MN436 - Gruppen- und Organisationsdynamik - Einflussfaktoren in Gruppen

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Einflussfaktoren in Gruppen

Nach Durcharbeit dieses Kapitels sollen Sie in der Lage sein:

  • die verschiedenen Einflussfaktoren, die in Gruppen und auf Gruppen wirken, voneinander zu unterscheiden.
  • ihre eigene Position zu definieren: welche dieser Faktoren kenne ich gut, welche sind mir eher neu.

Wie verhalte ich mich selbst in Gruppen und wie kann ich sie steuern? Diese Fragen stellen sich nicht nur Führungskräfte.

Folgende Faktoren beeinflussen Gruppen sowie die dort tätigen Individuen:

Gruppendruck

Die stärkste Kraft in einer Gruppe. An ihr kann man erkennen, dass Gruppen mehr sind als die Summe der Individuen. Gruppen sind eine alte, die älteste Form der Organisation, die wir aus der Geschichte der Menschen kennen. Entsprechend tief ist sie in uns verborgen, entsprechend archaisch und entsprechend stark beeinflusst sie unser Handeln und Denken – im Extremfall sind Menschen bereit, alles zu tun, was die Gruppe von ihnen verlangt, bis zur Aufopferung ihres Lebens.

Ein kleines Beispiel aus den Konformitätsstudien von Solomon Asch (1951) soll dieses Phänomen verdeutlichen:

Einer Gruppe von männlichen College-Studenten wurde in mehreren Durchgängen 2 Karten (A und B, siehe Abbildung unten) gezeigt. Die Teilnehmer der Gruppe gaben einzeln ihr Urteil darüber ab, welche der Striche auf Karte B identisch zu jenem von Karte A war.

Mn436 11.png

Alle Teilnehmer einer Gruppe, mit Ausnahme einer unwissenden Versuchsperson waren schauspielernde Mitarbeiter des Versuchsleiters. In den Durchgängen gaben alle Mitarbeiter des Versuchsleiters übereinstimmend ein falsches Urteil ab. Die unwissende Versuchsperson war jeweils als letztes an der Reihe.

Ergebnis: Auffallend oft schloss sich die Versuchsperson den falschen Urteilen der anderen an, sie reagierte sozusagen gruppenkonform.

Man muss hier jedoch ergänzen, dass es Menschen gibt (wie sich auch in den Studien von Asch zeigte), die diesem Druck gegenüber resistent sind. Dies betrifft jedoch nur wenige Prozent und hängt in erster Linie von der Gruppengröße ab. Durchschnittlich widerstehen zwischen 5 und 25 Prozent.

Gegenkräfte

Es gibt jedoch einen Ausweg, sozusagen eine „Gegenströmung“, die in uns existiert: Individuen sind von Gruppen umso weniger beeinflussbar, „erpressbar“ könnte man auch sagen, je mehr Zugehörigkeiten sie außerhalb der Gruppe haben – das können Familienverbände oder andere Gruppen, in speziellen Fällen auch Organisationen sein. Menschen, die nur einer einzigen Gruppe angehören, sind komplett in deren Abhängigkeit – an Sekten kann man gut sehen, wie sich dieses Phänomen auswirkt. Eine Möglichkeit sich dem Gruppendruck zu widersetzen wäre also der Ausstieg – sofern er möglich ist.

Eine weitere Möglichkeit gegen den Gruppendruck besteht darin, innerhalb der Gruppe Allianzen zu suchen: wenn man innerhalb einer größeren Gruppe eine Kleingruppe bildet, so kann diese dem Druck der Gesamtgruppe leichter widerstehen als eine Einzelperson.

Dritte Möglichkeit: innerhalb der Gruppe den Druck reflektieren, ihn besprechbar machen, bewusst machen, dass man entsprechenden Druck empfindet und die Entscheidung dafür oder dagegen der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Gruppe übergeben.

Individualisierung

Gerade in einer Zeit, in der das Individuum steigenden gesellschaftlichen Wert erfährt, nimmt es auch starken Einfluss in Gruppen. Die Unterordnung unter einen Gruppenwillen, unter die Gruppennormen fällt schwer und wird mit „individuellen Rechten“ erklärt und verteidigt. Wenn wir hier einen Blick in die Geschichte werfen, dann finden wir Individualisierung als modernes Phänomen. Noch vor wenigen Jahrtausenden war Individualität überhaupt nicht im heutigen Sinne bekannt, die Einzelperson war von ihrer Identität Mitglied einer Familie, einer Gruppe oder eines Clans. Das heutige Schimpfwort „Idiot*in“ heißt „Vereinzelte*r“ und stammt aus einer Zeit, in der das Individuum gegenüber der Gemeinschaft stark im Nachteil war – mit anderen Worten: Wer allein ist, trifft schlechte Entscheidungen, er*sie wird zum*zur Idiot*in.

Diese „schlechten Entscheidungen“ möchte ich mit zwei Beispielen darlegen:

1.) Die Trafik

An einer belebten Ecke in Gersthof (ein Grätzl des 18. Wiener Gemeindebezirks) liegt eine gut gehende Trafik. Vor einiger Zeit wurde dort eingebrochen. Das allein ist noch nichts Besonderes, aber die Umstände zeigen den Bezug zu unserem Thema. Die Trafik liegt in einem großen Gründerzeithaus, das dicke Wände hat. Die Einbrecher*innen kamen durch die Hauseingangstüre und gelangten in einen leeren Raum hinter der Trafik. Von dort stemmten sie sich mittels eines Presslufthammers durch eine Wand (mehr als einen halben Meter dick) und konnten so von hinten in die Trafik gelangen. Der Schaden war beträchtlich, als Profis nahmen sie z.B. neben den Autobahnvignetten auch die Entwertungsmaschine mit.

Der Einbruch passierte mitten in der Nacht und der Presslufthammer lief über zwei Stunden. Es muss ein unglaublicher Lärm gewesen sein, der alle Menschen locker aus dem Tiefschlaf gerissen haben muss.

Und trotzdem konnten die Einbrecher*innen seelenruhig ihr schändliches Werk vollenden. Wieso war das möglich?

Überlegen Sie selbst, was Sie tun würden, wenn Sie in so einem Haus wohnen. Man möchte annehmen, dass die Menschen sofort (vielleicht noch im Nachtgewand) auf den Gang stürmen, sich dort treffen und gemeinsam nachschauen gehen, was da passiert. Schließlich ist das ja nicht normal, so Pressluftgehämmere mitten in der Nacht.

Das geschah jedoch nicht.

Was wäre denn noch möglich? Man könnte z.B. zum Telefon greifen und die Polizei anrufen, oder vorher die Nachbar*innen, wenn man etwa Angst hätte, in der Nacht vor die Tür zu gehen.

Diesen Versuch mag es auch gegeben haben, nur standen die Menschen im Haus vor dem Problem, dass sie alle kein Festnetz mehr hatten und das Handynetz nicht funktionierte, weil die Einbrecher*innen einen Störsender aufgestellt hatten.

Also geschah nichts.

Etwas brutal ausgedrückt könnte man sagen, dass in diesem Haus nur Idioten leben. s gibt dort mit hoher Wahrscheinlichkeit keine gepflegte Nachbarschaft, sondern eine fast willkürliche Ansammlung von Menschen, die miteinander nicht einmal so viel zu tun haben, als dass sie sich zumindest in Extremsituationen zusammenschließen würden.

2.) Die Bohrmaschine

Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in einem Haus – vielleicht sogar in dem der oben erwähnten Trafik. Sie brauchen eine Bohrmaschine – was nicht jeden Tag geschieht, aber doch immer wieder mal vorkommt.

Nun haben Sie zwei Möglichkeiten: Erstens Sie besitzen eine, zweitens Sie borgen sich eine aus. Das kann man im nächsten Baumarkt tun oder bei den Nachbar*innen. Das setzt jedoch voraus, dass zumindest einer im Haus eine Bohrmaschine hat und diese auch herborgt.

Wir sind wieder beim Thema Individuum-Gemeinschaft angelangt, denn in einer funktionierenden Gemeinschaft sind solche Prozesse nicht nur möglich, sondern organisiert. Es ist bekannt, wer was besitzt und ob er*sie es herborgt. Es setzt aber auch voraus, dass Besitz und Eigentum in der Gemeinschaft bewusste Gestaltungselemente sind, also nicht trennender, sondern vergemeinschaftender Faktor.

Der natürliche Gegner dieses Modells ist die Konsumindustrie. Sie hasst Gemeinschaften und liebt Idiot*innen, weil diese durch ihre Vereinzelung jeden Gegenstand selbst besitzen müssen und sie somit mehr verkaufen kann. Je isolierter von der Gemeinschaft, desto funktionierender und wertvoller ist der*die Konsumidiot*in. Vor den Zeiten des Internets war das nicht so, denn da brauchte die Konsumindustrie auch – in gewissem Ausmaß – die Gemeinschaften, um Werbung machen zu können.

Zugleich lebt eine gute Hausgemeinschaft – um noch bei unserem Beispiel zu bleiben – auch davon, dass es Individuen gibt, die unterschiedliche Interessen haben. Deswegen besitzt der*die eine die Bohrmaschine und der*die andere den Griller. Auch die Intelligenz von Gemeinschaften lebt von der Individualität, etwa der unterschiedlichen Bildung, der unterschiedlichen Interessen und natürlich der unterschiedlichen Erfahrungen ihrer Mitglieder.

Das Verhältnis Individuum-Gruppe muss in einer reifen Gruppe immer wieder zur Sprache kommen, reflektiert werden. Nur so kann verhindert werden, dass Individuen zu sehr von einem – oft nicht ganz klar in seinem Ursprung erkennbaren – Willen gesteuert, manipuliert werden, aber auch, dass Individuen in ihrem Drang nach Individualisierung die Gruppe gefährden.

Wie wichtig dies ist, lässt sich allein schon an der Tatsache erkennen, dass das Verhältnis „Eines“ zu „Vieles“ einen der Grundwidersprüche des menschlichen Soziallebens darstellt (neben männlich-weiblich, alt-jung und lebendig-tot).

Eine Ursache liegt in der Macht unseres Ordnungssystems, der Hierarchie. Sie hat es nur sehr ungern mit Gruppen zu tun und agiert lieber mit Individuen, die sie dann auch entsprechend fördert. Ein Mittel dazu ist das Konkurrenzprinzip, aber auch Systeme der Bestrafung, des Monitorings und selbstverständlich auch Belohnungen, Graduierungen etc.

Normen, Regeln, „Währungen“

Sie bestimmen einen Großteil der Handlungen, die in einer Gruppe passieren. Sie sind der Zusammenhalt, aber auch die Quelle mannigfaltiger Gefahren für Gruppen. Sie werden großteils unbewusst gesetzt und auch während ihrer Geltung oft nicht reflektiert, bestimmen aber trotzdem die Gruppe in hohem Maße.

Wer von einer „Währung“, die in einer Gruppe gilt, genügend einstecken hat, der bekommt Einfluss in der Gruppe.

Dazu ein Beispiel: Vor einigen Jahren gab es eine Fernsehwerbung, bei der ein Langstreckenflug gezeigt wurde. Plötzlich ein Gong und der Kapitän meldet sich mit einer Ansage: „Meine Damen und Herren, aufgrund einer technischen Störung sind wir leider gezwungen, auf den Muagadugu-Inseln zwischenzulanden. Es besteht kein Grund zur Besorgnis, wir werden den Flug voraussichtlich bald fortsetzen können. Eine kleine Information habe ich noch für Sie: Auf den Inseln gelten als Währungen Muagadugu-Muscheln.“

Die Kamera schwenkt auf einen Mann, der sich stirnrunzelnd auf die Sakkotaschen greift, dann jedoch freudenstrahlend eine Kreditkarte herauszieht.

Fazit: Wer keine Landeswährung eingesteckt hat, braucht eine andere, die dort ebenfalls gilt.

In sozialen Systemen gibt es ebenfalls „Währungen“, die in erster Linie Normen und Regeln darstellen. Es geht um das Verhalten der Individuen und der Gruppe.

Dazu noch ein kleines Gedicht von Eugen Roth:

NUR EIN VERGLEICH

Ein Mensch hat irgendwann und wo

vielleicht im Lande Nirgendwo,

vergnügt getrunken und geglaubt,

der Wein sei überall erlaubt.

Doch hat vor des Gesetzes Wucht

gerettet ihn nur rasche Flucht.

Nunmehr im Land Ixypsilon

erzählt dem Gastfreund er davon:

Ei, lächelt der, was du nicht sagst?

Hier darfst du trinken, was du magst!

Der Mensch ist bald, vom Weine trunken,

an einem Baume hingesunken.

Wie? brüllte man, welch üble Streiche?

So schändest du die heilige Eiche?

Er ward, ob des Verbrechens Schwere,

verdammt fürs Leben zur Galeere

Und kam, entflohn der harten Schule,

erschöpft ins allerletzte Thule.

Ha! Lacht man dorten, das sind Träume!

Hier kümmert sich kein Mensch um Bäume.

Der Mensch, von Freiheit so begnadet,

hat sich im nächsten Teich gebadet.

So, heißt´s, wird Gastfreundschaft mißnutzt?

Du hast den Götterteich beschmutzt!

Der Mensch, der so den Tod erlitten,

sah: andre Länder, andre Sitten.

(Eugen Roth: Von Mensch zu Mensch)

Eine Norm ist ein Verhaltenskodex, der es einer Gemeinschaft erlaubt, die Aktionen und Reaktionen der Mitglieder vorhersehbar zu machen. Wer „aus der Norm“ agiert, gefährdet die Gemeinschaft – wobei es egal ist, ob es sich hier um eine Familie, eine Gruppe oder eine Hierarchie (Unternehmen) handelt. Abweichendes Verhalten stellt zwar einerseits die Basis für mögliche und oftmals auch notwendige Veränderungen dar, wird aber vom System in erster Linie als Störung gesehen, da es

  • gültige Regeln in Frage stellt („Seht, es geht auch anders und ich lebe noch.“),
  • Energie kostet („Jetzt müssen wir auch das noch ausprobieren.“),
  • die Einheit gefährdet („Wenn jeder macht, was er*sie will, herrscht das Chaos.“).

Es ist somit notwendig, die Normen, Regeln und Währungen, die in einer Gruppe oder einer Gesellschaft existieren, zu erkennen, um sie in Folge

  • neu zu setzen (in der richtigen Zeit bzw. Gruppenphase),
  • zu kritisieren,
  • zu verändern,
  • durchzusetzen,
  • oder auch zu stabilisieren.

Auch hier ist das stärkste Instrument die (gemeinsame) Reflexion der Normen. Erst durch Bewusstmachung werden sie einer Veränderung zugänglich – es sei denn, jemand steuert sie mit gruppendynamischen Methoden, ohne dass der Rest der Gruppe es merkt. Gerade dann ist es sehr hilfreich, wenn man gelernt hat, wie „Gruppe“ funktioniert...

Zeit und Raum

Oft wird unterschätzt, welch wichtige Funktion für Gruppen der Raum hat: das Vereinslokal, der Heimvorteil im eigenen Stadion, der Platz in der Kantine – Gruppen schöpfen Identität u.a. aus dem Raum. Es ist also nicht egal, wo man Konflikte bearbeitet oder Teamentwicklung betreibt.

Selbstverständlich wird auch dieser Faktor Gruppen durch Reflexion zugänglich und bearbeitbar.

Die Herrschaft über die Zeit ist ebenfalls ein enormer Einflussfaktor in Gruppen: man kann sie für sich oder gegen sich arbeiten lassen: wenn Gruppen unter Zeitdruck gestellt werden, also schnell gemeinsame Entscheidungen treffen müssen, so werden sie für autoritäre Entscheidungen zugänglich. Dies kann man ausnützen, man kann sich aber auch dagegen wehren – sofern man es erkennt. Wer Entscheidungen hinauszögert, bis die Gruppe müde ist, kann dies zu seinem eigenen Vorteil ausnützen – oder auch abblitzen, wenn nämlich jemand anderer die Taktik durchschaut hat und darauf pocht, nicht in müdem Zustand eine so wichtige Entscheidung zu treffen...

Allianzen, Seilschaften, Kooperationen

Untergruppen – wie auch immer man sie nennen will, sie stellen einen entscheidenden Einflussfaktor in Gruppen dar. Wer es schafft, Kooperationen zu bilden und im Entscheidungsprozess auszunützen, kann Gruppen leicht steuern. Wenn ich eine Meinung vertrete und „meine Leute“ geschickt in der Gruppe platziert habe, so kann ich durch deren Zustimmung die Zustimmung der Gruppe vortäuschen – sofern es nicht jemand gibt, der dieses Spiel durchschaut.

Ein wichtiges Führungsinstrument kann darin bestehen, Allianzen, Cliquen etc. in der Gruppe sichtbar und besprechbar zu machen. Dann kann das Team vernünftig damit umgehen.

Gruppenentwicklung (Phasen)

Gruppen machen ähnlich wie Individuen bestimmte Phasen ihrer Existenz durch: sie werden geboren, erleben eine Kindheit und Jugend in Form von Abhängigkeit von Autoritäten (Chef*in, Organisation etc.) und erlangen oftmals ein gewisses Reifestadium. In diesem sind sie dann fähig, eigene Entscheidungen zu treffen und diese zu reflektieren. Sie können Konflikte sowie ihre eigene Entwicklung erkennen und besprechbar machen. Sie können ihre Normen und Regeln aktiv bearbeiten und Aufgaben mit hoher Effizienz erledigen.

Selbstverständlich gibt es auch eine Phase des Niedergangs sowie den Tod der Gruppe. All das will erkannt sein, sofern man vor hat die Gruppe zu steuern. Es ist nicht möglich, die Phasen untereinander zu tauschen, sehr wohl kann man jedoch einzelne dieser Phasen beschleunigen.

Sehen wir uns dazu den Archetyp des „Teamentwicklungsprozesses“ an.

B.W. Tuckman (zusammengefasst auf Wikipedia) beschreibt 1965 Teamentwicklung in einem Phasenmodell:

  • Formierungsphase („forming“) diese ist geprägt durch Höflichkeit, vorsichtiges Abtasten, Streben nach Sicherheit, „Man“-Orientierung und das Kennenlernen. In dieser Phase ist es wichtig, dass die Führungskraft das Team führt („ansagt“). In dieser Anfangsphase konstituiert sich die Gruppe und sieht erstmalig ihre Aufgabe. Die Teamstruktur ist in dieser Phase durch hohe Unsicherheit gekennzeichnet. Alles ist neu, die Gruppenzukunft noch weitgehend unbestimmt. Die Mitglieder probieren aus, welches Verhalten in der Situation akzeptabel ist und konzentrieren sich darauf, in erster Linie eine gute Figur zu machen. Die Abhängigkeit der Gruppe von einem*einer formellen Führer*in, der*die strukturiert, initiiert und entscheidet, ist hoch. In einem gruppendynamischen Setting ist das der*die Trainer*in, in einem Unternehmen meist der*die Gruppenleiter*in. Für die Gruppe ist es wichtig, dass Teilaufgaben, Regeln, und geeignete Arbeitsmethoden klar definiert werden.

Wenn diese Phase erfolgreich ist, hat dies unter anderem folgende Auswirkungen:

  • Die Teammitglieder kennen sich gut, es existiert eine Vertrautheit und persönliche Nähe im Team

  • Für die Ziele und Aufgaben des Teams gibt es eine breite Zustimmung, sie sind im Team breit diskutiert worden und für jeden transparent

  • Jedem ist klar, wer zum Team gehört

  • Persönliche Ziele der Teammitglieder sind bekannt

  • Konfliktphase („storming“) ist durch unterschwellige Konflikte, Selbstdarstellung der (neuen) Teammitglieder, den Kampf um (informelle) Führung, „Ich“-Orientierung und Cliquenbildung geprägt. Die Führungskraft muss Ziele aufzeigen. Hat sich die Gruppe erst einmal etabliert, folgt eine Phase von Turbulenz und kritischem Aufbegehren. Konflikte zwischen Untergruppen brechen auf, Meinungen polarisieren sich, Konkurrenz zwischen den Mitgliedern wird deutlich, Macht- und Status-Ambitionen treten offen zutage. In der Gruppe wird um die Positionen gerungen. In dieser Phase lehnt das Team formelle Kontrolle ab und opponiert deutlich gegen die Leitung. Die Aufgabenanforderungen werden emotional abgelehnt.

Wenn diese Phase erfolgreich ist, hat dies unter anderem folgende Auswirkungen:

  • Persönliche Konflikte sind thematisiert

  • Es gibt eine „Feedback-Kultur“ im Team, die auch

  • persönliche, kritische Rückmeldungen „erlaubt“

  • Es gibt eine transparente Rollenverteilung im Team

  • Kompetenzen und Positionen sind verteilt und transparent

  • Im Team gibt es positive Erfahrungen und etablierte Vorgehensweisen, um Konflikte zu regeln

  • Regelphase („norming“) ist geprägt durch Entwickeln von neuen Gruppenstandards und neuen Umgangsformen, Feedback und Austausch zwischen den Teammitgliedern, sowie eine „Wir“-Orientierung. Die Führungskraft koordiniert die einzelnen Aufgaben und Personen. In dieser Phase einigt sich das Team auf seine Spielregeln und etabliert Teamnormen und eine eigene Organisation. Das Wir-Gefühl und der Zusammenhalt im Team bilden sich aus. Widerstand gegen die Führungsautorität und interpersonelle Konflikte werden abgebaut bzw. bereinigt. Das Aufgabenverhalten ist durch offenen Austausch von Meinungen und Gefühlen gekennzeichnet. Erste Kooperationen entstehen.

Wenn diese Phase erfolgreich ist, hat dies unter anderem folgende Auswirkungen:

  • Es gibt formulierte Regeln für die Zusammenarbeit im Team

  • Abläufe und Vorgehensweisen sind abgestimmt und etabliert

  • Jeder kennt seine Aufgaben und Rolle im Team

  • Arbeitsphase („performing“) ist geprägt durch Arbeitsorientierung, Flexibilität, Offenheit der Teammitglieder, Solidarität, Leistungsausrichtung und zielgerichtetes Handeln des Teams. Die Führungskraft benötigt wenig Energie, da das Team sich größtenteils selbst steuert und gibt lediglich Globalziele (Visionen) vor. Die Teamstruktur ist jetzt für die Aufgabenerfüllung vollends entwickelt. Interpersonelle Probleme sind gelöst oder weitgehend entschärft. Das Rollenverhalten im Team ist flexibel und funktional. Die Aufgabenbearbeitung erfolgt konstruktiv, Problemlösungen und die Orientierung auf die Ziele stehen im Vordergrund. Die Energie des Teams wird ganz der Aufgabe gewidmet (Haupt-Arbeitsphase).

Wenn diese Phase erfolgreich ist, hat dies unter anderem folgende Auswirkungen:

  • Die Führung beschränkt sich fast ausschließlich auf Moderation und die Bereitstellung guter Rahmenbedingungen für die Teamarbeit

  • Regelmäßige Zwischenbilanzen zur Teamarbeit finden statt

  • Die hohe Leistung wird auch von außen anerkannt

1970 fügt Tuckman den vier vorstehenden Phasen noch eine fünfte Phase hinzu.

Auflösungsphase („adjourning“)

Tuckmans Phasen-Modell ist natürlich eine grob vereinfachende Beschreibung. Die Darstellung suggeriert einen Automatismus, der keinesfalls mühelos ist, sondern das Ergebnis intensiver Arbeit durch die Teammitglieder. Die prägenden Einflüsse sind Führungsperson, Mitarbeiter*innen, Aufgabe und Umwelt. Manche Gruppe erreicht nie das Stadium der Arbeitsphase, bei anderen scheint es keine Konfliktphase zu geben.

Was können Sie mit diesem Modell tun?

Sie treffen auf dieses Thema entweder als Führungskraft oder als Mitglied einer Gruppe. In jedem Fall ist es hilfreich die Phasen zu kennen, um entsprechend intervenieren zu können. Als Chef*in kann dies ein wichtiges Erfolgskriterium sein, vor allem, wenn es sich um eine wichtige Gruppe handelt oder die Organisation gerade in einem Veränderungsprozess steckt und daher darauf angewiesen ist, dass die Teams gut funktionieren. Als Mitglied einer Gruppe können Sie zum richtigen Zeitpunkt auf die Gruppenphase aufmerksam machen, in der sich die Gruppe gerade befindet. Das kann der Gruppe vor allem dann helfen, wenn sie sich gerade in einer Krise befindet, nicht mehr weiter weiß oder einen Weiterentwicklungsanstoß braucht. Wer so etwas kann, wird in einer Gruppe keine unwichtige Rolle spielen.

Gruppendynamik

Die Gruppe als System, als Gebilde, lässt sich von außen, aber auch von innen betrachten. Das wichtigste Instrument in Gruppen ist die Gruppendynamik: man macht die Gruppe auf das aufmerksam, was in ihr gerade passiert und ermöglicht so eine aktive Bearbeitung der eigenen Entwicklung. Zu diesem Zweck muss eine Person (es können auch mehrere sein, die sich etwa abwechseln) die Funktion übernehmen, den Reflexionsvorgang loszubrechen und manchmal auch gegen Widerstand durchzustehen.

Die wichtigsten Verhaltensweisen sind dabei Zuhören, Fragen stellen und Feedback geben.

Somit ist auch die Fähigkeit der inneren Reflexion ein nicht unwesentlicher Einflussfaktor in Gruppen – und zwar ein erlernbarer und somit beeinflussbarer.

Aufgaben

Fassen wir die Einflussfaktoren in Gruppen noch einmal zusammen:

  • Gruppendruck
  • Individuum und Gemeinschaft
  • Normen, Regeln, Währungen
  • Zeit und Raum
  • Allianzen, Seilschaften, Kooperationen
  • Phasen der Gruppenentwicklung
  • Gruppendynamik

Nehmen Sie sich drei dieser Punkte und erzählen Sie dazu je eine kurze Geschichte, eine Episode aus Ihrem Leben, in der Sie damit zu tun hatten – etwa als Problem, oder als Lösung für ein Problem oder sogar, weil diese Geschichte Ihrem Leben eine Wendung gegeben hat. Das kann eine Geschichte sein, wo Sie Gruppendruck erfolgreich eingesetzt oder sich erfolgreich dagegen gewehrt haben. Vielleicht ist es eine Geschichte über eine Seilschaft, durch die Sie ein Ziel erreichen konnten oder eine Phase der Gruppenentwicklung, an der Sie gescheitert sind.