MN436 - Gruppen- und Organisationsdynamik - Hierarchie

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Hierarchie und Gruppe

Nach Durcharbeit dieses Kapitels sollen Sie in der Lage sein:

  • den Unterschied von Hierarchie und Gruppe besser zu erkennen.
  • einige Vorteile der jeweiligen Organisationsform aufzählen können – aber auch deren Nachteile.

Anmerkung: Diesen Ausführungen liegt ein Artikel von Peter Heintel zugrunde, entnommen dem Buch: Organisationsentwicklung in der Praxis; Hrsg. von B. Sieders und F. Glasl.

Der Widerspruch der beiden Organisationsformen

Was uns heute als Kultur, Zivilisation und Fortschritt vorliegt, ist das Ergebnis von Organisation, von Hierarchie, von Funktionsspezialisierung und Arbeitsteilung. Der allenthalben ausgebrochene Zweifel an Fortschritt und Zivilisation, Technik und Spezialistentum hängt auch mit einer Hierarchie- und Organisationskrise zusammen. Wir sind heute vor Globalprobleme gestellt, denen gegenüber unsere spezialistisch organisierte Arbeitsteilung versagt. Hierarchien können sich angesichts dessen entweder einigen und vor komplexeren Aufgaben resignieren oder neue Organisationsformen ausprobieren. Interessanterweise greifen diese Versuche immer wieder auf Gruppen zurück. Eine weltgeschichtliche „Nostalgie“? Fast muss man den Eindruck haben, beobachtet man etwa den Ethnologie-Boom der letzten Jahre, wo Stammeskulturen – weitgehend unorganisiert, wenn man von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung absieht – zu neuer Anerkennung gekommen sind.

Dies überrascht nicht. Durch die ganze Geschichte lässt sich beobachten, dass gegen Hierarchien und Organisationen immer wieder das Gruppenprinzip aktiviert wurde. Die Geschichte der Revolutionen ist eine Geschichte von Gruppen; deshalb fiel es immer so schwer, aus Revolutionen wieder einen „Staat“ zu bauen: Entweder blieben die Revolutionäre vor allem emotional ihren Gruppen verbunden und kämpften dann gewissermaßen gegen sich selbst und ihre eigene neue Funktion als „Staatsdiener“, oder sie werden zu solchen und polarisieren ihre ehemaligen Anhänger.

Von Anbeginn und grundsätzlich befinden sich Hierarchie und Gruppe in einer ständigen Gegnerschaft, die manchmal latent und befriedet ist, manchmal offen ausbricht (griffige Beispiele dafür wären etwa Abteilungsegoismus gegen Gesamtunternehmen, Familie gegen Schule, Banden gegen öffentliche Ordnung, „Freunderlwirtschaft“ und Geheimbünde gegen offizielle Strukturen). Dass auch im Projektmanagement auf das Gruppenprinzip zurückgegriffen wird, ist historisch nicht zufällig. Zugleich wissen wir, dass es trotz aller romantisch-utopischen Wünsche und Vorstellungen unmöglich ist, unsere Organisationen und Hierarchien abzuschaffen.

Man kann sagen: Wo mehr als 15 Personen eine gemeinsame Aufgabe erledigen wollen oder müssen, braucht es Organisation. Da wir keine andere Organisationsform als die hierarchische kennen, läuft es stets auf ebendiese hinaus.

Wir sind also heute vor die Aufgabe gestellt, die Vorteile der Gruppe mit der Notwendigkeit der Hierarchie zu vereinen und zugleich mit den durch diese Vereinigung auftretenden Widersprüchen fertig zu werden. Ein wenig erinnert das an die Quadratur des Kreises, jedenfalls müssen – soll dieses Unterfangen nicht zu einer Überforderung führen – zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden; man kann Gruppe und Organisation nicht einfach additiv verbinden. Um Gruppen mit Erfolg in Organisationen zu verankern, muss man über ihre Vorteile, aber auch über ihre Grenzen Bescheid wissen, vor allem muss man auch wissen, unter welchen Bedingungen Gruppen „gedeihen“ und damit arbeitsfähig sind. Umgekehrt muss man sich mit Hierarchie und Organisation besser auskennen und begreifen, wieso sie immer wieder „natürlicher Feind“ von Gruppen sind.

Menschheits- und individualgeschichtliche Bedingungen

Mehrere Millionen Jahre haben Menschen beziehungsweise ihre Vorfahren in überschaubaren Kleingruppenformationen (Stämmen, Horden) ohne viel gegenseitige Berührung gelebt. Organisationen, Staaten, „Hochkulturen“ dagegen gibt es erst seit etwa 10.000 Jahren. Menschheitsgeschichtlich stehen einander also zwei sehr unterschiedliche Zeiträume an Verhaltensprägung gegenüber.

Der Zeitraum für die Entwicklung angemessener Verhaltensweisen für das Leben in Organisationen ist relativ kurz. Obwohl wir funktionale Notwendigkeiten einsehen können und auch über Organisationswissen verfügen, dürfte unser eigentliches, vor allem emotional bestimmtes Handeln und Verhalten noch weitgehend von den Prägungen der ersten, ausschließlich gruppenbezogenen Entwicklungsphase beeinflusst sein. Jedenfalls ist zu beobachten, dass wir in Kleingruppenformationen über eine stärker ausgeprägte Orientierungs- und Entscheidungssicherheit verfügen. Für Abstraktes sind wir evolutionär nicht ausgerüstet; um uns zu orientieren, brauchen wir die sinnliche Wahrnehmung.

In Gruppen ist die Kommunikation von allen überschaubar, man agiert „Face to face“. Die Möglichkeit dazu ist an eine begrenzte Zahl von Teilnehmer*innen gebunden; wo mehr als 15 Teilnehmer*innen in einem Verband zusammen sind, kann man nicht mehr von Gruppe reden. Es ist zu beobachten, dass es spätestens ab dieser Größe zu Gruppenteilungen kommt oder ein hierarchisches System etabliert wird. In Organisationen dagegen wird indirekt, das heißt über Vermittlungsinstanzen, Zwischenträger*innen, Relaisstationen kommuniziert – eine ständige Quelle von Verunsicherung für Personen und Fehlern in der Sache, aber auch die bisher einzige Möglichkeit, eine große Menge von Menschen für ein gemeinsames Ziel zu organisieren. Hinzu kommt, dass in fast allen uns bekannten Organisationen das hierarchische System dominiert, weshalb wir die Begriffe Organisation und Hierarchie oft synonym gebrauchen können. Hierarchie verteilt die Kompetenzen derart, dass die Mehrheit der Menschen mit Organisationsaufgaben wenig zu tun bekommt; in agrarisch-feudalen Systemen kann deshalb die Kleingruppenstruktur ungefährdet fortgesetzt werden („Großfamilien“, die in Dorfgemeinschaften nebeneinander leben und erst ansatzweise Intergruppenverbindungen eingehen). Diese Situation ändert sich radikal mit der Macht der Städte und des Bürgertums sowie der „Ehe“ von Wirtschaft und Wissenschaft.

Individualgeschichtlich bietet sich ein ähnliches Bild. Unsere primäre Verhaltensbildung und Erziehung vollzieht sich wiederum in Kleingruppenformationen (Familie, Freundeskreis, Schulklasse, Sportverein etc.). Obwohl die Schule eigentlich die Aufgabe hätte, ins politisch-organisatorische Leben einzuführen, entzieht sie sich dieser Aufgabe und konkurriert mit den Eltern um familienähnliche Strukturen. Von institutioneller Erziehung ist weit und breit nichts zu sehen. Jugendliche treten in den „Ernst des Lebens“ – und das heißt in die Wirklichkeit von Organisationen – erst ein, wenn ihre primäre, emotionale Verhaltensbildung schon weitgehend abgeschlossen ist. Der individualgeschichtliche Erwerb von Bewegungs- und Handlungssicherheiten in dieser ersten Lebensetappe bewirkt nun die Tendenz, auch das spätere Leben nach den emotionalen Mustern der Kindheit zu gestalten. Viele versuchen, Kleingruppenemotionen auf Organisationen zu übertragen – vom „Landesvater“ über die „Mutter Kirche“ bis hin zur „Freunderlwirtschaft“, die meist die Jugendbande ablöst.

Emotionale und sozialstrukturelle Folgen

Organisationen und größere Sozialverbände werden als solche emotional eher abgelehnt, insbesondere dann, wenn es nicht gelingt, sie gefühlsmäßig in quasi familiäre oder kleingruppenhafte Formationen „umzuwandeln“. Dies liegt nicht nur an den menschheits- und individualgeschichtlichen Entwicklungsvoraussetzungen, sondern hat überdies objektiv-strukturelle Gründe. Kleingruppen sind, wie gesagt, der Ort überschaubarer direkter Kommunikation und Kontrolle. Man kann einander beobachten, die Botschaften des Körpers und der Sprache aufnehmen, sie interpretieren und austauschen. Positive und negative Emotionen können direkt einem Anlass und „Gegenstand“ zugeordnet werden und lassen sich daher direkter und leichter austragen. Man kennt einander, kann die anderen einschätzen und weiß, was man zu erwarten hat. Das ermöglicht Handlungssicherheit. Man hat seine klaren „Vertrauenshierarchien“. Überhaupt ist Vertrauen ein Phänomen, das historisch fast ausschließlich an Kleingruppen gebunden ist. (Deshalb müssen auch heute noch die Politiker*innen „ins Bild“, sei es über das Fernsehen oder sei es gar leibhaftig bei allen möglichen und unmöglichen Veranstaltungen; von den Werbestrategen wird dergleichen auch als „vertrauensbildende Maßnahmen“ bezeichnet.)

In der Gruppe gibt es direkte Kommunikation: grundsätzlich kann man alles miteinander bereden, auch die Normsetzung liegt „in eigener Hand“.

Organisation hingegen verkörpert:

  • indirekte Kommunikation, Anonymität sowie von außen gesetzte Norm und Verbindlichkeit.
  • Individuen und Gruppen tritt ein undurchsichtiger „Apparat“ gegenüber; überall lauern Macht, Gefahr, Korruption.
  • Die Kontrolle wird schwieriger, die oft uneinsichtige Außensteuerung wird als schicksalhaft und willkürlich empfunden.
  • Viel einander „Fremdes“ wird unter eine Organisation gezwungen und zu unfreiwilliger Nähe verpflichtet, wodurch Unsicherheit und Angst entstehen; Vertrauen stellt sich hier nur über Umwege ein und ist ständig gefährdet.

Gruppen mit einem intakten Binnenleben, einer auf Vertrauen und Kontrollmöglichkeit beruhenden „Kohäsion“, können nur existieren und überleben, wenn sie sich in gewissen Formen nach außen abschließen und schützen; jedes neue Element bringt Unruhe und Veränderung, weil seine Integration die gesamte Gruppen- oder Kommunikationsstruktur umformen muss. Gerade gut funktionierende Gruppen haben die Tendenz, „Fremde“ wegen der Gefahr, die sie für die eingespielte Balance haben, nicht hereinzulassen. Gruppe bedeutet daher definitionsgemäß Ausschluss anderer. Bei inneren Verunsicherungen wird der Zusammenhalt der Gruppe durch die Konstruktion eines*einer Außenfeind*in gerettet und gewährleistet, ein Prinzip, das in der Politik oft Anwendung fand und findet. Solange ein*e Außenfeind*in emotional verfügbar ist, kann das Binnenleben der Gruppe funktionieren, und es geht halbwegs friedlich zu; es kommt nur zu kleineren Grenzscharmützeln. In der Geschichte war es immer wieder ein probates Mittel, bei inneren Schwierigkeiten zur Aggression gegen den*die Außenfeind*in fortzuschreiten. Kriege hingen und hängen sehr oft mit unbewältigten inneren Organisationsschwierigkeiten zusammen. Zugleich sind diese Vorgänge Belege für die Möglichkeit, ein Gruppengefühl auf Klassen, Völker, Staaten oder Organisationen zu übertragen, wofür diese erstaunlich schnell empfänglich sind. Hauptpropagandakategorie ist hier die „All-Einheit“ (etwa „ein Volk, ein Reich, ein*e Führer*in), mit der Minderheiten und ganze Völker zum Außenfeind gemacht werden können. Im Grunde ist diese postulierte „All-Einheit“ eine Omnipotenzphantasie der Gruppe, in der alle Unterschiedlichkeit zwischen Individuen, Interessen, Untergruppen und Einstellungen nivelliert wird.

Organisationen können an abgeschlossenen Gruppen nicht interessiert sein; sie funktionieren nur, wenn Gruppen für sie zugänglich bleiben. Organisationen vertreten und repräsentieren eine Sache, einen Zweck, der nur durch die Zusammenarbeit mehrerer Gruppen erreichbar ist. Sie vertreten ein Gesamtinteresse, ein Ganzes, eine Leitidee, haben den Überblick, und müssen das übergeordnete Ganze gegen die einzelnen Gruppeninteressen verwirklichen und durchsetzen. Durch das übergeordnete Gemeinsame wirken Organisationen auf Gruppen permanent störend, manchmal sogar zerstörend. Vom Binnenleben der Gruppe her sind Organisationen daher emotional negativ besetzt. Nur dort, wo es der Organisation gelungen ist, ihre (meist hierarchische) Struktur voll durchschlagen zu lassen, gibt es diese Besetzung nicht, weil Gruppen als solche gar nicht mehr existieren; daher wird man dort auch kaum befriedigende Kooperation in Gruppen vorfinden. Es gibt lediglich mehr oder weniger gut funktionierende Individuen als Exekutoren der Organisation.

Die Organisation wird nicht nur als etwas Anonym-Abstraktes empfunden, aus dem Blickwinkel der Gruppen her wird sie emotional negativ besetzt. Quasi im Gegenzug trachten Organisationen, ihren Zweck, die Sache, die funktionalen Verbindlichkeiten überhaupt aus dem Gefühlsbereich auszuschließen. Man denke nur an die großen Schwierigkeiten bei der Entwicklung einer Produkt-Ethik. Die emotionalen Neutralisierungs- und Ernüchterungsversuche verstärken ihrerseits wieder die Tendenz, alle positive Emotionalität (alle Gefühle von Wärme, Vertrauen, Sicherheit und Schutz) auf die Kleingruppe (Abteilung, Schulklasse, Institut, Kommission) zu beschränken. Für Gruppen wird damit die Organisation zum permanenten Außenfeind. Den Exponent*innen der Organisation ist dies naturgemäß nicht recht. Die Manipulationstechniken, dazu angewandt, die Organisation wiederum aus dieser negativen Besetzung herauszuholen, funktionieren zu einem großen Teil nach dem bereits beschriebenen Vorgehen: die Organisation versucht sich als Gruppe zu stilisieren, stellt das Gemeinsame als Gruppen-Überidee dar, verlagert innere Widersprüche nach außen, erklärt andere Organisationen zu Feinden (die Heiden, die Konkurrenz, die Opposition, die Roten, die Konservativen), emotionalisiert familial (Mutter Kirche, Vater Staat, Konzernmutter, Tochtergesellschaften) oder macht die Firma in der Propaganda gegenüber den Mitarbeiter*innen überhaupt zur „Familie“.

Organisationen haben auf diese Weise die Tendenz, ihren einzelnen Gruppen den*die Außenfeind*in „wegzunehmen“. Sie können ihren Zweck ja nur verfolgen, wenn die einzelnen Gruppen (Abteilungen, Institute) kooperieren (Stammeskulturen, so wie sie heute zum Beispiel noch in Afrika existieren, wehren sich mit großem Erfolg gegen staatliche Organisation; den wenigsten Ländern ist es gelungen, Außenfeindvorstellungen der Stämme untereinander abzubauen). Nimmt man einer Gruppe den*die Außenfeind*in weg, ist ihre Umgebung nicht mehr so gefährlich. Sie kann sich daher öffnen, muss sich nicht mehr in sich ab- und zusammenschließen, was den Organisationsinteressen leichter zu Gruppen Zugang verschafft; umgekehrt ist aber davon die Gruppenidentität betroffen, der innere Zusammenhalt wird flüchtiger, ihr eingeschworenes Binnenleben ist gefährdet. Die Gruppe wehrt sich daher dagegen, sich dadurch zerstören zu lassen, dass ihre Außengrenzen durchlässiger gemacht werden. Findet sich nämlich kein*e unmittelbare*r Gegner*in in der „Gruppennachbarschaft“ mehr, so tritt die ganze Organisation die vakant gewordene Stelle an. Prinzipiell und von sich aus sind Organisationen an Kooperation und im weiteren Sinn an innerem Frieden interessiert. Ihre „Kriegsform“ besteht in Expansion, Eingliederung, Vereinnahmung und Unterwerfung des „Äußeren“. Ist dieser Prozess aber einmal beendet, weil keine Expansionsmöglichkeiten mehr bestehen, wird die Frage nach dem „inneren Frieden“ wichtig. Der wird nämlich nicht geschenkt. Sehr oft verfahren Organisationen dann mit den inneren Widersprüchen wie gewohnt und schaffen sich den*die Außenfeind*in aus dem eigenen Inneren, führen dann „Krieg“ gegen bestimmte Gruppen.

Unser historischer Standort

Die weiträumigste Organisationsform in der Geschichte war immer schon der Handel, weil er nur grenzüberschreitend funktionieren konnte. Für die Gruppenmentalität war die Rolle des Kaufmanns daher auch immer ambivalent besetzt. Zwar wurde man durch ihn mit Notwendigkeiten und Luxuriösem versorgt, dennoch war er im Grunde ein Halsabschneider und Spitzbube. Schon für die Griechen war Hermes der Gott der Kaufleute und Diebe. Das „internationale Judentum“ als Volk von Kaufleuten, Bankier*innen und Unternehmer*innen eignete sich seit jeher für Außenfeindprojektionen, noch dazu, wo es sich durch Abgeschlossenheit, eigenen Glauben und anderes mehr als „ideale Gruppe“ präsentierte. Mit dem Imperialismus hat das Bürgertum Internationalisierung von Wirtschaft und Handel auf die Spitze getrieben. Alles sollte eingegliedert, „einverleibt“ werden. Kulturen, die nur in alten Stammes- Gruppenstrukturen leben können, wurden vernichtet. Die ganze Neuzeit könnte so als Krieg der Sozialform Organisation gegen ihre menschheitsgeschichtlichen Vorläufer begriffen werden, eine bürgerliche Vorstellung von „Fortschritt“. Beim weltweiten Verbreiten unseres Wirtschaftssystems mit seinen begleitenden Organisationsformen handelt es sich also um einen „indirekten Krieg“; indirekt deshalb, weil er nicht mit den üblichen Waffen geführt wird (wenn auch da und dort durch sie unterstützt) und weil er letztlich von der Logik der Organisation her gesehen am Frieden interessiert sein müsste, jedenfalls an der Überwindung traditioneller Kriegsformen.

Das Bürgertum hat diese Tendenzwende sehr wohl gesehen und sie humanistisch- enthusiastisch, „idealistisch“ als Neuerung gefeiert. „Seid umschlungen, Millionen“, hieß es, man sprach vom „Weltbürger“ und vom allgemeinen, gleichen Menschen. Kant zum Beispiel hoffte in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ noch auf den friedenbringenden „Geist des Handels“. Trotz aller idealistischer Abstraktion dürfte damit gegenüber früher zu Bewusstsein gekommen sein, dass erst durch Organisation konkret Friede erreicht werden kann, Friede also weniger ein durch humanistische Appelle oder moralische Forderungen erreichbarer Idealzustand ist, sondern harte Organisationsarbeit im Detail voraussetzt. In Gruppenkulturen, Stammesgesellschaften kann es bestenfalls nur inneren Frieden geben. Der Weltfriede, der Friede zwischen Organisationen kann nur durch Organisation erreicht werden.

Wir stehen in einem Widerspruch: einerseits wissen wir, dass Frieden eine Organisationsleistung ist, andererseits wissen wir auch, wie negativ Organisationen besetzt sind. Dies führt zum Beispiel dazu, dass in den Friedensbewegungen die Frage nach dem Frieden von der nach der Organisation abgekoppelt wird. Gefühlsmäßig wird Friede immer noch mit konfliktfreien, idyllischen, familiären, Sicherheit spendenden Kleingruppen- Erlebnissen identifiziert. Gerade diese Grundgefühle durften aber den gegenwärtigen Friedensbemühungen eher hinderlich sein.

Wir haben bereits begründet, warum die Bildung von Projektgruppen in Unternehmen notwendig und sinnvoll ist. Wir fanden den Hauptgrund in einer Schwäche und Krise des Hierarchiesystems: Die mehrere Jahrtausende alte gesellschaftliche Organisationsform der Menschen, die zu Hochkulturen, Zivilisationsleistungen, subtiler Arbeitsteilung, Spezialisierung geführt hat, ist – und das ist das Paradoxe – durch ihre eigene Leistungsfähigkeit an ihre Grenze gekommen; ihre Leistungen haben zu einer Komplexität (an Informationen und Strukturen) geführt, die durch die bisherige Organisationsform Hierarchie nicht mehr zu bewältigen ist. Wir können aber zugleich gerade aufgrund der Lebensformen, die wir erreicht haben, auf Hierarchien nicht verzichten. Das heißt freilich nicht, dass „Privilegienzuordnungen“ nicht immer zur Debatte stehen können. Alles Gerede von der Abschaffung der Hierarchien aber, der Einrichtung „herrschaftsfreier Kommunikation“, ist naiv sentimentalisch und bewegt sich meist auf der Ebene einer ethischen Sollensforderung, ohne die Realität unserer Organisation zu untersuchen oder überhaupt zu kennen.

Wir müssen daher versuchen, in den bestehenden Organisationen andere Organisationsformen einzurichten, die die Probleme und Defizite der Hierarchie bewältigen und ausgleichen können. In diesem Sinn brauchen wir Einrichtungen eines Krisenmanagements, die jene Krisen erfassen und austragen, die durch die Hierarchie ständig und notwendigerweise erzeugt werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Einrichtungen – zu ihnen zählen wir auch Projektmanagement – organisatorisch und auch emotional anders ablaufen müssen als die Hierarchie selbst; wäre dieses Anders-Sein nicht gewährleistet, würden sie dieselben Fehler produzieren wie die Hierarchie. Damit ist aber bereits der Widerspruch etabliert: wir werden im Moment weltgeschichtlich gezwungen, innerhalb einer Organisation zwei völlig verschiedene und einander widersprechende Organisationsprinzipien zu vereinigen - und dies im vollen Bewusstsein des Widerspruchs. Soweit wir sehen, ist dies in der bisherigen Menschengeschichte noch nie „offiziell" gelungen. Ob es uns jetzt gelingt, ist fraglich; jedenfalls dürfte das Überleben unserer Zivilisation davon abhängen.

Aufgaben

Aufgabe: Hierarchie vs. Gruppe

Ja, auch Sie sind im Widerspruch Hierarchie vs. Gruppe quasi „gefangen“. Für diese Übung legen Sie eine kleine Tabelle an und tragen links die Gruppen ein, in denen Sie Mitglied waren, sind oder in absehbarer Zeit sein werden.

Auf der rechen Seite tragen Sie die hierarchischen Systeme ein (Schule, Ausbildungsstätten, Vereine – so ferne diese hierarchisch strukturiert sind.

Dann stellen Sie sich folgende Fragen:

  • Welche der beiden Seiten überwiegt in meinem Leben – welche Liste ist länger?
  • Wo fühle ich mich wohler – und weshalb könnte das so sein?
  • Wohin zieht es mich in Zukunft?
  • Was sind meine Stärken innerhalb von Gruppen – und meine Schwächen?
  • Was sind meine Stärken innerhalb von Hierarchien – und meine Schwächen?

Auch diese Fragen lassen sich hervorragend in Gruppen diskutieren. In einem hierarchischen System macht das schon wesentlich weniger Spaß.