Kundenbeziehungsmanagement - Schnittstelle Produkte

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Schnittstelle Nr. 7 – Die Produkte

Kauf und Konsum brauchen Zeit. Die erste Zeit (Paech S. 158ff) ist diejenige, die wir für Vorbereitungen brauche. Dazu zählen Informationsbeschaffung, Suche, Vergleich, Auswahl, Bestellung, Kaufvorgang und noch einiges mehr. Diese Zeiten sind nur bedingt variabel, verringert können sie nur durch Effizienzsteigerung werden, also etwa in Form von speziellen Suchmaschinen, Bewertungsportalen und ähnlichem.

Die zweite Zeit ist die Konsumzeit. Sie ist variabel, denn ich habe meistens die Wahl, ob ich Gegenstände verwende oder nicht, das gilt theoretisch sogar für die Zahnbürste oder das Duschgel.

Die Konsumindustrie hat nun das Problem, dass Kauf- und Konsumzeit immer knapper werden, sie aber im Sinne des Wachstumsgedankens immer mehr verkaufen will bzw. muss.

Da die erste Zeit nur bedingt variabel ist, wirkt sie auf die zweite ein, regt also zum Nicht-Gebrauch an, da dieser Zeit spart.

Es reicht der Autoindustrie, wenn wir ein Auto kaufen, wir müssen es nur so viel benützen, dass die Autowerkstätten mit Service und Reparaturen genügend verdienen. Wie erfolgreich sie dabei ist, sehen wir an den nackten Zahlen: Im Schnitt stehen PKW 95% der Zeit still, werden also nicht so genützt, wie es eigentlich im Wesen des Fahrzeugs ist.

Die Menschen haben sich schnell gewöhnt, dass der reine Besitz ausreicht und so dreht sich sehr viel im Leben vieler Menschen um das Abstellen des Fahrzeugs, also um den Parkplatz.

Das mit dem Konsum von Werkstätten wird so gelöst, dass bestimmte Serviceintervalle vorgeschrieben werden, wodurch die Werkstätten die Möglichkeit haben Geld zu verdienen. Punkto Reparaturen geht der Trend derzeit dahin, dass erstens sowieso nur mehr ausgetauscht und nicht mehr repariert wird, und auch das meistens in Form verlängerter Garantieleistungen. Die Industrie baut die Autos so, dass sie möglichst wenig Garantieleistungen erbringen muss, die Fahrzeuge also so lange einigermaßen störungsfrei halten, wie sie in Garantie sind. Danach sollen sie möglichst schnell kaputt gehen und entsorgt werden, dann nur dann kaufen genügend Menschen neue Autos.

Am Endpunkt ihrer Wünsche ist die Konsumindustrie durch das Fast Shopping gekommen. Kleidung wird nur mehr gekauft, aber nicht mehr benützt. Wer ein Kleidungsstück nicht anzieht, kann seinen Wert überhaupt nicht mehr erkennen und festlegen. Es muss weder Gebrauchsqualität aufweisen, weil es ja nicht gebraucht wird, noch länger halten als den kurzen Vorgang des Kaufes. Danach wird es entsorgt, also meistens verbrannt, hin und wieder in die dritte Welt verschifft oder endet in einer Zwischennutzung als Putzfetzen. Nicht alle FastshopperInnen werfen das Gewand sofort weg, manche verkaufen es oder tauschen es ein.

Damit hat die Industrie kein Problem, da der Verkauf auch meistens zu keiner Benützung führt, denn die KäuferInnen sind im Sinne des Fastshoppings auch nicht auf einen Gebrauchsgegenstand aus, sondern wollen das Kauferlebnis. Ähnlich sieht es bei Tauschbörsen aus.

Der Weg der Dinge bleibt gleich, geht nur durch eine weitere Schleife.

Der Endpunkt der Entwicklung ist dann erreicht, wenn wir möglichst wenige Gegenstände kaufen, um sie zu benützen, sondern nur, um sie zu kaufen und zu besitzen. Der Wohnraum der meisten Menschen in unserer Gesellschaft ist zwar in den letzten Jahrzehnten gestiegen, er wird aber nur bedingt für die Lagerung verwendet. Die Gegenstände sollen ja auch nicht oder zumindest nicht lange gelagert, sondern entsorgt werden. Am besten eignet sich dafür die Müllverbrennung, da sie garantiert, dass die Gegenstände nicht irgendwann wieder ausgegraben und wiederverwendet werden können.

Die Entsorgung soll möglichst einfach und schnell gehen, so dass die Menschen sich keine Gedanken darüber machen, was mit den Dingen geschieht. Aus den Augen, aus dem Sinn – das ist die Wunschvariante.

Die einzigen Grenzen, die es für diese Entwicklung gibt, sind die der Beschränkung natürlicher Ressourcen sowie die Umweltverschmutzung. Solange diese unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben, ist für das System alles in Ordnung.

Firmen managen die Beziehungen auch über ihre Produkte. Das klingt auf den ersten Blick etwas seltsam, hat aber eine hohe Relevanz. Diese Schnittstelle ist genau genommen sehr nahe der vom Verkauf, und doch ist sie anders. Beim Verkauf steht der Verkäufer im Vordergrund, hier das reine Produkt, das sozusagen „für sich selbst“ spricht.

Bei genauerer Betrachtung stimmt das nicht ganz, es spricht auch mit dem Käufer bzw. kommuniziert mit ihm und schickt Botschaften. Sehen wir uns dafür ein Beispiel an:

Beispiel 1: Der neue Land Rover Defender

Da das Auto immer noch ein Spiegel unserer Kultur und auch der Konsumgegenstand ist, für den viele Menschen wohl am meisten Geld ausgeben, muss es für unser Beispiel herhalten.

Land Rover steht seit Beginn in den 1950er-Jahren für den Geländewagen schlechthin. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Form nur wenig verändert, da sie in ihrer ursprünglichen Entwicklung einem cleveren und praxisorientierten Konzept gefolgt ist:

1.) Einfacher technischer Aufbau, damit er überall leicht repariert werden kann. (zumindest dort, wo englische Maße das Maß der Dinge sind)

2.) Eine Aluminium-Karosserie, damit er nicht rostet. (Der Rahmen ist allerdings aus Stahl und rostet doch recht gerne, auch die Schnittstellen zwischen der Alu-Karosse und den Stahlteilen über sogenannte Kontaktkorrosion.)

3.) Ein spartanischer Innenraum, der leicht gereinigt werden kann und in dem nichts kaputt werden kann, weil es nicht vorhanden ist (Klimaanlage, elektrische Fensterheber etc.).

4.) Hohe Geländegängigkeit durch Allrad, Untersetzungsgetriebe, Leiterrahmen mit Starrachsen und generell ein robustes Fahrwerk.

So eroberte der Land Rover in den Modellvarianten 88 und 109 die ganze Welt, vor allem aber die Teile unserer Erde, wo es schlechte oder gar keine Straßen gibt. In den 1980er Jahren gab es die erste große technische Veränderung mit der Weiterentwicklung zum „Defender“ mit einem Dieselmotor und einigen anderen Änderungen, die aber nicht in die Grundkonstruktion eingriffen, dafür ein wenig mehr Komfort boten. Die einzige ernst zu nehmende Konkurrenz war Toyota mit dem LandCruiser.

Beide Fahrzeuge vermittelten folgende Botschaft, allein durch ihre Konstruktion:

Ich bin hart im Nehmen und halte lange. Wenn Du mit mir unterwegs bist, dann trage ich dich über Stock und Stein sicher an dein Ziel. Ich bin nicht bequem und nicht schön, aber ich halte was aus. Ich bin einfach zu reparieren, und das erhöht die Sicherheit, dass Du an deinem Ziel ankommst, noch einmal.“

Das funktionierte über mehrere Jahrzehnte, letztlich bis 2019. Dann entschied Land Rover die Produktion einzustellen, nachdem dies schon viele Jahre lang angekündigt wurde. Jetzt war es soweit. Als Hauptgründe wurde genannt, dass die modernen Sicherheitsbestimmungen gar nicht mehr eingehalten werden können (Fußgängerschutz, Airbag, ABS etc.) und dass man keinen Motor mehr einbauen könnte oder wollte, der den modernen Abgasbestimmungen entspricht.

Dazu präsentierte man 2020 einen Nachfolger. Auf dem Bild sieht man hinten den Defender von 2020 und davor die Ur-Variante.

MK422 19.png

Beworben wird er mit den gleichen Attributen wie der alte, die Realität ist jedoch eine gänzlich andere, denn die Konzeption baut auf dem Land Rover Discovery auf, einem modernen Fahrzeug, das ganz und gar nicht für das Gelände und auch nicht für das gedacht ist, was der alte Defender konnte. Der moderne Defender ist bequem, gut für die Autobahn geeignet, hat einen sehr starken Motor, der mit Elektronik vollgestopft ist und ohne Diagnosegerät in der Fachwerkstatt würde kein Mechaniker das Ding jemals angreifen.

Im Innenraum finden wir ebenfalls alle elektronischen Spielchen, die ein modernes Auto hat, dazu feinste Materialien, die wohl niemand mehr schmutzig machen wird.

Der neue Defender ist auch vom Fahrwerk so aufgebaut, dass man damit nicht mehr viele tausend Kilometer harte Wellblechpisten fahren kann – ich könnte jetzt noch viel aufzählen, bis in Details wie die Scheinwerfer: Sie waren in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts bei fast allen echten Geländewägen immer gleich: rund und in einer Standardgröße. Somit konnten sie, falls sie kaputt gingen, schnell und nahezu überall getauscht werden, man brauchte quasi nur einen Scheinwerfer für alle Autos – etwas übertrieben gesprochen, aber das war die Grundidee.

Wir haben nun einen Widerspruch zwischen dem Image, das die Firma vermitteln will und dem tatsächlichen Produkt. In den sozialen Medien gab es dafür auch heftige Kritik und das Fazit lautet nahezu immer: Wer einen echten Defender braucht, muss sich einen alten kaufen.

Übrigens betrifft das inzwischen nicht nur Land Rover, auch der Konkurrent von Toyota ist inzwischen ein Fahrzeug, das für seinen ursprünglichen Einsatz nicht mehr geeignet ist. Toyota fährt nur eine andere Strategie und baut die alte, robuste Serie parallel weiter, wenngleich auch hier die Qualität punkto Haltbarkeit bereits massiv runtergefahren wurde (das alte Getriebe z.B. war für 500.000 Kilometer ausgelegt, das neue ist für 200.000).

Was heißt das nun für unser KBM?

Es geht darum, die Botschaften, die durch ein Produkt nach außen dringen, zu steuern und zu kontrollieren. Über diese Schnittstelle erreicht man die Kunden besser oder schlechter. Besonders wichtig ist es, die Veränderungen im Blickfeld zu haben. Land Rover etwa reagiert offensichtlich auf den Trend, dass die Funktion dem Design unterzuordnen ist. Sie werden aber auch reagieren müssen, wenn sich dieser Trend wieder umkehrt oder ein ganz neuer auftaucht. Dann ist die Marktforschung gefragt.

Ein CRM bzw. KBM-System braucht somit eine gute Schnittstelle zur Marktforschung (wie pflege ich deren Erkenntnisse ein, wer hat wie darauf zu reagieren etc.) sowie zur Produktentwicklung.

Aufgabe Lektion 9

Suchen Sie sich bitte drei Gegenstände aus Ihrem Besitz:

1.) Einen, bei dem die Funktion dem Design untergeordnet ist, und Sie gerne hätten, dass dies anders wäre. Und jetzt die Frage: Wieso haben Sie das gekauft?

2.) Einen, durch den Sie eine Botschaft an Ihre Umwelt versenden, die Ihnen wichtig ist. Die Frage: Wie lautet diese Botschaft? Wofür wurde dieser Gegenstand ursprünglich gebaut? Was ist sein “Wesenskern“?

3.) Eine schwierige Frage, Spekulation ist erlaubt: Was könnte in der Produktentwicklung einen Gegentrend auslösen, also hin zu höherer Qualität im Sinne der Haltbarkeit und mehr Funktionalität?