
  1. Presencing: Gemeinsame Willensbildung

  • Ziel: „Verbinde dich mit der Quelle der Inspiration und des Willens“
  • Anweisung: „gehe zum Ort der Stille und erlaube dem inneren Wissen aufzutauchen“
  1. Co-Creating: Gemeinsames Experimentieren

  • Ziel: „sei Schöpfer*in“
  • Anweisung: „entwerfe das Neue in lebendigen Beispielen, um die Zukunft im Tun zu entdecken“
  1. Co-Evolving: Gemeinsame Gestaltung

  • Ziel: „Verkörpere das Neue“
  • Anweisung: „… in Ökosystemen, die es erleichtern, aus einer ganzheitlichen Perspektive zu schauen und zu agieren“

Die Benennung als „U“ kommt vom u-förmig dargestellten Prozess, der hier durchlaufen wird. Dies spielt auch mystische, religiöse Entwicklungswege an, die stets mit einem Untertauchen beschrieben werden: Seelen reisen zu unbewussten, blinden Tiefen, um anschließend aufzutauchen; mit einem Schatz in Händen, den man ans Licht und ins Leben bringt. Die Metapher hat doch auch etwas von Geburt an sich, meinen Sie nicht?

Diese Fähigkeiten kann man trainieren, entwickeln, und muss dies auch: auf individueller Ebene wie auch auf gemeinschaftlicher Ebene:

Damit wir ein noch besseres Bild von dem doch revolutionären Beitrag der U-Theory haben, sei hier ein weiteres „4-Felder-Schema“ von Otto Scharmer eingebracht (Abbildung 11).

Indem er die sich weiter entwickelnden Formen der organisationalen Konversation darstellt, wird auch gut ersichtlich, wo blinde Flecken und Widerstände zu erwarten sind. Und wie der „Quantensprung“ durch die Konzepte von Senge und Scharmer und Kolleg*innen sich auf allen Systemebenen mit der Zeit darstellt.

Abbildung 11: Entwicklung von Konversationsformen und organisationaler Impakt (nach Scharmer, 2009; www.presencing.com)


Der Quantensprung in der U-Theory besteht im Wechsel vom Lernen aus der Erfahrung und damit aus der Vergangenheit hin zum Lernen aus der (auftauchenden, sich ankündigenden) Zukunft.

DIALOG - Verfahren

Auch dieses Verfahren ist ein Beitrag aus dem MIT von Peter Senge, dessen Beiträge wir bereits mehrmals im Rahmen des postmodern man bemüht haben. Allerdings greift er bereits beschrittene Wege von Martin Buber [20] und David Bohm [21] auf. Der Dialog bietet eine Methode um Changemanagement, Organisationsentwicklung zu leisten und damit auch Teamentwicklung und Transformationsbegleitung eines Unternehmens hin zu einer Lernenden Organisation - aus sich selbst heraus. Das Verfahren bietet, aufbauend auf den unten beschriebenen Kernparametern, verschiedene Dialogrunden, Übungssettings zur individuellen und kollektiven, also Gruppenübung an, die Dialog zum Leben bringen. Dialog wird aber auch als Kommunikationsform im Rahmen der Großgruppenverfahren propagiert, wenn diese gelingen sollen.

„Dialog“ ist …

  • Ein Weg zu klarer, konstruktiver Kommunikation und damit zu kreativem, authentischen Austausch und zum Denken und Lernen in der Gruppe
  • Ein Instrument, um Emotionen, Gedanken, Werte ins Bewusstsein zu holen und gleichsam als „Schätze“ zu heben

Voraussetzung und Gestaltungswerkzeug für gelingenden Dialog ist letztlich die eigene individuelle Bewusstheit, die Übung der Achtsamkeit in unseren Gedanken, Gefühlen, Worten und Handlungen. Wenn wir dessen gewahr sind, was wir wirklich wahrnehmen, denken, fühlen, sagen, und was unsere wahren Beweggründe, Annahmen und Glaubenssätze sind, dann können wir …

  • Begegnung erfahren
  • Neues denkbar machen
  • Gemeinsam kreativ sein und
  • handlungsfähiger werden.
  1. Angelehnt an die Definitionen der Deutschen Gesellschaft für OE
  2. Ameln, Kramer, Stark, 2009, S.62ff
  3. Gerkhardt &Frey, 2006
  4. Doppler & Lauerburg, 2005, S.166f., zitiert nach Ameln, Kramer, Stark, 2009, S.73
  5. Maturana, 1984 sowie Maturana & Varela, 1987, S.50
  6. Riegas, Vetter, 1990
  7. Simon (2008), S 16
  8. Bateson, 1990
  9. Maturana & Varela, 1970, S.34, nach Simon, 2008, S.43
  10. Watzlawick, 1967
  11. Spencer-Brown, 1997
  12. Luhmann, 1984
  13. Simon, 2008, S.115f
  14. Bamberger, 2008, S.8
  15. Bamberger, 2008, S.17
  16. Lacey, Tompkins, 2007
  17. Bamberger, 2008, S.227ff
  18. Scharmer, 2009
  19. Senge, 2008; Senge et al., 2008
  20. Martin Buber, 2006
  21. David Bohm, 2005