Internationale Wirtschaft - Währungen, Wettbewerbsfähigkeit und Migration
Währungen, Wettbewerbsfähigkeit und Migration
Neben dem Handel sind internationale Kapitalströme das zweite wesentliche Merkmal der Globalisierung. Dabei geht es nicht nur um den Erwerb von Geld und Wertpapieren in Fremdwährungen – realwirtschaftlich viel wichtiger sind grenzüberschreitende Direktinvestition. Im Zuge der zunehmenden Freiheit des Kapitals, sich bevorzugte Investitionsobjekte global auszusuchen, hat sich auch der Wettbewerb zwischen den Ökonomien um Investitionen erhöht, bzw. ist überhaupt erst dadurch entstanden.
Ein drittes Merkmal der globalen Wirtschaft ist die Migration von Arbeitnehmer*innen. Diese ist einerseits im Vergleich zum Handel und zu Investitionen wesentlich stärker reguliert und wird daher nicht unbedingt als Merkmal der Globalisierung gezählt. Andererseits erhöht oder reduziert die Migration, insbesondere von Humankapitalträger*innen, die Wettbewerbsfähigkeit von Ökonomien, bzw. konkurrieren die Ökonomien selbst um Humankapitalträger*innen. Eine Ausnahme ist allerdings die EU, da innerhalb ihres Territoriums die Migration von Arbeitnehmer*innen frei ist, weshalb hier Ursachen und Auswirkungen besondere Bedeutung zukommt.
Lektion 2 ist entsprechend ihrem Titel in drei Blöcke geteilt, die sich mit Währungen, der Wettbewerbsfähigkeit von Ökonomien und Migration zwischen Ökonomien auseinandersetzen. Lektion 2.1 beschreibt zunächst, wie Wechselkurse entstehen, bevor auf den Euro als Sonderfall einer gemeinsamen Währung mehrerer Volkswirtschaften eingegangen wird; besonderem Raum wird dabei der Euro-Krise gewidmet. Lektion 2.2 befasst sich mit dem nicht unumstrittenen Konzept der Wettbewerbsfähigkeit von Ökonomien und geht entsprechend kritisch auf jene Indikatoren ein, die üblicherweise zur Einschätzung der Wettbewerbsfähigkeit herangezogen werden. Abschließend behandelt Lektion 2.3 das Thema der Migration von Arbeitskräften aus mikro- und makroökonomischer Perspektive.
Währungssysteme und Wechselkurse
Wie bei regelmäßigem Aufenthalten in Ländern außerhalb der Eurozone zu beobachten ist, kann das Austauschverhältnis zwischen zwei Währungen von Jahr zu Jahr enormen Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen werden von zahlreichen Kräften bewirkt, weshalb die Aussagekraft einer Wechselkursänderung begrenzt ist: Einerseits bildet der Handel mit Fremdwährungen (auch: Devisen) selbst einen Markt und unterliegt somit grundsätzlich dem Gesetz von Angebot und
Nachfrage; andererseits wird der Wert einer Währung von mehreren politischen Entscheidungen simultan beeinflusst.
Allgemeines
Der Wechselkurs bezeichnet das Austauschverhältnis zweier Währungen. In unseren Breiten wird zumeist der Preis ausländischer Währung in inländischer Währung ausgedrückt, also bspw. kostet ein britisches Pfund € 1,27, ausgedrückt als „Euro je Pfund“. Da hier der Preis der Fremdwährung ausgedrückt wird spricht man auch von Preisnotierung. Der Kehrwert der Preisnotierung entspricht der Mengennotierung (Außenwert): Wie viel von der fremden Währung erhält man für 1 EH der eigenen Währung? Im obigen Bsp. erhält man ₤ 0,79, ausgedrückt als „Pfund je Euro“.
Wechselkurse bilden sich im Wesentlichen über Banken, welche überschüssige oder fehlende Währungen auf eigens dafür organisierten Märkten (den Devisenmärkten) handeln. Die Wechselkurse werden von Angebot und Nachfrage auf den Devisenmärkten bestimmt, wobei unterschieden wird zwischen
- Aufwertungen, d.h. der Außenwert der eigenen Währung steigt (im obigen Bsp. auf ₤ >0,79), der Preis der fremden Währung sinkt (auf € <1,27).
- Abwertungen, d.h. der Außenwert der eigenen Währung sinkt (im obigen Bsp. auf ₤ <0,79), der Preis der fremden Währung steigt (auf € >1,27).
Die Notenbanken beeinflussen durch ihre eigenen Aktivitäten die Wechselkurse. Da nationale Notenbanken im Interesse ihres jeweiligen Staates agieren, können sie versuchen, Wechselkurse im Interesse der jeweiligen Wirtschaftspolitik zu beeinflussen. Dazu gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
- Der direkte Weg entspricht Interventionen auf den Devisenmärkten. Dazu kann die Notenbank um ihr eigenes Geld ausländische Währungen oder Wertpapiere kaufen oder verkaufen.
- Der indirekte Weg führt über die Zinsen. Zu diesem Zweck kann die Notenbank den kurzfristigen Zinssatz senken oder erhöhen, den sie von den Geschäftsbanken für ihr Geld verlangt. Dadurch wird die Attraktivität der eigenen Währung für Spargelder beeinflusst, und über diesen Weg wird die eigene Währung teurer oder billiger.
Als Grundregel gilt, dass eine expansive Geldpolitik (die Geldmenge der eigenen Währung wird über einen der beiden Wege erhöht) die eigene Währung verbilligt, während eine restriktive Geldpolitik (die Geldmenge der eigenen Währung wird reduziert) die eigene Währung verteuert.
Wechselkurssysteme
Neben der freien Preisbildung auf den Devisenmärkten können Staaten den Wechselkurs auch festlegen. Es werden dabei grundsätzlich drei Typen von Wechselkurssystemen unterschieden: frei schwankende, gelenkte oder feste Wechselkurse. [1]
- Frei schwankende Wechselkurse (auch: frei floatende Wechselkurse): Hier wird im Wesentlichen der Wert der eigenen Währung dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage auf den Devisenmärkten überlassen. Zwar beeinflussen die Notenbanken über die Zins- und Geldmengensetzung auch den Wechselkurs, aber Letzteres ist kein Ziel an sich. Hauptziel einer solchen Politik ist vielmehr, den kurzfristigen Zinssatz innerhalb des eigenen Währungsraums auf der gewünschten Höhe zu halten, um die Konjunktur oder die Inflation zu steuern. Somit ist der große Vorteil dieses Typs, dass die Notenbank nicht intervenieren muss, um den Wechselkurs auf einer gewünschten Höhe zu halten, sondern vielmehr die volle Kontrolle über die Geldpolitik hat. Diese Politik wird zurzeit bspw. von den USA verfolgt.
- Gelenkte Wechselkurse: Hier lassen die Notenbanken ihre Währungen zwar schwanken, aber es gibt gewisse Ziele hinsichtlich des Wechselkurses zu anderen Währungen. Erreicht dieser eine bestimmte Höhe, so muss die Notenbank auf eine der beiden in Lektion 2.1.1 vorgestellten Wege intervenieren. Somit wird die Geldpolitik eingeschränkt – je nachdem, wie eng die Vorstellungen über die Wechselkursentwicklung gesteckt sind. Diese Politik wird zurzeit bspw. von der Schweiz gegenüber der Eurozone praktiziert.
- Feste Wechselkurse (auch: fixe Wechselkurse): In diesem System wird die eigene Währung fest an eine andere gebunden. Als sog. Ankerwährung fungiert üblicherweise jene eines*einer besonders wichtigen oder sogar dominanten Handelspartner*in. Bei freiem Kapitalverkehr muss die Notenbank über sog. Currency Boards ständig auf den Devisenmärkten präsent sein, um den gewünschten Wechselkurs aufrechtzuerhalten. Eine eigenständige Geldpolitik ist damit nicht mehr möglich – vielmehr wird die Geldpolitik des Landes der Ankerwährung übernommen. Ein Beispiel hierfür ist die Bindung des österreichischen Schilling an die Deutsche Mark bis zur Euro-Einführung.
Als letzte Konsequenz kann die eigene Währung auch den Devisenmärkten entzogen werden und legal nur zu einem offiziellen Tauschverhältnis gewechselt werden. In der Regel bilden sich dann Schwarzmärkte, deren Tauschverhältnisse oft erheblich von den offiziellen abweichen. Ein Beispiel hierfür waren die Wechselkurse der RGW-Staaten. Ein anderes Extrem ist die unilaterale Übernahme einer Fremdwährung als offizielles Zahlungsmittel, wie etwa im Falle des Euro durch Montenegro.
Als Trilemma des Wechselkursregimes wird die Unmöglichkeit bezeichnet, maximal zwei der folgenden drei währungspolitischen Ziele gleichzeitig erreichen zu können: eine eigenständige Geldpolitik, einen stabilen Wechselkurs und freien Kapitalverkehr. Der Vorteil fester Wechselkurse bei freiem Kapitalverkehr ist eine volle Stabilität auf Kosten einer eigenständigen Geldpolitik, und vice versa bei frei schwankenden Wechselkursen. Bei festen Wechselkursen können Änderungen im inländischen Zinssatz durch eine Einschränkung des Kapitalverkehrs erreicht werden, wodurch freilich das letzte Ziel wegfällt. Gelenkte Wechselkurse stellen einen Kompromiss dar und erreichen somit nur das Ziel des freien Kapitalverkehrs.
Kaufkraftparitäten
Die Theorie der Kaufkraftparität (KKP) führt Veränderungen des Wechselkurses auf veränderte Preisniveaus in den Ursprungsländern zurück. Demnach spiegelt der Wechselkurs das Preisniveauverhältnis in zwei Ökonomien wider. Der Theorie zugrunde liegt das Gesetz der Preiseinheitlichkeit, welches besagt, dass ein Gut, das in zwei Ökonomien erhältlich ist, in beiden Ökonomien denselben Preis haben muss wenn es weder Transportkosten, Handelsbarrieren noch Einschränkungen des Wettbewerbs gibt. Unter solchen Bedingungen würden Preisunterschiede sofort dazu führen, dass das Gut von einer Ökonomie zur anderen gebracht wird – bis der Preis wieder einheitlich ist.
Spielt man den Gedanken weiter, so folgt aus der Theorie der Kaufkraftparität, dass ein Kaufkraftverlust in der eigenen Währung (insbesondere durch Inflation) mit einer proportionalen Abwertung auf den Devisenmärkten einhergeht. Anders formuliert: Kostet ein Warenkorb in Land A 100 GE der Landeswährung (im Folgenden AGE) und in Land B 400 GE der dortigen Landeswährung (BGE), dann gilt allgemein:
wobei den Wechselkurs von BGE aus Sicht von A in Preisnotierung darstellt, und das jeweilige Preisniveau symbolisiert. Im konkreten Fall ist das Preisniveau in B viermal so hoch wie in A, daraus ergibt sich : Man zahlt 0,25 AGE für 1 BGE. Durch Umformung der Gl. (2.1.1) erhält man, was bedeutet, dass sich das Preisniveau einer Ökonomie darstellen lässt als Preisniveau einer anderen Ökonomie multipliziert mit dem Wechselkurs der beiden Ökonomien in Preisnotierung. Man spricht hier auch von absoluten KKP.
Aus den absoluten KKP folgt die wichtige Implikation der relativen KKP. Demnach wird sich der Wechselkurs zweier Währungen um den gleichen Prozentsatz ändern wie die Preisniveaudifferenz in den jeweiligen Ökonomien
Bei der Interpretation der Entwicklung von Wechselkursen sollten daher stets die Inflationsraten in den jeweiligen Ökonomie berücksichtigt werden, allgemein darstellbar als . Durch Umformen der Gl. (2.1.2) und Einsetzen der Inflationsraten erhält man:
Sind die Inflationsraten in beiden Ökonomien eher niedrig, so entspricht die rechte Seite von Gl. (2.1.2) . Daraus folgt, dass die Veränderung des Wechselkurses innerhalb einer Periode ungefähr der Differenz der Inflationsraten in den betreffenden Ökonomien entspricht. Diese Aussage behält auch dann ihre Gültigkeit, wenn die Annahme der absoluten KKP nicht gegeben ist: Wenn die Abweichungen von den absoluten KKP vergleichsweise stabil bleiben, dann entsprechen prozentuale Veränderungen der relativen Preisniveaus annähernd den prozentualen Veränderungen der Wechselkurse.
Langfristige Wechselkursbestimmung
Der KKP-Ansatz lässt sich erweitern um Faktoren, die die Geldnachfrage und das Geldangebot verändern. Dieser monetäre Ansatz gibt erste Aufschlüsse über die langfristige Entwicklung der Wechselkurse sowie das Wechselspiel verschiedener Einflussfaktoren. „Langfristig“ bedeutet hier, dass sich die Preise auf veränderte Verhältnisse anpassen.
Das Preisniveau einer Ökonomie lässt sich allgemein darstellen als
wobei das Geldangebot darstellt und die aggregierte Geldnachfragefunktion, die wiederum negativ abhängt vom Zinssatz und positiv von der realen Produktion . Das Preisniveau ist also grundsätzlich die Geldmenge dividiert durch die reale Geldnachfrage. [2] Nimmt man der Einfachheit halber in beiden Ökonomien identische Geldnachfragefunktionen an, so ergibt sich für die Ökonomien A und B
und . Betrachtet man diese Beziehungen gemeinsam mit Gl. (2.1.1), so wird deutlich, dass der Wechselkurs langfristig ausschließlich vom relativen Angebot der Währungen und der relativen Nachfrage nach ihnen bestimmt wird. Einsetzen der Beziehungen in Gl. (2.1.2) ergibt:
Daraus ergeben sich eine Reihe relevanter Prognosen über die Entwicklung eines Wechselkurses, im Beispielfall für Länder A und B:
Eine Erhöhung der Geldmenge in A, d.h. , erhöht den Wechselkurs (in Preisnotierung), d.h. AGE wird gegenüber BGE abgewertet. Das geht aus Gl. (2.1.5) hervor, da die neue Geldmenge im Zähler steht, die alte dagegen im Nenner. Der Wirkungskanal läuft über den Einfluss auf das Preisniveau, da eine Ausweitung der Geldmenge langfristig eine Erhöhung des Preisniveaus im selben Ausmaß nach sich zieht. Somit führt eine höhere Inflation in Land A zu einer Abwertung seiner Währung. Analog geht aus Gl. (2.1.5) hervor, dass eine Reduktion der Geldmenge in B denselben Effekt auf den Wechselkurs hat. Das gilt natürlich auch umgekehrt.
Eine Erhöhung des Zinssatzes in A erhöht den Wechselkurs, da die reale Geldnachfrage in A reduziert wird. In Gl. (2.1.5) ist das über die aggregierte Geldnachfrage ersichtlich, die vom Zinssatz negativ beeinflusst wird: Je höher die Zinsen, umso niedriger die Nachfrage. Analog wird eine Erhöhung des Zinssatzes in B den Wechselkurs senken, eine Reduktion des Zinssatzes in A den Wechselkurs senken, und eine Reduktion des Zinssatzes in B den Wechselkurs erhöhen.
Eine Erhöhung des Produktionsniveaus in A erhöht die reale Geldnachfrage in A und reduziert den Wechselkurs, da ohne entsprechende Ausweitung der Geldmenge das Preisniveau reduziert wird. Demnach ändern sich die KKP und die Währung AGE wertet auf. Analog führt eine Ausweitung der Produktion in B zu einer Erhöhung des Wechselkurses, eine Reduktion der Produktion in A zu einer Senkung des Wechselkurses, und eine Reduktion der Produktion in B zu einer Erhöhung des Wechselkurses.
Zum Verständnis dieser Ergebnisse sind zwei wichtige Zusammenhänge zu beachten: Erstens passieren in der Regel alle sechs Ereignisse gleichzeitig, entsprechend den drei erklärenden Variablen in zwei Ökonomien in Gl. (2.1.5). So geht bspw. eine Ausweitung der Produktion (d.h. BIP-Wachstum) einher mit steigenden Zinsen und einer Ausweitung des Geldangebots. Entscheidend für den Wechselkurs ist, wie sich diese Variablen relativ zur anderen Ökonomie entwickeln. Angenommen, B weist ein höheres Wirtschaftswachstum auf als A, erhöht die Zinsen im selben Ausmaß wie A, ist bei der Ausweitung der Geldmenge aber zurückhaltender. In diesem Fall wird die Währung von B eindeutig aufwerten. Was aber, wenn B bei der Ausweitung der Geldmenge großzügiger ist? Dann besteht sowohl ein Abwertungs- wie ein Aufwertungsdruck, und ob der Wechselkurs steigt oder fällt hängt von der konkreten Ausprägung von ab.
Zweitens geht der monetäre Ansatz davon aus, dass sich die Umstände sofort und ohne Übergangsphase anpassen, d.h. die Preisniveaus passen sich ebenso schnell an wie die Wechselkurse. Das führt zu einem augenscheinlichen Widerspruch zur üblichen Berichterstattung in der Presse, wonach eine Erhöhung des Zinssatzes die betreffende Währung aufwertet. Der Unterschied liegt, wie bei vielen ökonomischen Fragen, in der Unterscheidung zwischen kurzer und langer Frist.
Kurzfristige Wechselkursbestimmung
Grundsätzlich gilt, dass ein anhaltendes Geldmengenwachstum einen ständigen Anstieg des Preisniveaus verlangt, d.h. zu laufender Inflation führt. Unternehmen und Arbeitnehmer*in passen sich an die gewohnte Inflationsrate an und werden diese bei ihren Gehaltsverhandlungen entsprechend berücksichtigen. Geht man davon aus, dass das Angebot der Produktion langfristig vom Geldmengenwachstum unabhängig ist, so führt ceteris paribus ein Geldmengenwachstum mit konstanter Rate zu einer Inflation mit derselben Rate.
Im Unterschied dazu ist jedoch der Zinssatz nicht unabhängig von der Inflation. Der langfristige Zinssatz wird zwar nicht von der Geldmenge als solcher bestimmt, allerdings muss sich das Geldmengenwachstum in den Zinssätzen widerspiegeln. Liegt die Inflation höher als der nominelle Zinssatz, dann ist der reale Zinssatz negativ. In der realen Welt mag das zwar hin und wieder vorkommen, aber hier ist zu berücksichtigen, dass (i) die Inflation der Zukunft nicht genau bekannt ist, der gegenwärtige Zinssatz also die erwartete Inflation berücksichtigt und (ii) üblicherweise der aktuelle nominelle Zinssatz über der aktuellen Inflationsrate liegt. [3]
Bei freiem Kapitalverkehr fließen Spargelder jenen Investitionen zu, die am meisten Ertrag versprechen. Gewinnmaximierende Anleger*innen werden ihre Wertpapiere so lange umschichten, bis Anlagen bei vergleichbarem Risiko die gleiche Rendite abwerfen. Dieses Verhalten führt zu einer Angleichung der Zinssätze. Zwischen Einlagen in den Währungen AGE und BGE herrscht Zinsparität, wenn gilt:
wobei der Wechselkurs zum Zeitpunkt noch nicht bekannt ist und nur erwartet werden kann. Die in Gl. (2.1.6) dargestellte Zinsparität besagt daher, dass der nominelle Zins einer Einlage in AGE gleich dem nominellen Zins einer Einlage in BGE plus der erwarteten Änderung des Wechselkurses über den Zeitraum der Veranlagung sein muss. Ist die Zinsparität nicht gegeben oder wird ein Zinssatz verändert, dann führt dies zu einer Kapitalbewegung in Richtung jener Ökonomie, die den höheren Zinssatz bietet. Eine solche Bewegung kann aber nicht auf Dauer vonstattengehen, sondern wird über die Anpassung der Wechselkurse automatisch beendet. Wenn der Zinssatz für Einlagen in BGE erhöht wird, dann geht dies einher mit der Erwartung einer Aufwertung von BGE, d.h. der zweite Term auf der rechten Seite in Gl. (2.1.6) wird kleiner, oder, gleichlautend, BGE wertet auf.
Aus Gl. (2.1.6) folgt freilich auch, dass bei Auslandsanlagen erwartete Wechselkursänderungen einberechnet werden müssen. Nimmt bspw. ein*e Anleger*in an, dass AGE gegenüber BGE um 10% aufwerten wird, dann muss der Zinssatz für denselben Zeitraum für Einlagen in AGE um 10 Prozentpunkte höher sein. Somit werden Erwartungen über Wechselkurse, die bspw. – wie oben ausgeführt – aus Erwartungen über das Wirtschaftswachstum und/oder dem Verhalten der Notenbank resultieren können, die relativen Zinssätze beeinflussen.
Der Fisher-Effekt
Aus den relativen KKP geht hervor, dass die Veränderung des Wechselkurses von den Inflationsraten in den Ländern abhängt. Da sich die Marktteilnehmer*innen dieser Beziehung bewusst sind, erwarten Sie folglich, dass sie eintritt. Wenn dies aber allgemein erwartet wird, dann ist die Differenz zwischen den Zinssätzen abhängig von den Inflationsraten – oder, wie aus Gl. (2.1.3) hervorgeht, bei hinreichend niedrigen Inflationsraten ist die Differenz sogar annähernd gleich.
Um diesen Zusammenhang zu sehen, kann man Gl. (2.1.6) umformen und die rechte Seite von Gl. (2.1.3) für die Wechselkursänderung einsetzen:
Zu berücksichtigen ist hier wiederum, dass die Inflationsraten zwischen und zum Zeitpunkt nur erwartet werden können. Wenn, wie aufgrund der KKP zu erwarten, die Währungsabwertung das Inflationsgefälle ausgleicht, dann muss die Zinssatzdifferenz bei hinreichend niedrigen Inflationsraten fast gleich der erwarteten Inflationsdifferenz sein. Anders formuliert geht aus Gl. (2.1.7) hervor, dass bei ansonsten gleichen Bedingungen ein Anstieg der erwarteten Inflationsrate eines Währungsraums den Zinssatz auf Einlagen in seiner Währung langfristig im gleichen Verhältnis wachsen lässt – und vice versa bei einem Rückgang der Inflationsraten. Diese langfristige Beziehung zwischen Inflation und Zinssätzen wird als Fisher-Effekt [4] bezeichnet.
Der Fisher-Effekt erklärt somit den scheinbar paradoxen Zusammenhang, wonach eine Währung abwertet, wenn der Zinssatz steigt: Dies folgt aus dem in Gl. (2.1.7) ersichtlichen Zusammenhang. In der kurzen Frist sind jedoch die Preise starr. Der Zinssatz kann kurzfristig sogar steigen, wenn die inländische Geldmenge sinkt, weil die inländische Preisniveaustarrheit zum ursprünglichen Zinssatz einen Nachfrageüberhang bei der realen Geldmenge auslöst. So kommt es zu kurzfristigen Ungleichgewichten, deren langfristige Auswirkungen jedoch neutral sind.
Wechselkursschwankungen
Gemäß der Zinsparität gleichen sich bei freiem internationalem Kapitalverkehr die Renditen von Wertpapieren unterschiedlicher Währungen an - zuzüglich eines Auf- oder Abschlags für erwartete Wechselkursänderungen. Die beiden Theorien der Zinsparität und der Kaufkraftparität beschreiben somit das langfristige Marktgleichgewicht für Zinsen und Wechselkurse. Kurzfristig gibt es bei den Wechselkursen täglich Fluktuationen, sie schwanken in kaum vorhersehbaren Mustern. Wechselkursrisiken betreffen somit nicht nur den Besitz der Währung als solcher, sondern auch in der jeweiligen Währung notierten Wertpapiere.
Wechselkursschwankungen entstehen vor allem, weil die Gelder für Käufe und Verkäufe von ausländischen Wertpapieren sehr viel unregelmäßiger fließen als die Zahlungen für Güter. Wertpapiere als spekulative Anlagen werden an einem Tag in Milliardenhöhe nachgefragt und am nächsten Tag wieder abgestoßen. Da das Angebot an Wertpapieren eines Landes sowie seiner Währung begrenzt ist, kann eine gestiegene Nachfrage nur über den Preis reguliert werden – und so u.U. auch zu Spekulationsblasen führen. Aber auch ohne das Auftreten solcher Blasen beeinflussen internationale Kapitalströme den täglichen Wechselkurs.
Wechselkursschwankungen führen naturgemäß zu Unsicherheiten auf den internationalen Märkten und betreffen die folgenden Bereiche:
- Zunächst einmal berühren Wechselkursschwankungen den Außenhandel: Importeur*innen und Exporteur*innen tragen ein Wechselkursrisiko, insbesondere dann, wenn Verträge über zukünftige Lieferungen abgeschlossen werden. Zwar kann man sich gegen das Risiko absichern, etwa indem man den Vertrag in der eigenen Landeswährung abschließt. Dann allerdings wird das Risiko lediglich auf den*die Handelspartner*in im Ausland übertragen. Ist diese*r dazu nicht bereit, kann man sich gegen Wechselkursschwankungen versichern lassen, was freilich mit Prämienzahlungen verbunden ist.
- Wechselkursschwankungen haben einen Effekt auf die Konjunktur, da der Wert der Währung den Außenhandel beeinflusst: Wertet die eigene Währung auf, dann werden Exporte erschwert und der Import von Gütern angeregt – die Gesamtnachfrage nach einheimischen Gütern wird gebremst, die Konjunktur gedämpft. Den umgekehrten Effekt hat eine zu billige Währung. Zwar ergibt sich aus Gl. (2.1.5), dass Wechselkurse als Korrektiv für unterschiedliche Wachstumsraten wirken und somit Wechselkurse auf das Wirtschaftswachstum reagieren – aber das gilt nur für die lange Frist. Kurzfristig können spekulationsbedingte Wechselkursschwankungen umgekehrt die Konjunktur und somit das Wirtschaftswachstum positiv oder negativ beeinflussen.
- Kurzfristige spekulationsbedingte Wechselkursschwankungen können sich selbst verstärken und aufgrund der Erwartungen die Wirtschaft langfristig beeinträchtigen: Ist die eigene Währung für längere Zeit überteuert, wandern Betriebe ab, die Arbeitslosigkeit steigt und bleibt möglicherweise für längere Zeit hoch, was die Konjunktur dämpft. Bleibt die Währung aus Spekulationsgründen längere Zeit zu teuer, so wird dies auch den Außenhandel längerfristig beeinflussen und die Schäden für die Ökonomie können insgesamt sehr groß sein.
Vor allem der letztgenannte Bereich lässt es attraktiv erscheinen, Wechselkursschwankungen zu reduzieren oder völlig zu eliminieren. Beispielsweise war die exportorientierte Industrie Österreichs während der Jahre der Deutsche-Mark-Bindung von Wechselkursrisiken gegenüber dem wichtigsten Handelspartner de facto befreit. Andererseits war Österreich damit automatisch der Wirtschaftspolitik der BR Deutschland ausgeliefert. Die BR Deutschland hat naturgemäß eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die ihren eigenen Zielen diente und für Österreich in der spezifischen Situation durchaus nachteilig sein konnten - dies betrifft zum Beispiel die Zinspolitik, über die Investitionen und Konsum beeinflusst werden.
Währungsunion
Eine ähnliche Währungspolitik wie Österreich haben andere kleinere europäische Länder verfolgt, deren wichtigster Handelspartner ebenfalls die BR Deutschland war, darunter die Niederlande oder die Schweiz. Indem diese Länder unilateral die Deutsche Mark als Ankerwährung nutzten und auf diese Weise die jeweiligen Wechselkurse fixiert haben, reduzierten sich zwar einerseits die Wechselkursrisiken für den österreichischen Außenhandel noch einmal beträchtlich, da Österreich sich in einer inoffiziellen Währungsunion mit jenen Ländern befand, die die gleiche Politik verfolgten. Einer Währungsunion freilich, in der die Wirtschaftspolitik de facto vom Land der Ankerwährung bestimmt wurde, und die von den anderen Ländern freiwillig übernommen wurde.
Wenn aber ohnehin viele Länder eine ähnliche Wirtschaftspolitik betreiben und ihre Geldpolitik freiwillig angleichen, wäre es dann nicht vernünftig, gleich eine Einheitswährung für alle Länder einzuführen? Auf diese Weise würde nicht ein Land die Entwicklung in den anderen bestimmen, sondern man könnte sich am Interesse aller beteiligten Länder orientieren. Dieses Kalkül war die wichtigste ökonomische Begründung für die Einführung des Euro.
Bei unterschiedlichen Interessen können selbst multilaterale Verträge über fixe Wechselkurse einseitig gekündigt werden, oder Wechselkurse werden bei unterschiedlichen Inflationsraten von Zeit zu Zeit angepasst. Ein Problem, das sich aus dieser Unsicherheit der potenziell jederzeit möglichen Kündigung fixer Wechselkurse ergibt, ist die Spekulation: Wird eine Anpassung erwartet und ist noch nicht erfolgt, lassen sich über entsprechende Währungskäufe und
-verkäufe (zumindest zum Teil auf Kosten der Allgemeinheit) Vermögen verdienen. [5]Somit ist der nächste Schritt fixer Wechselkurse mehrerer Länder eine echte Währungsunion, in der ebendiese Länder dieselbe Währung übernehmen und folglich auch dieselbe Geldpolitik. Natürlich kann auch eine Währungsunion wieder aufgelöst werden, aber das ist wesentlich aufwändiger als eine unilaterale Aufgabe fixer Wechselkurse und daher wesentlich weniger wahrscheinlich. Und selbst wenn eine Auflösung erwartet wird, kann, solange die Währungsunion besteht, nicht auf die Abwertung oder Aufwertung einzelner Landeswährungen spekuliert werden.
Die Euro-Einführung
Mit einer Währungsunion verbunden sind freilich die meisten Nachteile fixer Wechselkurse. Auch wenn die einzelnen Mitgliedstaaten die Geldpolitik nun formal mitbestimmen können, kann es wirtschaftlich in den einzelnen Ländern zu Abweichungen kommen. Aus diesem Grund wurden vor der Euro-Einführung die EU-Konvergenzkriterien („Maastricht-Kriterien“) definiert, die ein EU-Mitgliedstaat erfüllen muss, bevor er der Währungsunion beitritt: [6]
- Preisstabilität: Die Inflationsrate darf während des letzten Jahres vor der Prüfung nicht mehr als 1,5 % über der Inflationsrate der drei EU-Länder liegen, [7] die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. So soll nachgewiesen werden, dass die Inflation unter Kontrolle ist.
- Finanzlage der öffentlichen Hand: Durch die Begrenzung der staatlichen Kreditaufnahme und der Staatsverschuldung sowie der Vermeidung eines übermäßigen Defizits soll sichergestellt werden, dass die öffentlichen Finanzen stabil und tragbar sind. Das Defizit darf 3 % des nationalen BIP und die Verschuldung 60 % des nationalen BIP nicht überschreiten.
- Wechselkursstabilität: Das Land, das den Euro einführen möchte, muss mindestens zwei Jahre lang am Wechselkursmechanismus zwischen dem Euro und den Währungen der EU-Länder, die den Euro nicht eingeführt haben, teilgenommen haben. Außerdem darf seine Währung in diesem Zeitraum keine größeren Spannungen verzeichnet haben. Insbesondere darf in diesem Zeitraum keine Abwertung stattgefunden haben.
- Konvergenz der Zinssätze: Der langfristige Zinssatz darf um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in den drei Ländern des Euro-Währungsgebiets liegen, die das beste Ergebnis erzielt haben.
Der Grund für die Preisstabilitäts-Regel ergibt sich aus Gl. (2.1.3): Weichen die Inflationsraten zweier Länder voneinander ab, werden sich die Wechselkurse entsprechend anpassen. Da es in einer Währungsunion naturgemäß keine Wechselkurse gibt, entsteht bei unterschiedlichen Inflationsraten ein Ungleichgewicht: Jene Ökonomie mit höheren Inflationsraten kann ihre Währung nicht abwerten, deshalb wertet sie in einer Währungsunion de facto auf. Die Folgen sind ähnlich zu jenen einer in Lektion 2.1.7 beschriebenen Überbewertung einer Währung.
Die Sinnhaftigkeit der Finanzlage der öffentlichen Hand ergibt sich aus dem Druck auf Zinsen, den öffentliche Schulden ausüben: Weitet ein Mitglied der Währungsunion seine Staatsschulden aus, dann beeinflusst es durch das zusätzliche Angebot an Wertpapieren in Form der Staatsanleihen auch den Zinssatz der anderen Mitglieder. Darüber hinaus entfällt der Zinsaufschlag, der von Gläubiger*innen als Kompensation für das nationale Inflations- und Abwertungsrisiko verlangt wird, wodurch sich Länder mit höherer Inflation innerhalb der Währungsunion relativ billiger verschulden können. Die Grenze dient also primär der Eindämmung des Einflusses unilateraler wirtschaftspolitischer Entscheidungen auf andere Länder der Union.
Die Bedeutung der Wechselkursstabilität sowie der Konvergenz der Zinssätze folgt aus Gl. (2.1.5), aus der hervorgeht, dass eine entsprechende Stabilität nur bei einer gewissen Ähnlichkeit der teilnehmenden Länder hinsichtlich des Wechselspiels von Geldnachfrage und Geldangebot gegeben ist, und umgekehrt unterschiedliche Zinssätze einen Einfluss auf die Wechselkurse haben, mit entsprechendem Aufwertungs- oder Abwertungsdruck.
Die Euro-Krise: Ursachen
Wie die bisherige Analyse zeigt, dienen Wechselkurse als Mechanismus, Ungleichgewichte zu korrigieren. Deshalb ist es zum Funktionieren einer Währungsunion unumgänglich, dass die Wirtschaftspolitik koordiniert wird, da die letzte Möglichkeit bei festen Wechselkursen – die Ab- oder Aufwertung – nicht mehr möglich ist. Ist bspw. die Inflation in einem Land permanent höher als in einem anderen Land innerhalb der Währungsunion, so wird die Produktion in dem Land mit der höheren Inflation laufend teurer, und es erleidet einen Wettbewerbsnachteil – die Folge ist ein Leistungsbilanzdefizit. Wie die Analyse der Zahlungsbilanz jedoch zeigt, sind permanente Leistungsbilanzdefizite (ohne Schenkungen) unmöglich.
Die Inflationsrate eines Landes hängt maßgeblich von den Erwartungen über die zukünftige Inflation ab. In den südeuropäischen Ländern der Eurozone fielen die Lohnabschlüsse – vermutlich deshalb, weil in diesen Ländern die Inflation vor der Euro-Einführung traditionell höher war – in den ersten zehn Jahren höher aus als im Durchschnitt der Eurozone. Entscheidend ist hier das Verhältnis zur Produktivität: Wenn die Lohnerhöhungen in einem Land höher sind als der Zuwachs an Produktivität, [8] dann steigen die Güterpreise entsprechend, da die Unternehmen diese Kosten an die Konsument*innen weiter, wodurch sich die Inflationsrate erhöht. Ist die Differenz zwischen Lohnwachstum und Produktivitätswachstum in einem Land der Währungsunion höher als im anderen, dann erleidet das erste Land Wettbewerbsnachteil auf den Exportmärkten, den das zweite Land gewinnt. [9]
Die EZB hat in ihren Statuten als Hauptaufgabe die Gewährleistung der Preisstabilität festgelegt, definiert als Inflationsrate von knapp unter 2% jährlich. Allerdings kann die EZB die Preise nicht direkt kontrollieren, sondern muss die Preisstabilität über ihre geldpolitische Strategie bewirken. Insbesondere kann sie den Inflationsdruck, der über Lohnabschlüsse entsteht, nicht beeinflussen. Während also in südeuropäischen Ländern (Griechenland, Italien, Portugal, Spanien) die Inflationsraten in den ersten Jahren der Eurozone höher als 2% lagen, lagen andere Länder teilweise weit darunter. Insbesondere in Deutschland durch die „Agenda 2010“ und, etwas schwächer, in Österreich wurden die Lohnerhöhungen mit politischem Druck niedrig gehalten. Die Differenz zum Produktivitätswachstum war geringer ausgeprägt als in den südeuropäischen Ländern, was die deutschen und österreichischen Güter relativ verbilligte.
In der oberen Abbildung wird die kumulative inländische Preisentwicklung anhand der BIP-Deflatoren für die ersten zehn Jahre des Euro für ausgewählte Länder dargestellt. [10] Wie man sehen kann, entspricht der kumulierte BIP-Deflator für die gesamte Euro-Zone ziemlich genau dem von der EZB formulierten Inflationsziel von knapp unter 2%. Man sieht allerdings auch, dass die südeuropäischen Länder permanent darüber, Deutschland und Österreich hingegen permanent darunter lagen. Lediglich Frankreich hat sich an das EZB-Ziel gehalten und liegt fast genau auf der Kurve der Eurozone. Alle anderen abgebildeten Länder weichen deutlich ab. Zu berücksichtigen sind hier zwei Fakten:
- Erstens, eine Abweichung nach unten stellt genauso eine Verfehlung des EZB-Ziels dar wie eine Abweichung nach oben.
- Zweitens, wer sich an das EZB-Ziel hält, ist dennoch gegenüber jenen Ländern benachteiligt, die das Ziel unterbieten.
Zusammengefasst haben sich Deutschland und Österreich auf den Exportmärkten einen Vorteil verschafft, indem sie die Produktionskosten über die Lohnpolitik relativ zu den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone reduziert haben. So kommt es innerhalb der Euro-Zone zu unterschiedlichen Preisentwicklungen, die Folgen sind insbesondere:
- Erstens, Leistungsbilanzüberschüsse in jenen Ländern, die das Inflationsziel unterboten haben, bei gleichzeitigen Leistungsbilanzdefiziten in jenen Ländern, die sich an das Inflationsziel gehalten haben oder kumulativ darüber lagen.
- Zweitens, sinkende Lohnquoten in jenen Ländern, die das Inflationsziel unterboten haben, da die niedrige Inflation über das Niedrighalten der Löhne erreicht wurde.
Tatsächlich haben sich die Reallöhne in Deutschland und Österreich trotz moderaten Wirtschaftswachstums in den ersten zehn Jahren der Euro-Mitgliedschaft kaum erhöht. Entsprechend des Inflationsziels der EZB müssten die nominellen Lohnerhöhungen in jedem Land der Formel „Produktivitätssteigerung plus 2% Inflation“ folgen. Da die tatsächlichen Lohnerhöhungen in Österreich regelmäßig darunter lagen, hat sich auch die Einkommensverteilung in Richtung Kapital verschoben. [11] Dementsprechend ist die Lohnquote in Österreich in den ersten zehn Jahren der Euro-Mitgliedschaft um fast 10%, von 69,2% auf 63,9%, zurückgegangen. [12]
Die Euro-Rahmenbedingungen als Gefangenendilemma
Der Grundkonflikt der europäischen Währungsunion ist also insbesondere darin zu sehen, dass zwar die Geldpolitik von der EZB und somit formal im Interesse aller gestaltet wird, die Lohnpolitik jedoch in den Mitgliedstaaten bestimmt wird und es keine offizielle Regelung gibt, wie sie gestaltet werden soll und es erst recht keine Sanktionen, wenn einzelne Länder systematisch versuchen, andere zu unterbieten. Dieses Problem lässt sich auch als Gefangenendilemma darstellen, in dem jedes Land der Eurozone die Wahl hat, sich in der Lohnpolitik an die Formel „Produktivitätssteigerung plus 2%“, entsprechend der von der EZB angestrebten Inflationsrate, zu halten, oder sie zu unterbieten. Die Auszahlungen entsprechen dem erwarteten Wirtschaftswachstum und sind in folgender Tabelle dargestellt.
|
Land 2 | Land 2 | |
---|---|---|---|
hält sich an Formel | unterbietet Formel | ||
|
hält sich an Formel | 2%, 2% | 0,5%, 2,5% |
Land 1 |
unterbietet Formel | 2,5%, 0,5% | 1%, 1% |
Die Lohnpolitik in der Eurozone als Gefangenendilemma
In obiger Tabelle haben zwei Länder die Wahl, sich bei den jährlichen Lohnabschlüssen an die Formel „Produktivitätssteigerung plus 2%“ zu halten, oder sie zu unterbieten. Halten sich beide Länder daran, beträgt das reale Wirtschaftswachstum in beiden Ländern 2% (was in etwa dem langjährigen Schnitt vor Einführung des Euro entspricht). Wenn ein Land abweicht und die Formel unterbietet, das andere Land sich hingegen daran hält, so erzielt das erste Land durch die relative Lohnsenkung einen Wettbewerbsvorteil auf den Exportmärkten. Allerdings geht durch den relativen Lohnrückgang auch die Kaufkraft zurück, was die Konjunktur dämpft: Die Konsument*innen in Land 1 fragen weniger nach, weshalb das durchschnittliche Wachstum beider Länder niedriger ausfällt (1,5% statt 2%). Das unterbietende Land hat allerdings einen klaren Wachstumsvorteil, wobei sich innerhalb des Landes die Einkommensverteilung zugunsten des Produktionsfaktors Kapital verschiebt. Unterbieten beide Länder die Formel, so kann kein Land einen Wettbewerbsvorteil erzielen; allerdings geht in beiden Ländern die Kaufkraft zurück, was die Konjunktur dämpft, und das durchschnittliche Wachstum beider Länder ist das niedrigste aller Szenarien.
Während jährliche Schwankungen – nicht zuletzt durch die Starrheit der Preise – kaum Auswirkungen haben, sind die Auswirkungen der kumulativen Entwicklung dramatisch. Folgende Abbildung stellt den kumulativen BIP-Deflatoren der ersten zehn Jahre des Euro das reale Wachstum seit Ausbruch der Krise gegenüber. Wie man sieht, besteht ein negativer Zusammenhang zwischen der Preisentwicklung innerhalb der Euro-Mitgliedstaaten und dem anschließenden BIP-Wachstum, der Korrelationskoeffizient für die in Abb. 2.1 dargestellten Daten beträgt -0,45. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang beim Vergleich von Deutschland und Frankreich, den beiden größten Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone.
Die Euro-Krise: Ausblick
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit der Euro-Einführung der Wegfall der spekulativen Währungsschwankungen erkauft wurde um das Fehlen des ausgleichenden Effekts von Auf- und Abwertungen. Das durch Abb. 2.1 illustrierte Auseinanderklaffen der Produktionskosten innerhalb der Eurozone kann nicht über Nacht rückgängig gemacht werden, sondern bedarf eines längeren Anpassungsprozesses, um die bildhafte Schere in Abb. 2.1 wieder zu schließen. Allerdings ändert sich dadurch das in Tab. 2.1 dargestellte Dilemma nicht: Welche Lohnpolitik die anderen Länder der Eurozone auch verfolgen mögen, das eigene Land sollte die Lohnkosten möglichst wenig erhöhen oder sogar nominell senken. Zwar fielen die Lohnerhöhungen in Deutschland und Österreich in den 2010er-Jahren wieder etwas höher aus (vgl. auch Lektion 2.2.6). Allerdings sind sie im historischen Vergleich immer noch niedrig, sodass den südeuropäischen Ländern und Frankreich nichts anderes übrig bleibt, als sie zu unterbieten suchen. Auf diese Weise wird jedoch die Kaufkraft weiter reduziert und die Konjunktur kommt nicht in Schwung.
Hinzu kommen die volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit, die in allen Euro-Gründungsstaaten außer Deutschland im Jahr 2015 höher lag als im Jahr 2008. [13] Dadurch wird der Konsum noch einmal eingeschränkt, während den Staaten zusätzliche Kosten für Sozialausgaben entstehen. Angesichts der Persistenz der Euro-Krise ist mittlerweile fraglich, ob sich die Volkswirtschaften der Eurozone noch auf einem langfristigen Wachstumspfad befinden. Letztlich ist eine der Annahmen der Wachstumstheorie, dass die betreffende Ökonomie konjunkturelle Phänomene soweit im Griff hat, dass sie langfristig keine Auswirkungen haben. Trifft das nicht zu, so sind auch die Bedingungen für langfristiges Wachstum und der damit verbundenen Zunahme des Wohlstands nicht mehr gegeben. [14]
Als Fazit bleibt somit festzustellen, dass sich eine Währungsunion auf ein Inflationsziel einigen muss, das einzelne Länder nicht systematisch unter- oder überschreiten dürfen. Die Länder der Eurozone werden ihre kumulativen Inflationsraten anpassen müssen, um den entstandenen Schaden wenigstens für die Zukunft zu reduzieren. Während dies in den südeuropäischen Ländern durch reale Lohnsenkungen während der 2010er-Jahre bereits passiert, liegt es insbesondere an Deutschland, durch hohe Lohnabschlüsse auch eine höhere Inflation zuzulassen. Diese Lohnerhöhungen müssten mehrere Jahre über der Formel „Produktivitätssteigerung plus 2%“ liegen. Auf diese Weise würden die bislang unterbietenden Länder und insbesondere Deutschland mehr konsumieren und ihre Leistungsbilanzüberschüsse wieder abbauen.
Wettbewerbsfähigkeit
In einem vielbeachteten Essay hat sich der spätere Nobelpreisträger Paul Krugman dagegen ausgesprochen, das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit von der Unternehmensebene auf Volkswirtschaften übertragen zu wollen. [15] Demnach sei es irreführend und sogar gefährlich, davon auszugehen, dass sich Volkswirtschaften auf eine ähnliche Weise im Wettbewerb zueinander befänden wie Unternehmen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wettbewerbssituation von Unternehmen und Ökonomien ergibt sich aus dem Ricardo-Modell, das zeigt, dass der Verlust von Marktanteilen auf Exportmärkten im Interesse beider Ökonomien sein kann, wohingegen Unternehmen üblicherweise um Marktanteile in bestimmten Segmenten kämpfen. Ein zweiter, augenscheinlicher Unterschied ist, dass „nicht wettbewerbsfähige“ Ökonomien im Unterschied zu Unternehmen nicht einfach vom Markt verschwinden, sondern weiterhin existieren. Hinzu kommt, dass Volkswirtschaften über ihre Regierungen die Rahmenbedingungen ihrer Wettbewerbsfähigkeit selbst beeinflussen können, während sie Unternehmen üblicherweise hinnehmen müssen.
Dennoch ist offensichtlich, dass auch Ökonomien zueinander in Konkurrenz stehen. Bereits im vorigen Abschnitt wurde der Preiswettbewerb erörtert, der sich insbesondere in einer Währungsunion ergeben kann. Hinzu kommt, dass Ökonomien als Standorte um Investitionen konkurrieren. Weiterhin kann auch der Arbeitsmarkt dahingehend interpretiert werden, dass Ökonomien ein Interesse daran haben, qualifizierte Arbeitnehmer*innen zu attrahieren bzw. zu halten.
Das Konzept der Preiswettbewerbsfähigkeit
Exporte, Importe und somit die Nettoexporte hängen letztlich davon ab, was in der eigenen Ökonomie produziert wird, wie hoch das Einkommen dieser Ökonomie ist, sowie der Produktion und dem Einkommen im Rest der Welt ab. Aus der mikroökonomischen Standard-Nachfragefunktion ergibt sich, dass die Nachfrage nach einem Gut üblicherweise von ihrem Preis abhängt. So lässt sich folgern, dass auch Exporte und Importe von ihren jeweiligen Preisen bestimmt werden. Die tatsächlich nachgefragte Menge ergibt sich somit aus den relativen Preisen sowie dem Einkommen, das zur Verfügung steht.
Die Importnachfrage einer Ökonomie ist folglich abhängig vom Preis eines importierten Guts relativ zum Preis des einheimischen Guts, das als Substitut zur Verfügung steht, bspw. südafrikanischer und österreichischer Wein. Gleichung (2.1.1) lässt sich für das konkrete Beispiel umformen. Angenommen, eine Flasche Cabernet Sauvignon aus Südafrika kostet 250 südafrikanische Rand (Symbol: ). Bei einem Wechselkurs in Preisnotierung von kostet die Flasche in Österreich somit Euro. Die Nachfrage nach südafrikanischem Cabernet Sauvignon wird in Österreich wird nun maßgeblich vom Preisverhältnis zu österreichischem Cabernet Sauvignon bestimmt: Steigt bspw. der Preis österreichischen Cabernet Sauvignons von 15 auf 20 Euro, so wird sich das Importvolumen südafrikanischen Cabernet Sauvignons erhöhen, da Letzterer nun billiger ist. Allgemein lässt sich die Importnachfrage einer Ökonomie A formulieren als
wobei das Einkommen in A, , einen positiven Einfluss auf die Importnachfrage in A, , hat, während das Preisverhältnis einen negativen Effekt hat (d.h. je kleiner der Term , umso größer das Importvolumen). Analog lässt sich die Ausfuhr einheimischer Güter als Funktion des Einkommens im Ausland und des Preisverhältnisses darstellen als
wobei das Einkommen in B, , einen positiven Einfluss auf die Exportnachfrage von A, , hat, und das Preisverhältnis nun ebenfalls einen positiven Effekt hat. Somit werden die Nettoexporte einer Ökonomie tendenziell umfangreicher ausfallen, wenn die Preiswettbewerbsfähigkeit von A steigt, d.h. je größer der Term ausfällt.
Auswirkungen der Preiswettbewerbsfähigkeit
Eine erhöhte Preiswettbewerbsfähigkeit wird sich somit auf die verschiedenen in Lektion 1.3 vorgestellten Konzepte tendenziell positiv auswirken, da sie das Exportvolumen erhöhen. Die Vorteile können eine ganze Ökonomie oder bestimmte Branchen betreffen. Beispielsweise verschaffen die durch neue Technologien in den USA gesunkenen Energiepreise energieintensiven Branchen in den USA einen Vorteil beim Preiswettbewerb, da sie die Produktionskosten senken und die betreffenden Unternehmen in der Lage sind, die Güterpreise in ihrer Währung zu senken, was – aus Sicht der USA als Exporteur – sinken lässt, wodurch sinkt und steigt.
Ebenso geht aus Gleichungen (2.2.1) und (2.2.2) hervor, dass Wechselkursänderungen die Preiswettbewerbsfähigkeit beeinflussen werden. Eine höhere Inflation in A, die sich nicht sofort auf den Wechselkurs auswirkt, kann somit zumindest temporär die Preiswettbewerbsfähigkeit beeinflussen. Dieser Effekt wird eher bei gelenkten und festen Wechselkursen zu beobachten sein, wo es häufig zu abrupten Abwertungen oder Aufwertungen einer Währung kommt. Allerdings können auch – wie in Lektion 2.1.7 diskutiert – Wechselkursschwankungen durch Erwartungen der Spekulanten zu einer längeren Über- oder Unterbewertung einer Währung führen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Preiswettbewerbsfähigkeit.
Aus zwei Gründen wirken sich Veränderungen in den Preisniveaus jedoch nur in abgeschwächter Form auf die Preiswettbewerbsfähigkeit aus:
- Erstens können Transportkosten und handelspolitische Maßnahmen das Preisverhältnis beeinflussen, indem sie den Preis der importierten Waren erhöhen. Ein Beispiel hierfür sind die regelmäßigen Auseinandersetzungen der EU und der Volksrepublik China, die die EU mitunter veranlassen, zusätzliche Zölle für chinesische Waren einzuführen (z.B. bei Solarmodulen).
- Zweitens wenden Exporteur*innen häufig strategische Preissetzungen an, indem der Preis der Ware in heimischer Währung nicht unbedingt dem Preis in Fremdwährung entspricht. Diese Strategie entspricht einer internationalen Preisdiskriminierung, bei der unterschiedliche Preise auf unterschiedlichen Märkten verlangt werden. Diese Strategie lässt sich häufig beobachten, wenn Wechselkursschwankungen (sowohl nach oben wie nach unten) nicht oder nicht in voller Höhe an die ausländischen Kund*innen weitergereicht werden, sondern die Preise im Ausland konstant gehalten werden.
Reale Wechselkurse
Besonders heikel ist das Thema der Preiswettbewerbsfähigkeit in einer Währungsunion, die durch den Wegfall der Wechselkurse nur noch von den Preisverhältnissen abhängt, welche wiederum von den Produktionskosten beeinflusst werden. Wie in Lektion 2.1.10 gezeigt wurde, sind diese innerhalb der Eurozone durch unterschiedliche Lohnentwicklungen divergiert. In einer Währungsunion kann der Preiswettbewerb durch den Wegfall von Aufwertungen und Abwertungen über die Lohnkosten geführt werden, mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Einkommen der Arbeitnehmer*innen, was sich in letzter Konsequenz wiederum auf die Nettoexporte auswirken wird: Geraten einige Länder – wie in der Eurozone der
Fall – in eine Rezession, so geht in Gl. (2.2.2) zurück.
Das Konzept der Preiswettbewerbsfähigkeit lässt sich mit den realen KKP zum Konzept der realen Wechselkurse verbinden:
Diese Formel ist naturgemäß dann relevant, wenn Gl. (2.1.2) nicht erfüllt ist. Angenommen, , , , . Daraus ergibt sich ein Anstieg des Wechselkurses in Preisnotierung aus Sicht von A von 0,5 auf 0,6, d.h. die Währung von B sollte gemäß Gl. (2.1.2) um 20% aufwerten und . Angenommen, der nominelle Wechselkurs beträgt zum Zeitpunkt jedoch – aus welchen Gründen auch immer – nur 0,55. Dann ist – bei konstanten Einkommen in eigener Währung kann ein Einwohner*in von A nun 9% mehr Güter aus B erwerben. Da erwartet wird, dass sich der reale Wechselkurs langfristig bei 1 einpendelt, sagt man auch, die Währung sei zurzeit überbewertet. Analog bezeichnet eine Unterbewertung einer Währung den Fall . Man beachte, dass eine Unter- und Überbewertung einer Währung somit nur im Zeitverlauf einer sinnvollen Aussage entspricht.
Betrachtet man den realen Wechselkurs zweier Ökonomien, die sich in einer gemeinsamen Währungsunion befinden, so verdeutlicht Gl. (2.2.3) noch einmal das Hauptproblem der europäischen Währungsunion: Da es keine nominellen Wechselkurse gibt, ist zwangsläufig stets . Ändern sich jedoch die Preisniveaus, dann kommt es zu Unter- und Überbewertungen im Sinne realer Wechselkurse. Ist zum Beginn der Währungsunion , entwickeln sich die Preisniveaus – insbesondere aufgrund unterschiedlicher Lohnpolitiken – unterschiedlich, sodass bspw. . In diesem Fall ist die fiktive Währung von A überbewertet, und das Land erleidet einen Preiswettbewerbsnachteil. Somit kann die in den Lektionen 2.1..0-2.1.12 skizzierte Euro-Krise auch als Ausdruck der Preiswettbewerbsfähigkeit interpretiert werden.
Lohnstückkosten
Die Lohnstückkosten sind eng verzahnt mit dem Konzept der Wettbewerbsfähigkeit, da sie die Entwicklung der Lohnkosten im Verhältnis zur Produktivität messen. Üblicherweise werden die nominellen Lohnstückkosten angegeben: [16]
wobei den Stundenlohn, die Summe der Arbeitsstunden aller Arbeitnehmer*innen, das nominelle BIP, das reale BIP zum Basisjahr und den BIP-Deflator zwischen den Zeitpunkten und bezeichnen. Diese Maße werden in Beziehung gesetzt zur Gesamtzahl der Arbeitnehmer*innen und der Gesamtzahl der Erwerbstätigen . Im mittleren Teil von Gl. (2.2.4) steht also im Zähler das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer*in, im Nenner das reale BIP je Erwerbstätige*n. Indem die nominellen Lohnkosten in Beziehung zum realen BIP gesetzt werden, lässt sich ablesen, inwieweit die Lohnsteigerungen vom Produktivitätswachstum abweichen. Diese Grundidee wird bei Betrachtung der Zerlegung der Lohnstückkostenformel in drei Terme deutlich (rechter Teil der Gl. (2.2.4)): Der Term misst nichts anderes als den Lohnanteil am BIP (und ist daher der Lohnquote sehr ähnlich) [17] . Bleiben dieser Anteil sowie der Kehrwert des Anteils der Arbeitnehmer an der Erwerbstätigen, , konstant, dann entsprechen die Lohnstückkosten zum Zeitpunkt der Entwicklung des BIP-Deflators seit dem Basisjahr .
Da Arbeitnehmer und Erwerbstätige jedoch üblicherweise zu Vollzeitäquivalenten gemessen werden, gilt , mit als Summe der Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen. Somit lassen sich die Lohnstückkosten gemäß Gl. (2.2.4) auch darstellen als [18]
Es wird also allen Erwerbstätigen (einschließlich der Selbständigen und Mithelfenden) der durchschnittliche Stundenlohn unterstellt und dieses Produkt wird durch das nominelle BIP dividiert. Betrachtet man die Lohnstückkosten nur zu einem bestimmten Zeitpunkt , dann ist und das Konzept der Lohnstückkosten reduziert sich auf . Die entsprechende Zahl entspricht dem Anteil der Arbeitskosten am BIP unter der Annahme, dass die Arbeit der Selbständigen und Mithelfenden zum selben Satz wie jene der Unselbständigen entlohnt würde, wenn sie unselbständig wären. Aufgrund der Kühnheit dieser Annahme ist die Aussagekraft sehr begrenzt.
Sinnvoll ist daher eher die Betrachtung über die Zeit (was durch das Subskript betont wird): Steigt der Lohnsatz bei konstantem Arbeitseinsatz ebenso wie das nominelle BIP, dann entsprechen die Lohnstückkosten dem BIP-Deflator. Steigen die Löhne stärker, dann sind die Lohnstückkosten höher als der BIP-Deflator über den denselben Zeitraum. Da jedoch der BIP-Deflator seinerseits hochgradig von der Lohnentwicklung abhängt, wirken die Lohnstückkosten gewissermaßen als Verstärker des Preiseffekts der Lohnentwicklung, den der BIP-Deflator enthält.
Ein erweiterter Ansatz sind die realen Lohnstückkosten , die den BIP-Deflator zum Verbraucherpreisindex in Beziehung setzen:
Diese Darstellung ist somit identisch mit Gl. (2.2.4) und (2.2.5), nur dass zusätzlich durch den Verbraucherpreisindex dividiert wird. Aufgrund ihrer Verwandtschaft zur Lohnquote werden die realen Lohnstückkosten auch als „reale bereinigte Lohnquote“ interpretiert. Sie sollen widerspiegeln, dass Unternehmer*in und Arbeitnehmer*in unterschiedlich von Preissteigerungen betroffen sind. Steigen die nominellen Löhne stärker als das BIP und steigt der Verbraucherpreisindex im selben Ausmaß stärker als der BIP-Deflator, dann verändern sich die realen Lohnstückkosten jedoch gar nicht, obwohl sich die Einkommensverteilung zugunsten der Arbeitnehmer*innen verbessert hat. Die Aussagekraft ist also auch hier sehr begrenzt und bestenfalls bei gleichzeitiger Betrachtung mit anderen ökonomischen Kennzahlen gegeben.
Mitunter werden in der öffentlichen Diskussion die Lohnstückkosten mit der Lohnhöhe gleichgesetzt, in Verbindung mit der Forderung, die Lohnstückkosten zu senken, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Allerdings haben, wie oben gezeigt, die Lohnstückkosten zu einem bestimmten Zeitpunkt lediglich eine begrenzte Aussagekraft, nur ihre Veränderung kann sinnvoll interpretiert werden. Wie Lektion 2.2.3 diskutiert, spielt innerhalb einer Währungsunion die Preiswettbewerbsfähigkeit eine bedeutende Rolle, weshalb die Entwicklung der Lohnstückkosten in der Eurozone verstärkte Beachtung findet. Da die Lohnentwicklung im Verhältnis zur Produktivität auch vom BIP-Deflator erfasst wird, stellt sich bei dynamischer Betrachtung allerdings die Frage, inwieweit die Lohnstückkosten im Vergleich zum BIP-Deflator einen Erkenntnisgewinn darstellen. [19]
Hinsichtlich der absoluten Lohnhöhe gilt, dass diese langfristig stets mit der Produktivität hoch korreliert sind: Gemäß der Grenzkostentheorie entsprechen die Löhne dem Grenzprodukt der Arbeit und werden damit umso höher ausfallen, je höher die Produktivität ausfällt, die wiederum wesentlich von der vorhandenen Technologie und dem zur Verfügung stehenden Sach- und Humankapital abhängen. Praktisch müssen die Lohnkosten aus Sicht des*der Arbeitgeber*in durch die Produktivität des*der Arbeitnehmer*in gerechtfertigt sein, sonst wird das Arbeitsverhältnis aufgegeben. Daraus folgt, dass bei statischer Betrachtung niedrige Löhne ein Zeichen niedriger Wettbewerbsfähigkeit sind, während hohe Löhne eine hohe Wettbewerbsfähigkeit anzeigen.
Industriepolitik
Wettbewerbsfähigkeit als ökonomisch sinnvolles Konzept meint daher im Kern eine hohe Produktivität mit entsprechend hohen Pro-Kopf-Einkommen unter ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltigen Bedingungen. [20] Somit ist Wettbewerbsfähigkeit im gesamtwirtschaftlichen Sinn erstens weder gleichzusetzen mit möglichst niedrigen Löhnen noch mit einem möglichst hohen Leistungsbilanzüberschuss; zweitens muss sie in Verbindung mit anderen gesellschaftlichen Zielen gesehen werden. Bei Zielkonflikten (bspw. Arbeitsbedingungen oder Umweltstandards) müssen daher von der Politik Prioritäten gesetzt werden.
Der letzte Punkt ist auch deshalb relevant, weil ein höheres Wachstum der Industrie am stärksten zum Gesamtwachstum beiträgt. Dies wird auch von der EU-Kommission anerkannt, die eine Erhöhung des Industrieanteils an der Wertschöpfung auf 20% bis 2020 für die EU anstrebt. Das nicht zuletzt deshalb, als empirische Studien belegen, dass die reale Arbeitsproduktivität in der Industrie in Österreich schneller wächst als in der Gesamtwirtschaft. Die höhere Effizienz in der Industrie führt letztlich auch zu höheren Löhnen in dieser Branche.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine international wettbewerbsfähige Industrie eine entscheidende Rolle für den Wohlstand einnimmt, was wiederum eine entsprechende Politik begründet. Die Diskussion der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit ist damit eng verzahnt mit Industriepolitik, die als öffentliche Intervention zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen (z.B. nachfrageseitigen, technologischen, oder regulatorischen) Rahmenbedingungen in den einzelnen Industriezweigen aufgefasst werden kann. Weiterhin lassen sich unterscheiden:
- Eine vertikale Industriepolitik, die sich auf bestimmte Branchen konzentriert, um diese zu fördern, etwa über Subventionen, sowie
- eine horizontale Industriepolitik, die auf allgemeine Funktionen des Wirtschaftssystems ausgerichtet ist und – ohne zwischen Branchen zu diskriminieren – beispielsweise versucht, das Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer*innen allgemein zu erhöhen, den Zugang zu Kapital für Unternehmen zu verbessern, oder in die Infrastruktur investiert.
In der Praxis ist die Trennung jedoch nicht eindeutig, da bestimmte horizontale Schritte bestimmten Branchen eher nützen werden als anderen. Weiterhin kann unterschieden werden zwischen
- Industriepolitik im engeren Sinn, die sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Sachgütererzeugung (d.h. des industriellen Sektors) konzentriert, sowie
- Strukturpolitik (Industriepolitik im weiteren Sinn), womit die gezielte Beeinflussung der sektoralen Produktionsstruktur einer Ökonomie gemeint ist und üblicherweise der Anteil jener Industriezweige erhöht werden soll, von welchen man sich die höchsten Wachstums- und Produktivitätspotenziale verspricht.
Die EU betont, dass die Wettbewerbsfähigkeit in der Hand der Unternehmen selbst liege, während die Industriepolitik auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen zielt, insbesondere sollen
- Rahmenbedingungen für Investitionen, insbesondere in Innovationen, verbessert werden;
- der Binnenmarkt gestärkt und internationale Märkte geöffnet werden;
- der Zugang zu den Kapitalmärkten, insbesondere für KMU, verbessert werden und
- Humanressourcen und Qualifikation verbessert werden.
Die vertikale Industriepolitik und die entsprechenden Kompetenzen liegen somit bei den Mitgliedstaaten, wobei sich Österreich selbst das Ziel gesetzt hat, zu jenen Volkswirtschaften aufzusteigen, die das höchste Innovationspotenzial aufweisen. Somit wird Industriepolitik auf österreichischer Ebene v.a. Innovationspolitik sein, um die entsprechenden Branchen zu fördern.
Die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs innerhalb der Eurozone
Wie oben diskutiert ist der wichtigste Indikator der Wettbewerbsfähigkeit jener der Arbeitsproduktivität, da er zum Ausdruck bringt, wie viel je Arbeitseinheit produziert wird. Die Arbeitsproduktivität wird üblicherweise je Erwerbstätigen oder je Arbeitsstunde dargestellt, wobei die Werte im internationalen Vergleich aus verschiedenen Gründen voneinander abweichen können, wobei (i) der Anteil von Teilzeitbeschäftigten und (ii) die Neigung der Arbeitgeber, bei schlechter Auftragslage Leute nicht sofort zu kündigen, die bedeutendsten Gründe sind.
Bei statischer Betrachtung entspricht die Arbeitsproduktivität daher schlicht Output (BIP) je Arbeitsinput (Erwerbstätige oder Arbeitsstunden). Bei dynamischer Betrachtung wird ein bestimmter Zeitpunkt gleich 100 gesetzt und die Entwicklung über die Zeit berechnet. Betrachtet man sich die Entwicklung von einem bestimmten Anfangszeitpunkt aus, so lautet die formale Darstellung für die reale Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen , für die reale Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde .
Abbildung 2.3 stellt , und für Österreich, die Eurozone und die vier größten Volkswirtschaften der Eurozone seit 1998 dar. Dabei fällt auf, dass die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde viel stärker als jene je Erwerbstätigen angestiegen ist, was v.a. auf die relative Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen zurückzuführen ist – die Krise hat diesen Prozess durch vermehrte Teilzeitarbeit noch einmal verstärkt. Insbesondere bei Österreich fällt auf, dass die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde seit Ausbruch der Krise weiterhin steigt – was bei Betrachtung je Erwerbstätigen oder beim BIP je Einwohner*in nicht deutlich wird. Bei der Interpretation ist freilich auch zu berücksichtigen, dass eine hohe Arbeitslosigkeit die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde tendenziell erhöht, da wenig produktive Abreitnehmer üblicherweise als Erste entlassen werden – und vice versa. Hier ist interessant zu sehen, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Spanien vor der Krise zusammenfällt mit einem niedrigen, fallweise sogar negativen Anstieg der Arbeitsproduktivität. Neben der Spitzenposition Österreichs ist festzuhalten, dass Frankreich nach beiden Kriterien eine bessere Entwicklung zeigt als Deutschland.
Indem man die Nominallöhne durch die Arbeitsproduktivität dividiert, kommt man direkt zu den nominellen Lohnstückkosten, da aus den Herleitungen in Lektion 2.2.4 folgt, dass . In Abb. 2.4 ist die Entwicklung für den BIP-Deflator sowie für die Lohnstückkosten seit 1998 dargestellt. Beim Vergleich des BIP-Deflators über einen längeren Zeitraum als in Abb. 2.1 fällt auf, dass die die Schere zwar teilweise wieder geschlossen hat, insbesondere Deutschland aber immer noch weit unter der gesamten Eurozone liegt. Die Lohnstückkosten zeigen im Prinzip das gleiche Bild, lediglich verstärkt um die nominelle Lohnentwicklung.
Einen wichtigen Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit in naher Zukunft stellen die Investitionen der Gegenwart dar. Insbesondere erhöht die Ausstattung mit Sachkapital die Arbeitsproduktivität, was auch in der Standard-Produktionsfunktion zum Ausdruck kommt. [21] Hinzu kommt, dass umfangreiche Investitionen in der Gegenwart die Anbieter besser auf eine zukünftige Nachfragesteigerung vorbereiten, wodurch sie – wenn dieser Fall eintritt – mit entsprechenden Produktionsausweitungen reagieren können. Beim Indikator stehen stets die Investitionen im Zähler, der Output in derselben Periode im Nenner. Bei den Investitionen kann man entweder ausschließlich Anlageninvestitionen oder Letztere zuzüglich Veränderungen der Lagerhaltung berücksichtigen, beim Output kann man das BIP oder die Bruttowertschöpfung heranziehen.
Wie in Abb. 2.5 zu sehen, sind die Entwicklungen der beiden Indikatoren zwar ähnlich, aber nicht identisch. Österreich zeigt wie alle anderen Ökonomien einen Abwärtstrend seit der Jahrtausendwende, der in Österreich jedoch schwächer ausfällt und zum Ende des Beobachtungszeitraums sogar den höchsten Wert aufweist. Der Hauptgrund hierfür ist die starke Position der Industrie in der österreichischen Volkswirtschaft, die naturgemäß ein höheres Investitionsvolumen aufweist als der Landwirtschafts- und der Dienstleistungssektor. Allerdings zeigt sich für Österreich seit 2012 ein leichter Abwärtstrend, der bei Berücksichtigung der Lagerhaltung stärker ausfällt.
Migration
Obwohl internationale Migration im Unterschied zu internationalen Kapitalströmen stark reguliert ist, spielt sie für moderne Ökonomien eine immer größere Rolle. Insbesondere wohlhabende Ökonomien erfahren seit Jahrzehnten einen permanenten Netto-Zufluss an Arbeitskräften, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Produktionsmöglichkeiten. Die Europäische Union hebt die Vorteile der Migration innerhalb ihres Territoriums hervor, wobei der wichtigste jener der Allkation ist: Je größer der Pool an Arbeitskräften, (i) umso einfacher können von Arbeitgebern Engpässe an Arbeitskräften überwunden werden, und (ii) umso passgenauer können von Arbeitgebern insbesondere hochqualifizierte Arbeitsplätze besetzt werden. Aus Sicht der Arbeitnehmer gilt im Prinzip das Gleiche: Je größer der Arbeitsmarkt, (i) umso eher können Arbeitsuchende einen Arbeitgeber finden, und (ii) insbesondere Hochqualifizierten steht ein größerer Pool an Arbeitgebern gegenüber, die ihr spezifisches Humankapital benötigen und entsprechend entlohnen. Die dadurch verbesserte Allokation des Faktors Arbeit sollte daher die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen, auch wenn es für einzelne Ökonomien zu Nachteilen kommen kann.
Typen der Migration
Obwohl der Begriff Migration im Alltag eher mit internationaler Migration assoziiert wird, bezeichnet er im ökonomischen Sinn jeden Ortswechsel, der zum Zweck der Arbeitsausübung durchgeführt wird. Daraus folgt auch, dass in der Volkswirtschaftslehre Migration typischerweise mit Arbeitsmigration gleichgesetzt wird. Auch wenn in der Realität für viele Migranten der Arbeitsplatzwechsel zumindest nicht die Hauptmotivation darstellt, so hat dennoch fast jeder Akt der Migration Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte: Manche Menschen folgen ihren Ehepartnern, die selbst aufgrund der Arbeit migriert sind, Flüchtlinge treten in den Arbeitsmarkt ein, Studierende bleiben entgegen ihrer ursprünglichen Intention dauerhaft in der Region oder im Land ihrer Universität, usw.
Unabhängig von der ursprünglichen Motivation kann Migration nach verschiedenen Ausprägungen definiert werden, je nachdem, welche Grenzen überschritten werden und wie lange der Aufenthalt währt. Insbesondere werden unterschieden:
- Internationale Migration, welche die permanente Verlegung des Wohn- und Arbeitsorts in einen anderen souveränen Staat bezeichnet.
- Interregionale Migration, welche die permanente Verlegung des Wohn- und Arbeitsorts in eine andere Region innerhalb desselben souveränen Staats bezeichnet.
- Pendelmigration, welche die Verlegung des Arbeitsortes ohne dauerhafte Verlegung des Wohnorts bezeichnet. Die Pendelmigration kann weiter unterschieden werden in interregionale und internationale Pendelmigration, wobei Letztere in der Praxis allerdings sehr viel seltener stattfindet.
Was eine „permanente Verlegung“ bezeichnet ist naturgemäß dehnbar; die Statistik Austria erfasst in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen Personen, die seit mindestens sechs Monaten in Österreich ansässig sind, als Teil der österreichischen Wirtschaft, was hier vielleicht zur Orientierung hilfreich ist. Allen drei Typen gemeinsam ist, dass definitionsgemäß eine administrative Grenze überschritten werden muss. Wie diese administrativen Grenzen gezogen sind, wird einen entsprechenden Effekt auf die statistisch beobachtete Migration haben: Insbesondere beim Studium interregionaler Migration hängt die Interpretation stark von der gewählten räumlichen Maßstabsebene ab, was wiederum bei internationalen Vergleichen von Bedeutung ist.
Der wesentliche Unterschied zwischen internationaler und interregionaler Migration ist, dass Erstere typischerweise reguliert wird, während Letztere in Marktwirtschaften typischerweise völlig frei ist. Aus ökonomischer Sicht ist dieser Unterschied bedeutsam, weil (i) die mikroökonomischen Kosten der interregionalen Migration wesentlich niedriger sind als jene der internationalen Migration und die die (ii) makroökonomischen Effekte daher stärker zum Tragen kommen. Die Europäische Union bildet hier insofern einen Sonderfall, als durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit einerseits die legalen Migrationsbarrieren innerhalb ihres Territoriums aufgehoben sind, wodurch im ökonomischen Sinn jede Migration als interregionale Migration zu klassifizieren ist, auch wenn sie im staatsrechtlichen Sinn internationale Migration darstellt.
Mikroökonomische Fundierung einer Migrationsentscheidung
Bereits 1932 hat der spätere Nobelpreisträger John Hicks Unterschiede im Nettoeinkommen, insbesondere Löhnen, als Hauptgrund für Migrationsentscheidungen identifiziert. In diesem Sinn kann eine Migrationsentscheidung als individuelle Humankapitalinvestition verstanden werden: Arbeitnehmer schätzen die Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten in allen ihnen offenstehenden Arbeitsmärkten ein, subtrahieren die mit der Migration verbundenen Kosten, und treffen die Entscheidung, ob sie migrieren werden oder nicht in Abhängigkeit davon, welche Entscheidung ihr langfristiges Einkommen maximieren wird. Kosten der Migration betreffen zunächst die Kosten der Distanzüberwindung selbst, weshalb geographisch naheliegende Ziele naturgemäß attraktiver sind. Zu den Kosten zählen jedoch auch seelische Kosten (auch: psychische Kosten), die sich einerseits aus dem Stress ergeben, sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden zu müssen und andererseits aus dem Verlust von Freunden und Verwandten.
Die Entscheidung eines individuellen Arbeitnehmers lässt sich als Vergleich der zu erwartenden langfristigen Einkommen darstellen. Dargestellt sei zunächst der gegenwärtige Wert des zu erwartenden Lebenseinkommens eines 20jährigen Arbeitnehmers, wenn er in seiner Heimatregion bleibt:
wobei das zu erwartende Einkommen im entsprechenden Lebensalter 20, 21
22, … Jahren bezeichnet und die individuelle Diskontrate. Analog kann das zu erwartende Lebenseinkommen für eine beliebige Ökonomie dargestellt werden, die dem Arbeitsnehmer als potenzielles Migrationsziel offensteht:
Der Nettoeinkommenszuwachs ergibt sich nun einfach als , wobei die Kosten der Migration von nach erfasst. Die Person wird migrieren, wenn . Aus den Gleichungen folgt, dass sich die Migration generell umso eher lohnen wird, je jünger der potenzielle Migrant ist. Weiterhin gilt, dass der potenzielle Einkommensunterschied umso höher ist, je höher die Qualifikation der Person ist. Somit lässt sich vereinfacht festhalten, dass je jünger und je besser ausgebildet eine Person ist, umso höher die Wahrscheinlichkeit der Migration. Aus den Gleichungen folgt ferner, dass
- eine Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen in der potenziellen Ziel-Ökonomie den Nettoertrag und damit die Wahrscheinlichkeit der Migration erhöht, und vice versa;
- eine Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen in der Heimat-Ökonomie den Nettoertrag und damit die Wahrscheinlichkeit der Migration reduziert, und vice versa;
- Eine Erhöhung der Migrationskosten den potenziellen Ertrag der Migration und somit die die Wahrscheinlichkeit der Migration reduziert, und vice versa.
Somit gilt zusammenfassend, dass Migration dann auftreten wird, wenn für den potenziellen Migranten die Chancen gut stehen, dass die Erträge der Migration deren Kosten übersteigen.
Selbst-Selektion der Emigranten
Wie aus der bisherigen Diskussion hervorgeht, sind für die individuelle Migrationsentscheidung nicht die Durchschnittsgehälter der infrage kommenden Ökonomien relevant, sondern die für die jeweilige Person individuell zu erzielenden. Zwar wird das Durchschnittsgehalt in der jeweiligen Ökonomie das individuelle Gehalt beeinflussen – in welchem Ausmaß das der Fall ist, hängt jedoch auch von der Einkommensverteilung ab.
Ausschlaggebend für das individuelle Einkommen ist, in welchem Ausmaß Unterschiede hinsichtlich der Qualifikation honoriert werden. Bei relativer Gleichverteilung der Einkommen innerhalb der Gruppe der Arbeitsnehmer profitieren Hochqualifizierte relativ wenig von ihren relativ hohen Qualifikationsniveaus, während Niedrigqualifizierte ein höheres Einkommen erzielen als in einer Ökonomie mit gleichem Durchschnittseinkommen, aber höherer Einkommensungleichheit.
Ein potenzieller Migrant wird seine Entscheidung zu migrieren daher sowohl vom Durchschnittseinkommen als auch von der Einkommensvarianz in der Quell- und der Zielregion abhängig machen. Zur Vereinfachung sei angenommen, dass die Durchschnittseinkommen in zwei Ökonomien A und B gleich hoch sind, aber Varianz in A höher ist, wobei die Höhe der individuellen Einkommen wiederum positiv mit den Qualifikationsniveaus korreliert sind. Daraus folgt, dass ein überdurchschnittlich qualifizierter Arbeitnehmer in A ein höheres Einkommen erzielen wird als in B, während ein unterdurchschnittlich qualifizierter Arbeitnehmer in B ein höheres Einkommen erzielen wird als in A.
Daraus folgt weiters, dass ceteris paribus jene Ökonomie mit einer gleicheren Einkommensverteilung unterdurchschnittlich qualifizierte Immigranten attrahieren wird, während sie selbst überdurchschnittlich qualifizierte Emigranten verlieren wird. Diese Zusammenhänge ergeben sich aus dem Roy-Modell und beschreiben somit, welche Ökonomien von welchen Migranten ausgewählt werden. [22] So kann etwa erklärt werden, warum die USA bei hoher Einkommensungleichheit recht erfolgreich darin sind, hoch- und höchstqualifizierte Arbeitnehmer aus Ökonomien mit vergleichbaren Durchschnittseinkommen – darunter Österreich – anzulocken; gleichzeitig zeigen Migrationsdaten, dass Migranten aus Drittstaaten mit niedrigem Durchschnittseinkommen bei hoher Qualifikation eher die USA, bei niedriger Qualifikation eher Österreich (und vergleichbare Länder) als Ziel wählen.
Der Effekt der Migration auf die aggregierte Produktionsfunktion
Um die Auswirkungen der Migration auf die Gesamtwirtschaft darzustellen, ist es hilfreich, sich noch einmal die neoklassische Produktionsfunktion anzuschauen: [23]
(2.3.3)
wobei und die Bestände an Sach- bzw. Humankapital darstellen, und den aktuellen technologischen Stand symbolisiert. Der aggregierte Output einer Ökonomie (was dem absoluten BIP in der VGR entspricht) steigt, wenn zumindest eine der Variablen , , oder steigt. Abstrahiert man von Immigranten, die nicht arbeiten und berücksichtigt damit nur den Effekt von Erwerbspersonen, so ergibt sich aus Gl. (2.3.3), dass Immigration
- zunächst einmal das Arbeitsangebot erhöht und somit zwangsläufig einen positiven Effekt auf hat;
- außerdem höchstwahrscheinlich erhöht, wenn zumindest ein Immigrant zumindest irgendeine Fertigkeit besitzt, die über bloße körperliche Arbeit hinausgeht und die in der Zielökonomie eingesetzt werden kann;
- schließlich möglicherweise erhöht, falls Immigration den Stand des technologischen Wissens erhöht.
Theoretisch kann sich durch Immigration auch der Bestand an Sachkapital erhöhen, allerdings werden Immigranten recht selten Produktionsmittel mit sich bringen, weshalb von diesem Fall abgesehen wird. Aus Gl. (2.3.3) ergibt sich analog, dass Emigration
- das Arbeitsangebot reduziert und somit einen negativen Effekt auf hat;
- höchstwahrscheinlich verringert, aus den oben genannten Gründen;
- unberührt lässt, wenn das abstrakte Wissen, über das die Emigranten verfügen, weiterhin im Land vorhanden bleibt.
Die Effekte auf das absolute BIP sind im Fall von Immigration von Erwerbspersonen somit eindeutig positiv. Im Fall von Nicht-Erwerbspersonen hängt der Effekt davon ab, wer für die betreffende Person aufkommt. Ist die Erwerbsquote unter Immigranten höher als innerhalb der ansässigen Bevölkerung, so wird der Gesamt-Effekt insgesamt positiv bleiben. Ist er niedriger, hängt es davon ab, inwiefern das Konsumverhalten der Immigranten die Gesamtnachfrage verändert, negative Effekte werden allerdings wohl vernachlässigbar gering sein. Diese Effekte wirken in umgekehrter Richtung für Emigration.
Der Effekt der Migration auf die Produktion je Arbeitseinheit
Gesellschafts- und wirtschaftspolitisch relevanter als der Effekt auf das absolute Produktionsniveau ist freilich der Effekt der Migration auf den Output je Arbeitseinheit. Dividiert man Gl. (2.3.3) durch das Arbeitsangebot , so erhält man
wobei die Kleinbuchstaben , und jeweils den Output, das Sachkapital und das Humankapital je Arbeitnehmer bezeichnen. Daraus ergeben sich die folgenden Implikationen:
- Immigration wird den Sachkapitalbestand je Arbeitseinheit zwangsläufig reduzieren, Emigration wird ihn analog erhöhen;
- der Einfluss auf den Humankapitalbestand je Arbeitseinheit hängt davon ab, wer migriert.
Somit kommt dem Humankapital die entscheidende Rolle zu: Ist das Qualifikationsniveau der Immigranten höher als jenes der ansässigen Bevölkerung, so kann der Rückgang an Sachkapital je Arbeitseinheit durch den Gewinn an Humankapital kompensiert oder überkompensiert werden. Ist er niedriger oder gleich hoch, so kommt es auf jeden Fall zu einer Reduktion des Outputs je Arbeitseinheit. Analog dazu gilt, dass im Verhältnis zum Niveau der Herkunfts-Ökonomie durchschnittlich oder überdurchschnittlich hoch qualifizierte Emigranten den Output je Arbeitseinheit reduzieren werden. Ist das Humankapital der Emigranten hinreichend niedrig, kommt es zu einer Erhöhung des Outputs je Arbeitseinheit. [24]
Weicht die Erwerbsquote der Migranten von jener der Ziel- oder Herkunfts-Ökonomie ab, so gilt, dass
- eine höhere Erwerbsquote von Immigranten für sich einen positiven Effekt auf den Output je Einwohner der Ziel-Region hat, da es nun mehr Arbeitnehmer je Einwohner gibt; und vice versa bei einer niedrigeren Erwerbsquote,
- eine höhere Erwerbsquote von Emigranten für sich einen negativen Effekt auf den Output je Einwohner der Herkunfts-Ökonomie hat, da es nun weniger Arbeitnehmer je Einwohner gibt; und vice versa bei einer niedrigeren Erwerbsquote.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass es sich bei der Interpretation der Gleichungen (2.3.3) und (2.3.4) nur um kurzfristige Effekte handelt. Die langfristigen Effekte können anhand des Steady-State-Outputs ermittelt werden, da Migration zwangsläufig einen Effekt auf das Bevölkerungswachstum hat:
Da , hat permanente Netto-Immigration einen eindeutig negativen, permanente Netto-Emigration einen eindeutig positiven Effekt auf das Gleichgewichtsniveau von .
Auswirkungen der Migration in einem System von Ökonomien
Innerhalb eines Systems von Ökonomien (Regionalökonomien innerhalb eines Landes, Mitgliedstaaten der EU) stellt jeder Akt der Emigration zugleich einen Akt der Immigration dar, die Effekte für das gesamte System müssen daher simultan analysiert werden. Auf der einen Seite stehen die erwarteten positiven Effekte für das gesamte System aufgrund der verbesserten Zuordnung von Arbeitnehmern zu Arbeitgebern (Matching). Allerdings folgt in einer Marktwirtschaft die Entscheidung zu migrieren individueller Nutzenmaximierung, die Effekte sind jedoch makroskopischer Natur. Daraus folgt insbesondere, dass der Zugewinn an Einkommen für das Individuum geringer oder höher sein kann als der Rückgang des Outputs der Herkunfts-Ökonomie als Folge des Verlusts an Humankapital. Für den Gesamteffekt entscheidend wäre hier der Effekt durch die Erhöhung des Outputs der Ziel-Ökonomie. Insbesondere wenn es zu einer Konzentration von Humankapital kommt, können aufgrund des sinkenden Grenzprodukts die negativen Effekte überwiegen.
Weiterhin folgt aus der neoklassischen Produktionsfunktion, dass die Grenzproduktivität des Sachkapitals, , von der Humankapital-Ausstattung positiv abhängt:
Das Grenzprodukt ist somit umso höher, je mehr Humankapital vorhanden ist. Zwar sinkt die Grenzproduktivität von je größer bereits ist, wodurch Sachkapital-arme Ökonomien ceteris paribus für Neuinvestitionen attraktiver sind. Allerdings geht aus Gl. (2.3.6) hervor, dass dieser negative Effekt durch das Vorhandensein von Humankapital kompensiert werden kann. Somit bleiben Ökonomien, die reich an Sach- und Humankapital sind, für Neuinvestitionen attraktiv.
Im Unterschied zu Investitionen in Sachkapital folgt die Migration von Humankapital nicht dem Grenzprodukt, sondern dem zu erwartenden Lohn im Sinne der lebenslangen Einkommensmaximierung entsprechend Gleichungen (2.3.1) und (2.3.2). Für die individuelle Entscheidung relevant sind somit das Durchschnittseinkommen in den jeweiligen Ökonomien plus des Aufschlags für das Humankapital, das der Arbeitnehmer anbieten kann. Daraus folgt, dass
- Ökonomien, die bereits über viel Human- und Sachkapital verfügen, beide Produktionsfaktoren weiterhin attrahieren können, wodurch sie anderen Ökonomien nicht mehr zur Verfügung stehen;
- Ökonomien, in denen das Durchschnittseinkommen niedrig ist, Humankapital durch eine ungleichere Verteilung der Einkommen zugunsten von Humankapital attrahieren können.
Bei sehr großen Einkommensunterschieden zwischen Ökonomien innerhalb eines Systems wird der zweite Effekt jedoch nicht ausreichen, um für den ersten Effekt kompensieren zu können. Die Folge ist eine permanente Wanderungsbewegung in Richtung der produktiveren Ökonomien. Da die weniger produktiven Ökonomien dadurch permanent Humankapital verlieren, werden sich Unterschiede im Produktions- und somit Wohlstandsniveau langfristig tendenziell eher reproduzieren denn angleichen.
Übungen
2.4.1
In Wien kostet ein Krügel Pils € 3,80, in Liverpool kostet ein Pint Ale ₤ 3,00. Der Wechselkurs in Mengennotierung ist ₤ 0,75.
Was ist der Preis eines Krügels Pils gerechnet in Pints Ale?
Wie verändert sich dieser relative Preis unter ansonsten gleichen Bedingungen, wenn das Pfund auf ₤ 0,90 abgewertet wird?
Ist das Pint Ale in b. im Verhältnis zum Krügel Pils teurer oder billiger geworden?
2.4.2
Ein US-Dollar kostet 65 russische Rubel, jedoch nur 0,95 Schweizer Franken. Wie ist der Wechselkurs des russischen Rubel in Schweizer Franken?
2.4.3
Erdöl wird auf dem Weltmarkt üblicherweise zu US-Dollar-Preisen angeboten. Der belgische Solvay-Konzern importiert Erdöl, um daraus Kunststoffe zu produzieren. Wie beeinflusst eine Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar die Gewinne des Unternehmens?
2.4.4
Die Inflationsrate in Russland betrug 2013 6,75%, in Kanada 0,90%. Wie müsste sich der relativen KKP zufolge 2013 der Wechselkurs des kanadischen Dollar gegenüber dem russischen Rubel entwickeln?
2.4.5
In einer Tageszeitung findet sich der Satz: „Kamera-Hersteller Canon leidet (…) unter der Aufwertung des Yen und senkt seine Erwartungen für das Gesamtjahr.“ Interpretieren Sie diese Aussage.
2.4.6
Ungarische Hausbesitzer haben zur Mitte der 2000er-Jahre ihre Hypotheken in Schweizer Franken aufgenommen, weil die Franken-Zinsen niedriger waren als die Forint-Zinsen. Die jährliche Inflationsrate lag in Ungarn in den Jahren 2005-2007 durchschnittlich bei 5,96%, in der Schweiz bei 1,00%. In Ungarn verschuldeten sich Hausbesitzer mit insgesamt 3 Mrd. Franken – war das klug?
2.4.7
Wie kann die schwedische Notenbank eine ihrer Meinung nach zu starken Krone gegenüber dem Euro abwerten?
2.4.8
Welchem Wechselkurssystem entsprach der österreichische Schilling vor Einführung des Euro und welche ökonomische Begründung gab es für die Einführung des Euro?
2.4.9
Die Idee, dass es so etwas wie eine Wettbewerbsfähigkeit von Ökonomien gibt, ist bis heute umstritten.
Nennen Sie die zwei wesentlichen Gründe, weshalb nach Krugman das Prinzip der Wettbewerbsfähigkeit nicht auf Volkswirtschaften übertragen werden kann.
Erläutern Sie, weshalb das Prinzip der Preiswettbewerbsfähigkeit innerhalb einer Währungsunion von besonderer Bedeutung ist.
2.4.10
Analysieren Sie anhand des Konzepts der Preiswettbewerbsfähigkeit, wie sich die folgenden Szenarien auf Exporte und Importe der eigenen Volkswirtschaft auswirken:
Das BIP der eigenen Volkswirtschaft steigt.
Das BIP der anderen Volkswirtschafft steigt.
Das Preisniveau der eigenen Volkswirtschaft steigt um 5%, während sowohl der nominale Wechselkurs wie das Preisniveau der anderen Volkswirtschaft unverändert bleiben.
Das Preisniveau der eigenen Volkswirtschaft steigt um 5%, das Preisniveau der anderen Volkswirtschaft steigt um 10%, während der nominale Wechselkurs unverändert bleibt.
Das Preisniveau beider Volkswirtschaften steigt um 2%, der nominale Wechselkurs in Preisnotierung steigt um 10%.
2.4.11
Die nominellen Lohnstückkosten sind definiert als , wobei den Stundenlohn, die Summe der Arbeitsstunden aller Arbeitnehmer, das reale BIP zum Basisjahr und die Gesamtzahl der Erwerbstätigen, jeweils zum Zeitpunkt , bezeichnen.
Formen Sie die Gleichung so um, dass , wobei den BIP-Deflator zwischen den Zeitpunkten und , das nominelle BIP und die Summe der Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen bezeichnen.
Interpretieren Sie die Aussagekraft der Lohnstückkosten anhand des Ausdrucks .
Welche Form nimmt die Gleichung ohne Bezug auf ein Basisjahr an, formal wenn ?
Interpretieren Sie die Aussagekraft des Ergebnisses aus c..
Inwiefern unterscheiden sich die realen von den nominellen Lohnstückkosten?
2.4.12
Prüfen Sie die folgenden Zitate aus einer Tageszeitung auf ihre Sinnhaftigkeit.
„Aussagekräftiger als die Arbeitskosten sind die Lohnstückkosten, die berücksichtigen, wie viel in einer Stunde produziert wird.“
„Obwohl sie [große Unternehmen, Anm.] höhere Löhne bezahlen, liegen ihre Lohnstückkosten deutlich unter dem Branchenschnitt.“
„Die Studie enthält eine besonders alarmierende Ziffer: Die Lohnstückkosten (vereinfacht gesagt die Arbeitskosten pro Produktionseinheit) sind hierzulande besonders stark gestiegen. Seit 2008 um 15,8 Prozent. Im EU-Schnitt betrug die Steigerung nur 10,2 Prozent, in der Schweiz 4,5 Prozent. Klingt ein wenig abstrakt, heißt aber, dass sich unsere Wettbewerbsfähigkeit international ziemlich dramatisch verschlechtert hat. Anders gesagt: In den vergangenen Jahren sind die Löhne viel stärker gestiegen als die Arbeitsproduktivität.“
„Ein großes Problem sind der neuen Studie zufolge die hohen Lohnstückkosten in Österreich, welche die Produktivität reduzierten. Im Zeitraum 2008 bis 2014 seien die Lohnstückkosten um 15,8 Prozent angestiegen. Zum Vergleich: In Deutschland betrug die Steigerung 15,7 Prozent.“
„Die Wiener Wirtschaft besitzt eine hohe Produktivität. Deshalb sind die Lohnstückkosten in Wien unter dem Strich auf Augenhöhe mit Bratislava – obwohl in Wien doppelt so hohe Löhne gezahlt werden.“
2.4.13
Erläutern Sie, warum bei statischer Betrachtung hohe Löhne ein Indikator für hohe Wettbewerbsfähigkeit sind.
2.4.14
Definieren Sie den Begriff der Industriepolitik und beschreiben Sie kurz ihre vier Typen.
2.4.15
Ein Arbeitnehmer berechnet sein Lebenseinkommen nach der Formel
, wobei das Einkommen im Jahr bezeichnet und seinen individuellen Diskontsatz bezeichnen.
Zeigen Sie anhand der Gleichung, wie ein Arbeitnehmer, der sein Lebenseinkommen zu maximieren anstrebt, den Netto-Nutzen einer Migration von Land nach Land berechnet.
Diskutieren Sie die Implikationen des Ergebnisses.
2.4.16
Ein Arbeiter mit einer jährlichen Diskontrate von 10% wohnt zurzeit in Bregenz und soll entscheiden, entweder zu bleiben oder nach Leoben zu ziehen. In Leoben würde er jährlich netto € 25.000 verdienen, in Bregenz € 22.000. Der Arbeiter hat noch zehn Jahre bis zur Pensionierung vor sich.
Welche Migrationskosten ist er gemäß der Formel aus Bsp. 2.4.14 maximal bereit zu tragen?
Angenommen, der Arbeiter sieht eine 50%-Chance, in Leoben nach fünf Jahren in eine leitende Position mit einem Gehalt von netto €35.000 aufzusteigen, wohingegen er in Bregenz keine solche Möglichkeit sieht. Wie würden Sie diese Möglichkeit in die Berechnung implementieren?
Welche Migrationskosten ist der Arbeiter mit der Angabe aus b. nun maximal bereit zu tragen?
2.4.17
Angenommen, in einer Ökonomie gibt es nur Erwerbstätige und alle Immigranten sind ebenfalls Erwerbstätige, die Bevölkerung ist somit identisch mit dem Arbeitsangebot . Das BIP der Ökonomie entspricht der neoklassischen Produktionsfunktion
wobei . und stellen die Bestände an Sach- bzw. Humankapital dar, den technologischen Stand.
Zeigen Sie, dass Zuwanderung stets einen positiven Effekt auf das BIP hat.
Formen Sie die Gleichung aus der Angabe so um, dass sie das BIP je Einwohner darstellt.
Zeigen Sie, dass der Effekt auf das BIP je Einwohner vom Humankapital der Immigranten abhängt.
2.4.18
Betrachten Sie die neoklassische Produktionsfunktion je Einwohner
, wobei und die Bestände an Sach- bzw. Humankapital je Einwohner darstellen und den technologischen Stand symbolisiert.
Beschreiben Sie den grundlegenden Zusammenhang zwischen dem Grenzprodukt des Faktors Sachkapital und der Attraktivität für Investitionen.
Zeigen Sie anhand der angegebenen Gleichung, dass das Grenzprodukt des Faktors Sachkapital sinkt, je mehr Sachkapital in einer Ökonomie vorhanden ist, und kommentieren das Ergebnis.
Zeigen Sie anhand der angegebenen Gleichung, dass das Grenzprodukt des Faktors Sachkapital steigt, je mehr Humankapital in einer Ökonomie vorhanden ist, und kommentieren das Ergebnis.
2.4.19
Beschreiben Sie verbal, inwieweit freie Faktorenmobilität in einem System von Ökonomien dazu beiträgt, dass bestehende Wohlstandsunterscheide sich langfristig nicht verringern.
Lösungen
2.4.1
a. Ein Pint Ale kostet Euro. Somit kostet ein Krügel Pils Pints Ale.
b. Ein Pint Ale verbilligt sich auf seines Euro-Preises, somit kostet ein Krügel Pils nun Pints Ale.
c. Da man nun mehr Ale für ein Pils erhält, ist das Pint Ale billiger geworden.
2.4.2
Man erhält für einen russischen Rubel Schweizer Franken.
2.4.3
Eine Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar erhöht die Kosten des Unternehmens. Wenn es allerdings seine Produkte in die USA exportiert, kann es zum Ausgleich deren Preis in Euro (nicht in Dollar) heraufsetzen. Alles in allem ist einem Unternehmen, dem hohe Kosten für den Import von Rohstoffen und Zwischenprodukten entstehen, mit einer Abwertung der einheimischen Währung eher nicht gedient.
2.4.4
Der Wechselkurs wird sich um erhöhen, d.h. der kanadische Dollar wertet um 5,798% auf.
2.4.5
Wenn der reale Wechselkurs bei ansonsten konstanten Bedingungen steigt, dann ist dies normalerweise schlecht für die Exporteure, da sich ihre Produkte im Ausland verteuern, sodass die Auslandsexportnachfrage möglicherweise sinkt. Im Allgemeinen kann man die Auswirkungen einer realen Wechselkursänderung jedoch nur dann richtig interpretieren, wenn man ihre Ursachen kennt.
2.4.6
Die ungarischen Hausbesitzer gingen das Risiko ein, dass der Schweizer Franken gegenüber dem Forint aufwerten könnte – was angesichts der rund sechsmal so hohen Inflation in Ungarn sehr wahrscheinlich war. Ende 2008 wertete der Forint dann um 30% ab, sodass sich die ungarischen Franken-Schulden prompt um 30% erhöhten. Die Folge waren zahlreiche Bankrotte in Ungarn.
2.4.7
Die schwedische Notenbank könnte ihre Zinsen senken oder die Geldmenge erhöhen, was zu einem niedrigeren Zinssatz führen wird. Durch die niedrigeren Kronen-Zinsen wird die schwedische Währung für Anleger weniger attraktiv, was zu einer Abwertung führen kann.
2.4.8
Das Wechselkurssystem entsprach fixen Wechselkursen. Die wichtigste ökonomische Begründung für die Euro-Einführung war die Mitbestimmung über die Geldpolitik jener Länder, die die Deutsche Mark unilateral als Ankerwährung genutzt hatten.
2.4.9
a. (i) Da Unternehmen üblicherweise um Marktanteile kämpfen, bedeutet der Marktanteilsgewinn des einen Unternehmens zwangsläufig den Marktanteilsverlust von mindestens einem anderen Unternehmen. Im Gegensatz dazu ist der Außenhandel von Ökonomien kein Nullsummenspiel, da sie – wie im Ricardo-Modell gezeigt – vom Handel mit anderen Ökonomien profitieren können. (ii) Im Unterschied zu Unternehmen kann es im wörtlichen Sinn keine „nicht wettbewerbsfähigen“ Ökonomien geben, da sie sich nicht einfach aus dem Markt ausscheiden, sondern weiterhin existieren werden.
b. Unterschiedliche Preisentwicklungen innerhalb von Ökonomien werden durch Wechselkursänderungen ausgeglichen. In einer Währungsunion ist das nicht möglich, was Ökonomien in die Lage versetzt, über geringere Preisanstiege im Inneren auf den Exportmärkten an Preiswettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Besonderer Bedeutung kommt den Löhnen zu, da diese die Preisentwicklung innerhalb einer Ökonomie am meisten beeinflussen.
2.4.10
a. Die Importnachfrage steigt.
b. Die Exportnachfrage steigt.
c. Die Importnachfrage steigt, die Exportnachfrage sinkt
d. Die Importnachfrage sinkt, die Exportnachfrage steigt
d. Die Importnachfrage sinkt, die Exportnachfrage steigt
2.4.11
b. Die Lohnstückkosten sind aus methodischer Sicht zweifelhaft, da nominelle und reale Werte verbunden werden. Da die Lohnstückkosten bei dynamischer Betrachtung den Stundenlohn mit dem BIP-Deflator multiplizieren, wird der Effekt, den Löhne auf den BIP-Deflator haben, lediglich verstärkt, der Informationsgewinn hinsichtlich der Preiswettbewerbsfähigkeit ist fraglich.
d. Unter der Annahme, dass selbständige und mithelfende Erwerbstätige den durchschnittlichen Stundenlohn der Arbeitnehmer erhielten, lässt sich abschätzen, welchen Anteil des Bruttoinlandsprodukts und damit der Produktion auf den Faktor Arbeit zurückgeht. Die Aussagekraft ist jedoch begrenzt, da nicht bekannt ist, welchen Marktwert die Arbeit aller selbständig und mithelfend Erwerbstätigen tatsächlich im Durchschnitt hat.
e. Die nominellen Lohnstückkosten werden durch den Verbraucherpreisindex dividiert:
2.4.12
a. Die Lohnstückkosten messen bei statischer Betrachtung (wie im Zitat formuliert) nicht die Produktion pro Stunde, sondern den Anteil der Arbeitskosten am BIP unter der Annahme, dass die Arbeit der Selbständigen und Mithelfenden zum selben Satz wie jene der Unselbständigen entlohnt würde, wenn sie unselbständig wären.
b. Da auch hier in der Gegenwart formuliert wird, bezieht sich die korrekte Interpretation der Aussage auf den Anteil der Arbeitskosten an der Wertschöpfung der Unternehmen. Das würde laut Zitat letztlich nichts anderes bedeuten, als dass die betreffenden Unternehmen eine höhere Gewinnquote aufweisen.
c. Die Lohnstückkosten lassen sich auch darstellen als nomineller Lohn dividiert durch reale Produktivität. Bei positiver Inflation werden nominelle Werte freilich stets rascher steigen als reale Werte, insofern würde man im Normalfall nichts anderes als einen stärkeren Anstieg der (nominellen) Löhne als der (realen) Arbeitsproduktivität erwarten. Unterschiedliche Inflationsraten werden zu Änderungen der Wechselkurse führen und sagen daher per se nichts über die Preiswettbewerbsfähigkeit aus.
d. Da die Lohnstückkosten dem nominellen Lohn dividiert durch die reale Produktivität entsprechen, kann die Produktivität ihrerseits als nomineller Lohn dividiert durch Lohnstückkosten dargestellt werden. In der Gleichung reduzieren höhere Lohnstückosten tatsächlich die Produktivität, allerdings ist der Zusammenhang nicht kausal, wie jedoch im zitierten Bericht suggeriert wird: Die Entwicklung der Lohnstückkosten wird über die Entwicklung der Produktivität definiert, nicht umgekehrt.
e. Das Zitat ist in der Gegenwart formuliert, weshalb wie unter a. mit den Lohnstückkosten der Anteil der Arbeitskosten am BIP gemeint ist unter der Annahme, dass die Arbeit der Selbständigen und Mithelfenden zum selben Satz wie jene der Unselbständigen entlohnt würde, wenn sie unselbständig wären. Da hohe Produktivität üblicherweise mit hohen Löhnen korreliert, wäre eher eine Abweichung davon erwähnenswert, nicht die Bestätigung.
2.4.13
Das Grenzprodukt der Arbeit hängt von ihrer Produktivität ab, welche wiederum von der vorhandenen Technologie und dem zur Verfügung stehenden Sach- und Humankapital determiniert. Je fortgeschrittener die Technologie und je mehr Sach- und Humankapital je Arbeitskraft zur Verfügung stehen, umso produktiver wird diese sein. Wird Arbeit annähernd ihrem Grenzprodukt entsprechend entlohnt, dann zeigen hohe Löhne eine hohe Produktivität an. Da das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit letztlich auf Produktivität hinausläuft, sind hohe Löhne nur bei entsprechend hoher Wettbewerbsfähigkeit erzielbar.
2.4.14
Industriepolitik umfasst öffentliche Interventionen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Industriezweigen. Man unterscheidet die (i) vertikale Industriepolitik, die zum Ziel hat, bestimmte Branchen zu fördern, (ii) horizontale Industriepolitik, welche – ohne zwischen Branchen zu diskriminieren – die allgemeinen Funktionen des Wirtschaftssystems zu verbessern sucht, (iii) Industriepolitik im engeren Sinn, die sich auf die Wettbewerbsfähigkeit des industriellen Sektors konzentriert, sowie (iv) Industriepolitik im weiteren Sinn, die zum Ziel hat, die Produktionsstruktur einer Ökonomie so zu beeinflussen, dass das Wachstumspotenzial der Gesamtwirtschaft erhöht wird, Letztere wird auch als Strukturpolitik bezeichnet.
2.4.15
a. Der Arbeitnehmer vergleicht sein Lebenseinkommen bei Verbleib in der Heimatregion mit jenem Lebenseinkommen, dass er bei Migration in Ökonomie erzielen würde, wobei er Letzteres sowie die totalen Migrationskosten von Ersterem abzieht:
entspricht den Migrationskosten. Ist die Differenz positiv, so bleibt der Arbeitnehmer in seiner Heimat-Region; ist die Differenz negativ, wird er migrieren.
Je höher der Lohn in der potenziellen Ziel-Ökonomie, umso größer die Migrationswahrscheinlichkeit. Daraus folgt, dass höher qualifizierte Arbeitnehmer eher migrieren werden, da die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass die Qualifikation in ihrer spezifischen Ausprägung außerhalb der Heimat-Ökonomie nachgefragt wird. Ferner lohnt sich Migration eher für junge Arbeitnehmer, da diese buchstäblich mehr Zeit haben, die Kosten der Migration durch höhere Einkommen wettzumachen.
2.4.16
a. Der gegenwärtige Wert des Lebenseinkommens, wenn der Arbeiter in Bregenz bleibt, beträgt ; geht er nach Leoben, beträgt der gegenwärtige Wert des Lebenseinkommens . Die Differenz ergeben die Migrationskosten, bei denen der Arbeiter gerade indifferent ist, also € 20.277. Man beachte, dass dieser Betrag auch die seelischen Kosten inkludiert, die Frage, die sich der Arbeiter stellen muss, lautet also: „Ist es mir 20.277 Euro abzüglich aller pekuniären Umzugs- und Reisekosten wert, die letzten zehn Jahre meines Arbeitslebens in Leoben zu verbringen?“
b. Für die letzten fünf Jahre werden mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 50% ein Einkommen von € 25.000 bzw. € 35.000 in Leoben angenommen, formal .
c. Das erwartete Lebenseinkommens aus b. beträgt bei Umzug nun € 181.921, die maximalen Migrationskosten sind somit € 33.223.
2.4.17
a. Es ist davon auszugehen, dass Immigration neben auch erhöht, unter bestimmten Umständen außerdem , jedoch unberührt lässt. Der Effekt der Zuwanderung kann durch die entsprechenden Ableitungen approximiert werden:
Da alle Variablen definitionsgemäß >0 sind und laut Angabe , sind alle Ableitungen ebenfalls >0.
c.
Die Ableitung nach ist eindeutig negativ, jene nach und sind eindeutig positiv. Es kommt also darauf an, ob die Immigranten genügend Humankapital und neues Wissen mitbringen, sodass der zweite und dritte Effekt für den ersten Effekt kompensieren.
2.4.18
a. Profite entsprechen in der neoklassischen Theorie dem Grenzprodukt des Faktors Sachkapital, wodurch Ökonomien, in denen das entsprechende Grenzprodukt relativ hoch ist, Investitionen anlocken, während das entsprechende Grenzprodukt relativ niedrig ist, einen Abfluss an Investitionen erleben.
b.
Die erste Ableitung ist eindeutig positiv, was bedeutet, dass zusätzliches Sachkapital zwar stets den Output erhöhen wird. Allerdings ist die zweite Ableitung eindeutig negativ, was bedeutet, dass zusätzliches Sachkapital stets das Grenzprodukt verringern wird. Unter sonst gleiche Umständen wird Kapital daher in jene Ökonomie fließen, die derzeit einen geringeren Sachkapitalbestand aufweist.
c.
Die Ableitung des Grenzprodukts des Faktors Sachkapital nach dem Faktor Humankapital ist eindeutig positiv, wodurch Ökonomien mit hohem Sachkapitalbestand auch dann ein höheres Grenzprodukt des Faktors Sachkapital als eine Ökonomie mit niedrigem Sachkapitalbestand aufweisen können, wenn der Humankapitalbestand der ersten Ökonomie groß genug ist. Bei gleich großem Sachkapitalbestand wird daher jene Ökonomie einen Zufluss an Nettoinvestitionen erleben, deren Humankapitalbestand größer ist.
2.4.19
Ökonomien, die bereits über einen hohen Sachkapitalbestand verfügen, bleiben für Neuinvestitionen trotz des sinkenden Grenzprodukts des Faktors Sachkapital attraktiv, wenn sie über ausreichend Humankapital verfügen. Zusätzlich sorgt der hohe Sachkapitalbestand für eine hohe Produktivität du damit für hohe Löhne. Somit ist die Ökonomie für alle Arbeitnehmer attraktiv. Dem Faktor Humankapital kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, weil
- potenzielle individuelle Einkommensgewinne aus der Migration umso höher sind, je höher das Qualifikationsniveau ist,
- der Faktor Humankapital nicht nur nach seinem Grenzprodukt, sondern gleichzeitig nach dem Grenzprodukt des Faktors Arbeit kompensiert wird,
- weshalb für den Faktor Humankapital eher wohlhabende Ökonomien attraktiv sind.
Die Folge ist eine Wanderung von Humankapitalträgern von weniger in Richtung produktiverer und damit wohlhabenderer Ökonomien. Indem Humankapital wiederum das Grenzprodukt des Faktors Sachkapital erhöht, bleiben die wohlhabenderen Ökonomien für Neuinvestitionen attraktiv. Dadurch bleiben die wohlhabenderen Regionen produktiver und damit wohlhabender, was wiederum Humankapitalträger anlockt, usw. Die Folge ist ein Kreislauf, in der die weniger produktiven und wohlhabenden Ökonomien permanent Humankapital an die die produktiveren und wohlhabenderen Ökonomien verlieren.
- ↑ Hinsichtlich der Zusammenhänge mit der Geldpolitik vgl. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre 4 (Lektion 1).
- ↑ Die reale Geldnachfrage ist keine Nachfrage nach einer bestimmten Anzahl von Währungseinheiten, sondern eine Nachfrage nach einer bestimmten realen Kaufkraftmenge in liquider Form. Wenn der Durchschnittsbürger bspw. bei einem Preisniveau von 100 pro Warenkorb 1000 GE in bar halten möchte, dann wäre seine reale Kassenhaltung gleich 10 Warenkörbe; vgl. hierzu auch das Skriptum Grundlagen der Volkswirtschaftslehre 3 (Lektion 2.1)
- ↑ „Üblicherweise“ meint hier abseits von Krisenzeiten. Man kann einwenden, dass dies in den westlichen Industriestaaten in den 2010er-Jahren eher die Norm darstellt. Das ändert jedoch nichts am Grundprinzip, da auch eine negative reale Rendite gewinnmaximierend sein kann.
- ↑ Benannt nach dem Ökonomen Irving Fisher, nachzulesen in: Fisher, I. (1930): The Theory of Interest: As Determined by Impatience to Spend Income and Opportunity to Invest it. Macmillan, New York
- ↑ Besonders spektakulär war 1992 die Ansicht George Soros’, das britische Pfund, das damals Teil des Euro-Vorläufers ECU war, sei überbewertet. Er hat Pfund in derart großen Mengen gekauft und geliehen und gegen andere europäische Währungen eingetauscht, bis Großbritannien seine Währung aus dem Wechselkursmechanismus zurückziehen musste und das Pfund abwertete. Soros’ Gewinn aus dieser Spekulation wird auf eine Milliarde US-$ geschätzt, die Kosten für die britische Allgemeinheit auf ein Vielfaches davon.
- ↑ Die Konvergenzkriterien entsprechen Artikel 140 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Quelle der hier zitierten Zusammenfassung: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=URISERV%3Aec0013
- ↑ Korrekt wären hier Prozentpunkte.
- ↑ Produktivität ist definiert als Output je Arbeitseinheit, üblicherweise berechnet als BIP je Erwerbstätigen oder BIP je Arbeitsstunde; für Details vgl. Lektion 2.2.6.
- ↑ Man beachte, dass weder die Lohnhöhe an sich noch das Produktivitätswachstum an sich ein Problem verursachen – entscheidend ist die Differenz im Unterschied zu anderen Ländern. Ähnlich wie bei komparativen Vorteilen müssen also gleichzeitig vier Variablen in zwei Ländern betrachtet werden, um zu einer Aussage hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit zu kommen.
- ↑ Zum BIP-Deflator vgl. Grundlagen der Volkswirtschaftslehre 1 (Lektion 1.3.4).
- ↑ Zur Lohntheorie vgl. Angewandte Makroökonomik (Lektion 2.2.2).
- ↑ Zur Entwicklung der Lohnquote in Österreich vgl. Tab. 2.3 in Angewandte Makroökonomik (Lektion 2.4.2).
- ↑ Zu den volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit vgl. Angewandte Makroökonomik (Lektion 2.1.1).
- ↑ Zum langfristigen Wachstumspfad vgl. Angewandte Makroökonomik (Lektion 1.2.2).
- ↑ Nachzulesen in: Krugman, P. (1994): Competitiveness: A Dangerous Obsession, in: Krugman, P. (1997): Pop Internationalism. The MIT Press, Cambridge [MA] und London
- ↑ Diese Darstellung folgt Eurostat (http://ec.europa.eu/eurostat/cache/metadata/de/tipslm10_esms.htm, abgerufen am 30. Juni 2016);
- ↑ Zur Lohnquote vgl. Angewandte Makroökonomik (Lektionen 2.3.2 und 2.4.2).
- ↑ Diese Darstellung findet sich in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Statistik Austria.
- ↑ Zur Popularität der Lohnstückkosten mag auch ihre deutsche Bezeichnung beitragen, da sie irreführenderweise mit der Frage „wie viel Lohn kostet ein Stück?“ assoziiert werden. Treffender ist die englische Bezeichnung unit labour cost, als sie eher mit der Frage „wie viel je Produkt kostet der Faktor Arbeit?“ korrespondieren.
- ↑ Diese Definition sowie Teile der folgenden Diskussion folgen Peneder, M. (2014): Warum die Neue Industriepolitik die Deindustrialisierung beschleunigen wird, FIW Policy Brief 23
- ↑ Für eine detaillierte Diskussion vgl. Angewandte Makroökonomik (Lektion 1.1.2).
- ↑ Das Roy-Modell ist benannt nach dem Ökonomen Andrew D. Roy, dessen Ideen später von George J. Borjas weiterentwickelt wurden, vgl. Roy, A.D. (1951): Some thoughts on the distribution of earnings, Oxford Economic Papers 3, 135-146; Borjas, G. J. (1987) Self-selection and the earnings of immigrants, The American Economic Review 77, 531-553
- ↑ Die Darstellung folgt Angewandte Makroökonomik (Lektion 1.2.3).
- ↑ Man beachte, dass mit Humankapital nur jene Ausbildung, Erfahrung und Fertigkeiten des Faktors Arbeit gemeint sind, die sich im Produktionsprozess auch verwerten lassen. Es ist daher denkbar, dass sich das in einer Arbeitseinheit verkörperte Humankapital durch den Akt der Migration verändert, wenn die Nachfrage nach der bestimmten Ausprägung des Humankapitals in den Ziel- und Herkunftsökonomien voneinander abweichen. Diese Unterscheidung ist bspw. dann von Bedeutung, wenn gut ausgebildete Arbeitnehmer in ihrer Herkunfts-Ökonomie keinen adäquaten Arbeitsplatz finden und emigrieren, oder wenn die Qualifikationen von Immigranten in der Ziel-Ökonomie nicht anerkannt werden, oder aufgrund von Sprachbarrieren etc. nicht angewendet werden können.