MN 411 - Gesprächsführung, Verhandeln und Konfliktlösung - Kapitel 2

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Verhandeln

Das Leben besteht aus vielen, vielen Verhandlungen, sei es im beruflichen, privaten oder gesellschaftlichen Kontext. Jeder trachtet danach, das Beste für sich und seine Lieben und/oder Mitstreiter*innen herauszuholen. Wir sind umgeben von „knappen Gütern“, sei es nun Ware, Positionen, Raum oder Zeit.

Es wird im Kleinen verhandelt, vielleicht zu Hause um einen Kinobesuch oder im Großen, wo es um Territorien, Macht und auch Menschenleben geht. Um von einem Verhandlungstisch zufrieden aufstehen zu können, und zwar sowohl das Ergebnis betreffend als auch fühlend, das Gegenüber auch zufriedenstellend behandelt und die zukünftige Beziehung nicht gefährdet zu haben, bedarf es einer nach allen Regeln der Kunst geführte Kommunikation, angereichert im Besonderen mit Verhandlungstechniken.

Sämtliche, in Lektion 1 beschriebenen Kommunikationstechniken finden in der Verhandlung ihre Berechtigung und ihren wirkungsvollen Platz. In dieser Lektion soll nun verstärkt auf Verhandlungstechnik eingegangen werden. Die Literatur ist weitläufig, aber an einem Werk kommt man nicht vorbei: am sogenannten „Harvard-Konzept“, dem Standardwerk für kooperatives Verhandeln. Die Publikation „Getting to Yes“, die 1981 von Roger Fisher und William Ury herausgegeben wurde und die zweite Edition des Jahres 1991, die von den beiden Ursprungsautoren gemeinsam mit Bruce Patton geschrieben wurde, sind Standard in der Verhandlungstechnik geworden. Die deutsche Fassung, „Das Harvard-Konzept“, wurde 2018 vollständig neu überarbeitet und neu übersetzt.

Die Tatsache, dass dieses Werk für jedermann verständlich geschrieben wurde und es möglich macht, den Prozess einer Verhandlung unabhängig von Inhalt, Mensch, Ort und Zeit, zu verstehen, ließ es zum Klassiker werden.

Es ist ein transparenter, schlüssiger, einfach anwendbarer Ansatz mit dem Ziel, einen Mehrwert für die Verhandlungspartner*innen zu erhalten bzw. zu erzielen und ist deswegen auch Grundlage dieser Lektion. [1] [2]

Das Prinzip

Lassen Sie sich bitte auf die folgende kleine Übung ein: erinnern Sie sich an eine Verhandlungssituation, in der Sie sich selbst befunden haben und rufen Sie sich die Dialoge in Erinnerung. Worüber wurde gefeilscht? Waren es Standpunkte, Positionen, die Sie verteidigt haben bzw. die Ihr Verhandlungspartner oder Ihre Verhandlungspartnerin verteidigt hat? Waren/sind Sie sich im Klaren, worum es bei der Verhandlung WIRKLICH ging? Hatten Sie das Gefühl, dass es eine sachliche Verhandlung war, wo alle Positionen klar waren und ergo klare Ergebnisse, mit denen alle zufrieden waren, daraus hervorgingen? Wenn ja, dann gratuliere ich Ihnen!!

In den meisten Fällen muss man nämlich beobachten, dass es bei Verhandlungen, egal welcher Art und welchen Ausmaßes, meist um Positionengerangel geht: jede Verhandlungspartei nimmt bestimmte Standpunkte ein, zieht dafür ins Feld und macht dann eventuell Zugeständnisse, damit ein akzeptabler Kompromiss herauskommt oder damit man „gewinnt“.

Grundsätzlich soll man dem Einnehmen von Positionen nicht ganz den Nutzen absprechen: es ist gut, der anderen Seite seinen Standpunkt aufzuzeigen in der Hoffnung, dass sie ihn auch dementsprechend versteht.

Je härter aber und je stärker man für den eigenen Standpunkt kämpft, desto starrer wird die Ausgangsposition, desto mehr wird man in der eigenen Position gefangen. Sie bildet dann eine Art Mauer und lässt den Blick auf die dahinter liegenden Sachprobleme der Partei nicht mehr zu. Eine Übereinkunft wird dann immer unwahrscheinlicher und das einzige, was man dann noch tun kann, ist zu versuchen, das eigene Gesicht zu wahren. Das Potential, das die Verhandlung in sich geborgen hätte, wird weit nicht ausgeschöpft.

Zusätzlich dazu kann Positionsgerangel sehr zeitraubend sein, da Methoden wie Täuschung, Zurückweisung, Drohen, Mauern in unterschiedlichem Ausmaß angewandt werden. Dies schlägt sich auf die Effizienz, da nicht nur Zeit, sondern damit meist auch Geld mangels keiner oder nicht zufrieden stellender Ergebnisse verschwendet wird.

Zu guter Letzt belastet das Feilschen um Positionen meist auch die Beziehungen der Verhandlungspartner*innen, es kommt Ärger und Verstimmung auf, weil entweder zu harte oder auch zu weiche Standpunkte immer das Unterwerfen des*der anderen nach sich ziehen und keine gemeinsame Lösung zulassen.

Wenn man verschiedenen Menschen die Frage stellt, wann für sie eine Verhandlungstechnik gut ist, werden mehr oder weniger immer die folgenden Antworten gegeben:

  • Sie sollte eine vernünftige Übereinkunft zustande bringen
  • Sie sollte effizient sein.
  • Sie sollte das Verhältnis zwischen den Parteien zumindest nicht zerstören, sondern vielleicht sogar verbessern.

Wenn man nun um Positionen kämpft, kommt es darauf an, ob man eher hart oder weich kämpft. Das hängt von der Persönlichkeit ab, von den bisher gemachten Erfahrungen, vom gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund usw.

Wenn man eher ein*e harte*r Kämpfer*in ist, ist das oftmals mit einem hohen Preis verbunden. Man weiß üblicherweise um die Konsequenzen auf der Beziehungsebene und versucht vielleicht durch etwas mehr Freundlichkeit im Verhandlungsstil diese zu minimieren.

Pflegt man eher einen weichen Verhandlungsstil, so ist man vorrangig um die Beziehung zum*zur Verhandlungspartner*in bemüht und man läuft Gefahr, keine vernünftigen Ergebnisse zu erzielen, sondern vielleicht aus Freundlichkeit das letzte Hemd zu verlieren.

Genau hier setzt das Harvard-Prinzip an und liefert eine Alternative - das sogenannte „sachbezogene Verhandeln“.

Der erste Schritt ist zu erkennen, dass eine Verhandlung grundsätzlich aus zwei Ebenen besteht: aus der Inhaltsebene und andererseits der Verhandlungsweise. Die Inhaltsebene betrifft den Sachgegenstand, wie Bedingungen, Preis usw., bei der zweiten Ebene geht es um die Art und Weise, WIE verhandelt werden soll, gewissermaßen um die Spielregeln.

Es geht darum, sich bewusst zu machen, dass mit jedem Schritt in der Verhandlung, nicht nur die Inhaltsebene berührt, sondern auch die Regeln des Verhandlungsablaufes. Mit diesem Bewusstsein wird man fähig zu agieren, d.h. die Verhandlungen in der Bahn zu halten oder aber auch einen Zug auslösen, der alles verändert. Man bewegt sich so aus der starren Position heraus, egal ob man tendenziell eher hart oder eher weich verhandelt.

Das sachbezogene Verhandeln beruht im Wesentlichen auf 4 Grundlagen:

Menschen: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln

Interessen: Nicht Positionen, sondern Interessen in den Vordergrund stellen

Möglichkeiten: Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln

Kriterien: Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen

Der erste Punkt zielt auf den schon in der Lektion 1 behandelten Zugang, die Sach- von der Beziehungsebene zu trennen, ab. Die Partner*innen sollen hier nebeneinander gesehen werden, wie sie gemeinsam das Problem angehen und nicht in Konfrontation.

Der zweite Punkt zielt auf die Vermeidung der oben beschriebenen Effekte des Positionsgerangels ab. Den freien Blick auf die wirklichen Interessen der Verhandlungspartner*innen möglich machen, statt faule Kompromisse einzugehen, ist hier zentral.

Punkt 3 empfiehlt, sich selbst unter Druck Zeit zu nehmen oder zu schaffen, um sämtliche Alternativen einer Lösungsfindung erwägen zu können. Manchmal gibt es sogar mehrere Lösungsvarianten, die man unter Zeitdruck und Zwang gar nicht gesehen hätte. Wahlmöglichkeiten erhöhen den gegenseitigen Nutzen.

Wo Interesse gegen Interesse steht, sind Willkür und unfaire Verhaltensweisen nicht weit. Punkt 4 impliziert, dass das Anwenden von fairen Maßstäben, die unabhängig vom Willen der Verhandlungsparteien sind. Das hat zur Folge, dass keiner „nachgeben“ muss, weil sich beide beruhigt der Allgemeingültigkeit von Fairness unterwerfen kann. Diese Maßstäbe können sein: Marktwerte, Sitten, Normen, Werte, Expert*innenmeinungen usw.

Die nachfolgende Tabelle fasst die Grundwerte des sachbezogenen Verhandelns im Vergleich zu einem harten oder einem weichen Verhandlungsstil zusammen: [3]

Problem

Welche Rolle würden Sie im Feilschen um Positionen übernehmen?

Lösung

Ändern Sie das Spiel – Verhandeln Sie sachbezogen

Weich Hart Sachbezogen
Die Teilnehmenden an der Verhandlung sind fast freundschaftlich verbunden Die Teilnehmenden sind Gegner*innen Teilnehmende wollen das Problem lösen
Ziel: Übereinkunft mit der Gegenseite Ziel: Sieg über die Gegenseite Ziel: vernünftiges, effizient und gütlich erreichtes Ergebnis, das für alle passt
Konzessionen werden zur Verbesserung der Beziehung gemacht Konzessionen werden als Voraussetzung der Beziehungen gefordert Menschen und Probleme werden getrennt behandelt
Weiche Einstellung zu Menschen und Problemen Harte Einstellung zu Menschen und Problemen Weich zu den Menschen, hart in der Sache
Vertrauen zu den anderen Misstrauen gegenüber den anderen Unabhängig von Vertrauen oder Misstrauen vorgehen
Bereitwillige Änderung der Position Beharren auf der eigenen Position Konzentration auf Interessen, nicht auf Positionen
Angebote werden unterbreitet Drohungen erfolgen Interessen erkundet
Die Verhandlungslinie wird offen gelegt Die Verhandlungslinie bleibt verdeckt „Verhandlungslinie“ vermeiden
Einseitige Zugeständnisse werden um der Übereinkunft willen in Kauf genommen Einseitige Vorteile werden als Preis für die Übereinkunft gefordert Möglichkeiten für gegenseitigen Nutzen suchen
Suche nach der einzigen Antwort, die die anderen akzeptieren Suche nach der einzigen Antwort, die ICH akzeptiere Unterschiedliche Wahlmöglichkeiten suchen; erst danach entscheiden
Bestehen auf einer Übereinkunft Bestehen auf der eigenen Position Bestehen auf objektiven Kriterien
Willenskämpfe werden vermieden Der Willenskampf muss gewonnen werden Ein Ergebnis unabhängig von jeweiligen Willen zu erreichen suchen
Starkem Druck wird nachgegeben Starker Druck wird ausgeübt Vernunft anwenden und der Vernunft gegenüber offen sein; nur sachlichen Argumenten und nicht irgendwelchem Druck nachgeben

Verhalten in Verhandlungen

Menschen: getrennte Behandlung von Menschen und Problemen

Eine der schwierigsten Übungen im Verhandlungsprozess ist die Trennung der Sachebene und der persönlichen Beziehung. Man möchte selbst als emotionales Wesen, getragen von Gefühlen, Grundeinstellungen und Werten gesehen werden und sollte sich daher bewusst machen, dass auch die Verhandlungspartner*innen, wie schwierig auch die Situation sein sollte, keine abstrakten Wesen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut sind.

Dieser Aspekt kann beim Verhandeln sowohl nutzen als auch stören (siehe auch Lektion 1 – das „4-Seiten-Modell“). Wenn die Emotionen positiver Natur sind und man es schafft, eine Verbundenheit herzustellen, die auf Vertrauen, gegenseitiger Wertschätzung, Verständnis und Respekt aufgebaut ist, dann wirken diese Einstellungen meist dahingehend, dass der*die Verhandlungspartner*in aufgeschlossener wird und selbst auch die Interessen seines Gegenübers wahrnimmt.

Handelt es sich aber um Menschen, die ängstlich, frustriert oder leicht beleidigt sind, dann wird ihr Ich leicht erschüttert und es besteht die Gefahr, dass die Projektion dieser Gefühle auf andere zu Missverständnissen und negativen Eindrücken führt, die dann die Verhandlungen beeinträchtigen können.

Die Wichtigkeit der Trennung von Sachinhalten und persönlichen Beziehungen wird dann klar, wenn man sich bewusst ist, dass ein noch so komplexer Diskussionsinhalt, die (vielleicht schon langjährige und gute) Beziehung auf keinen Fall stören soll. Wenn so ein Fall vorliegt, fällt es plötzlich leicht, beides zu trennen und sich dementsprechend auf das Gespräch vorzubereiten.

Man denke nur an langjährige Kund*innen- und Geschäftsbeziehungen oder auch Freundschaften oder Ehen.

„Empathie“ ist auch hier das Zauberwort und die Schlüsselfähigkeit im Verhandeln.

Kümmern Sie sich um das „Problem Mensch“ – und zwar nicht nur um jene Ihrer Verhandlungspartner*innen, sondern auch um ihre eigenen:

  • Wenn die Vorstellungen nicht genau sind, suchen Sie nach Präzisierung
  • Wenn die Emotionen hochgehen, finden Sie Möglichkeiten zum Abbau
  • Gibt es Missverständnisse, erhellen Sie die Kommunikation (siehe Lektion 1)

Vorstellungen

Differenzen und Wahrheiten existieren in den Köpfen der Menschen und sind hochgradig subjektiv. Ängste, Hoffnungen, seien sie nun realistisch oder unrealistisch und sonstige Gedanken „was wirklich dahinter steckt“ („hidden agenda“), sind wahrscheinlich für andere nie ganz er- und begreifbar. Und doch kann man versuchen, so viel wie möglich von den Vorstellungen der anderen zu verstehen und versuchen, sich in deren Lage zu versetzen und so deren Gefühle zu erahnen. Das kann mitunter sogar bewirken, dass sich ihre eigene Sicht verändert.

Eine häufige Falle ist die Ableitung von Absichten aus eigenen Befürchtungen. Lassen Sie folgendes Beispiel auf sich wirken:

„Ein Mann und eine Frau trafen sich in einer Bar. Er bot ihr später an, sie heimzubringen. Er nahm ungewöhnliche Wege und behauptete, es seien Abkürzungen.

So brachte er sie derart in so kurzer Zeit nach Hause, dass sie sogar noch die 10-Uhr-Nachrichten sehen konnte.“

Warum überrascht uns dieser Schluss? Weil unsere Befürchtungen uns eventuell zu schlimmen Annahmen verleitet haben.

Vorsicht bei Schuldzuweisungen an Personen, wenn sie eine Sache betreffen:

„Sie sind total unzuverlässig. Das von Ihnen gewartete Gerät ist schon wieder kaputt!“

Dies ist eine Du/Sie-Botschaft, die Verteidigung und Widerspruch auslöst. Wenn man die Unzufriedenheit mit der Sache von der Person trennt, mit der man spricht, hört sich das weit kooperativer an:

„Das Gerät, das wir bei Ihnen zur Wartung hatten, ist schon wieder kaputt. Könnten Sie mir einen Vorschlag machen, damit nicht wieder ein Ausfall passiert?“

Eine der wirksamsten Möglichkeiten, die Vorstellungen der Gegenseite zu ändern, ist, wenn man das Verhalten unerwartet ändert. Wenn man z.B. weiß oder ahnt, dass die Gegenseite die Vorstellung hat, man manipuliere Informationen, wäre es ein überraschendes Verhalten, wenn man seine Bücher öffnen und Zugang zu sämtlichen, die Verhandlung betreffenden Informationen gewährt.

Als weiteres wirksames Mittel hat sich die Beteiligung der Gegenseite am Ergebnis erwiesen. Es erhöht die Akzeptanz, wenn man nicht alles fertig ausgearbeitet und gefeilt präsentiert bekommt, sondern gefragt wird, wie man seinen Vorstellungen gemäß eine Lösung formulieren würde. Z. B. wird ein*e Assistent*in mit mehr Freude Ordnung halten, wenn er*sie selbst in die Organisation des Ablagesystems miteingebunden wird.

Wenn es dann noch geschafft wird, die eigenen Vorschläge mit dem Wertesystem des Gegenübers abzustimmen und so jedermanns „Gesicht zu wahren“, sind alle Weichen auf Erfolg gestellt – zumindest im Hinblick auf die Vorstellungen! Dabei geht es nicht darum, wer „gewonnen“ oder „verloren“ hat, sondern ob das Ergebnis im Einklang mit den Grundsätzen und dem Image der Partner*innen steht.

Emotionen

Gefühle sind machtvoll. Oft machtvoller als Worte. Gefühle lösen Gefühle aus und beeinflussen oft unbemerkt die Verhandlung – manchmal, bis es zu spät ist.

Es macht daher Sinn, sich seiner Emotionen und deren der Verhandlungspartner*innen bewusst zu werden. Haben Sie sich schon einmal während eines Gespräches beobachtet?

Aufgabe 5: Gespräch in nächster Zukunft

Wählen Sie ein Gespräch in nächster Zukunft aus. Beobachten Sie Ihre eigenen Gefühle, schreiben Sie sie auf und vergleichen Sie es mit den Gefühlen, die Sie eigentlich haben wollten/sollten. Decken sie sich?

Dann machen Sie das Gleiche für die Gegenseite. Beobachten Sie, schreiben Sie auf, was Sie glauben, das die Gegenseite fühlt und fragen Sie sie nachher, ob sich dies mit dem tatsächlich Gefühlten deckt.

Fragen Sie sich, warum Sie diese Gefühle haben bzw. warum die Gegenseite diese Gefühle haben könnte. Welche Einflüsse könnte es auf diese Gefühle geben?

Wenn es irgendwie möglich ist, während der Verhandlung die Gefühle zu verbalisieren, ist es danach oft einfacher, sich der Sache zuzuwenden.

Es macht Sinn, die anderen dabei zu unterstützen, ihren Gefühlen Luft zu geben. Besonders bei negativen Gefühlen verschafft es seelische Erleichterung. Wenn man dem*der anderen gestattet, Dampf abzulassen und dabei seine eigenen Emotionen kontrolliert, sind die Chancen groß, dass die Verhandlung wesentlich ungestörter stattfindet. Man sollte nur dann unterbrechen, wenn es ausfällig oder zu direkten Angriffen kommt.

Beeindruckende Wirkung haben auch kleine Gesten, wie ein (vielleicht unerwartetes) Händeschütteln, ein kleines Geschenk oder auch nur ein Lächeln oder eine Entschuldigung.

Interessen: Konzentration auf Interessen, nicht Positionen

Zwei Schwestern streiten um eine Orange. Jede will sie ganz haben und vertritt vehement ihre Position. Jede will gewinnen und die Orange haben. Es wird stundenlang gestritten. Da kommt der Vater zur Tür herein und fragt: „Maria, was willst du denn mit der Orange machen?“ „Ich möchte den Saft trinken.“ sagt sie. „Und du, Erika?“ „Ich möchte die Schale zum Kuchen backen.“

Daraufhin schält der Vater die Orange, gibt die Schale Erika und presst den Saft für Maria.

Ein klassisches Beispiel zur Erklärung, was es heißt, wenn um Positionen gestritten wird, ohne jemals nach den dahinter liegenden Interessen gefragt zu haben.

Interessen sind (meist verborgene) Wünsche und Sorgen, die Gründe, die einen Dinge tun und entscheiden lassen.

Positionen sind Standpunkte, zu denen man sich bewusst entschieden hat und meist entschieden vertritt.

Versucht man nun, die Interessen und nicht die Positionen in Einklang zu bringen, so hat das mehr als einen Vorteil:

Es kann meist jedes Interesse durch mehrere Positionen befriedigt werden. Es passiert oft, dass Menschen die ungünstigste Position einnehmen und die Alternativen nicht sehen, die sich aufmachen würden, wenn sie ihre Interessen offen darlegen würden.

Man findet meist mehrere übereinstimmende Interessen, auch wenn die Positionen gegensätzlich erscheinen.

Bevor man sich mit der Frage auseinandersetzt, wie man am besten zu den Interessen der Partner*innen vorstößt, ist es wichtig zu wissen, was grundsätzlich alle Menschen motiviert – die menschlichen Grundbedürfnisse – hier dargestellt in der klassischen Bedürfnispyramide nach Maslow (folgende Abbildung).

Oftmals hat man das Gefühl, dass bei Verhandlungen rein finanzielle Interessen dahinter stehen und trotzdem können sie Vorwand sein - für dahinter stehende Beweggründe, wie z. B. wirtschaftliche Absicherung oder auch Anerkennung.

Weiters ist die Erkenntnis hilfreich, dass beide Seiten, auch wenn sie nur aus zwei Personen bestehen, vielfältige Interessen haben. Sei es nun aus ihrer eigenen Person heraus, oder weil es Hintermänner*frauen oder andere Einflüsse gibt, deren Interessen auch vertreten werden wollen.

Die Bedürfnispyramide nach Maslow

Um diese Interessen herauszufinden, ist die einfache Frage „Warum?“ jene, die am ehesten zum Ziel führt. Dabei ist zu beachten, nicht nach Rechtfertigung einer Position zu fragen, sondern nach Gründen, Hoffnungen, Ängsten oder Wünschen:

„Aus welchen Gründen möchten Sie denn gerne diese Informationen haben?“

Es macht zum Teil auch Sinn, „warum nicht?“ zu fragen, um herauszufinden, warum ein Lösungsvorschlag nicht in Frage kommt, welche Interessen dafür im Wege stehen.

Die wertschätzenden Fragestellungen nach den Interessen der Partner*innen hat neben der Informationsbeschaffung auch noch den Effekt, dass aufgrund der Würdigung der Gegenseite Ihre eigenen Interessen auch große Chancen haben, mindestens genauso gewürdigt zu werden.

Die Erstellung einer Liste der eigenen Interessen vor der Verhandlung anzufertigen, hat so manchen Vorteil. Man kann sie gewichten und in eine Reihenfolge bringen, ordnen und (aus)sortieren und sicher gehen, dass man (auf) nichts vergessen hat. Die Überlegungen, auf welche Art und Weise man über die eigenen Interessen sprechen möchte, verringert die Gefahr, sich in Positionskämpfe zu verwickeln.

Zusätzlich dazu sind Interessen immer eher zukunfts-, als vergangenheitsorientiert, was den Vorteil hat, dass man weniger Gefahr läuft, sich über Vergangenes und damit ev. Irrelevantes zu streiten. Die Formulierung eines Zieles und die Konversation darüber birgt wesentlich mehr positive Energie.

Das Harvard-Prinzip bringt es auf den Punkt:

„Zwei Verhandlungspartner*innen, von denen jede*r seine*ihre Interessen mit aller Härte vertritt, in der Position jedoch flexibel bleibt, stimulieren gegenseitig ihre Kreativität beim Nachdenken über eine Lösung, die für beide vorteilhaft ist.“ [4]

Möglichkeiten: Entwicklung von Optionen zum beiderseitigen Vorteil

Erinnern wir uns an das Beispiel mit dem Streit über die Orange. Angenommen, die Schwestern hätten einfach die Orange halbiert, dann hätte Maria nur den Saft der halben und Erika nur die Schale der halben Orange gehabt, obwohl es eine Option gegeben hätte, jeder das Ganze des Gewünschten zu geben.

Die beiden hatten sich keinerlei zusätzliche Optionen überlegt.

Viele Verhandlungen „lassen Geld liegen“, weil keine Zeit oder kein Wille da war, über zusätzliche Möglichkeiten nachzudenken.

Es gibt 4 Haupthindernisse, die die Entwicklung von Entscheidungsmöglichkeiten behindern:

vorschnelles Urteil

Wenn man in einer gespannten Situation einer Verhandlung steckt, dann ist die Gefahr groß, dass die Kreativität leidet. Es könnten sich aber auch Ängste und Befürchtungen breit machen, mit einer spontanen anderen Option nicht ernst genommen zu werden oder noch schlimmere Konsequenzen erleiden zu müssen.

Unter Druck ist der kritische Sinn geschwächt und erlaubt meist keine passenden, kreativen Einfälle. Druckt lässt einen mitunter vorschnell urteilen, ohne über andere Optionen nachdenken zu können.

Suche nach der „richtigen“ Lösung

Viele Menschen sehen einen Prozess zur Entwicklung von Alternativen überhaupt nicht als Teil eines Verhandlungsprozesses. Ihr Blick ist zwang- und tunnelhaft auf DIE richtige Lösung gerichtet, oft aus Angst, dass eine ausufernde Diskussion alles verzögert und durcheinander bringt.

  Annahme, dass der „Kuchen“ begrenzt sei

Wenn die Verhandlungspartner*innen die Verhandlungssituation als Entweder/Oder begreifen, so bleibt wenig Platz für Kreativität und Wahlmöglichkeiten. An dieser Stelle eine Weisheit, die Wahrheit birgt:

„Wissen und Liebe sind zwei Dinge, die sich vermehren, wenn man sie teilt.“ [5]

Vorstellung, dass andere ihre Probleme selbst lösen sollen

Es hat in einer Verhandlungs- oder Konfliktsituation zum Teil etwas Verräterisches an sich, wenn man über Möglichkeiten nachdenkt, die auch die anderen befriedigen. Man spürt Widerwillen, den Standpunkt der anderen anzuerkennen, geschweige denn, auch noch für sie Lösungen zu finden.

Und dennoch erweitert man ungemein den Horizont, wenn beide Seiten ihre Kreativität zusammenlegen und sie für beide Parteien nutzbar machen.

Grundlegendes zur kreativen Entwicklung von Wahlmöglichkeiten

  1. Der Entwicklungsprozess von Optionen muss vom Beurteilungsprozess derselben abgekoppelt sein.

  2. Ziel muss es sein, viele Optionen zu sammeln, statt nach der einen richtigen zu suchen.

  3. Ausschau nach Vorteilen für alle ist zentral.

  4. Es müssen Vorschläge entwickelt werden, die anderen die Entscheidung erleichtern.

Brainstorming

Der Klassiker der kreativen Entwicklungsmethoden kann ohne weiteres auch in der Verhandlungstechnik im Vorfeld angewandt werden.

Um über Dinge nachdenken zu können, die noch gar nicht bewusst in den Köpfen sind, ist es ratsam eine gute, bunte Mischung von Teilnehmer*innen zusammenzustellen. Es macht sogar Sinn, Leute um die Teilnahme an so einer kreativen Entwicklungssitzung zu bitten, die mit dem Problem gar nichts oder nur sehr peripher zu tun haben. Damit ist die Chance größer, schräge und andersartige Sichtweisen zu bekommen, aus denen vielleicht etwas völlig Neues entstehen kann.

Die Sitzung sollte zeitlich und örtlich von den Verhandlungen getrennt sein und in einem möglichst informellen Rahmen stattfinden. Die Sitzordnung sollte so angeordnet sein, dass die Leute nebeneinander sitzen können. Ein Gegenüber fördert immer den Dialog und könnte in Argumentieren ausarten.

Grundregel ist es, quasi im Feuerwerksverfahren Ideen auszusprechen, die einem gerade durch den Kopf gehen, ohne jeglichen Anspruch auf Durchführbarkeit, Güte, Neuheit und dgl. Es darf im Brainstormingprozess niemals Kritik oder Bewertung ausgesprochen werden, um den kreativen Fluss nicht zu behindern. Niemand muss so Angst haben, als schräger Vogel und Irrealist dazustehen. So wird eine maximale Trennung von Entwicklung und Bewertung garantiert.

Ein*e Moderator*in bekommt die Aufgabe sicherzustellen, dass die Regeln eingehalten und alle Ideen dokumentiert werden.

Nach der Brainstorming-Phase kann das Verbot der Bewertung nun gelockert werden, um die aussichtsreichsten Ideen nach Meinung der Gruppe markieren zu können. Achtung! Es ist hier noch nicht die Entscheidungsphase erreicht!

Darauf folgend wird nach Wegen gesucht, die markierten Ideen noch weiter zu verbessern, realistisch zu machen und so attraktiv wie möglich zu gestalten. Daran anschließend werden die Ideen gewichtet.

Dieses Bukett an Ideen nimmt man dann mit in die Entscheidungsphase, nämlich in die anstehende Verhandlung, um sie sachbezogen zu verhandeln.

Unter gewissen Umständen ist es eventuell möglich, ein Brainstorming mit der Gegenseite durchzuführen. Es sei allerdings auf die Gefahr hingewiesen, dass vertrauliche Informationen vorschnell herausrutschen oder Äußerungen als Vorentscheidung gesehen werden könnten.

Der Vorteil ist, dass dadurch Ideen produziert werden können, die den Interessen aller Beteiligten angenähert sind. Weiters kann die Atmosphäre einer gemeinsamen Problemlösung beziehungsfördernd wirken.

Das Kreisdiagramm

Das Kreisdiagramm ist eine Optionsentwicklungsmethode, die streng nach vier aufeinander folgenden Schritten verläuft. Dadurch sollen gute Ideen wiederum neue, andere Ideen hervorbringen. Zentral ist das Pendeln zwischen Besonderem und Allgemeinem.

Der erste Schritt bezieht sich auf die Beschreibung eines bestimmten Problems. Was ist falsch? Welche Symptome treten durch das Problem auf? Welche unerwünschten Tatsachen stehen einer erwünschten Situation gegenüber?

Der zweite Schritt bezieht sich auf die Analyse eines bestimmten Problems. Es wird diagnostiziert und die Symptome, warum es zum Problem geworden ist, werden aufgelistet; ebenso die Ursachen, Fehlendes und Hindernisse, warum es noch zu keiner Problemlösung gekommen ist.

Der dritte Schritt überlegt sich ein mögliches Vorgehen, dazu passende Strategien oder Rezepte. Dies ist der kreativste Schritt.

Der vierte Schritt schließlich beschäftigt sich wieder konkreter mit der Durchführbarkeit. Was könnte getan werden? Hier werden einzelne Schritte überlegt, die getan werden müssten, um den gewünschten Zustand zu erreichen bzw. das Problem zu lösen.

Das Kreisdiagramm

Eine Ausweitung des Kreativitätspotentials des Kreisdiagramms findet statt, wenn sich mehrere Personen Gedanken in dieser Schrittabfolge machen und dann über die verschiedenen Ergebnisse diskutieren.

Das World Café [6]

 . . . ist eine zugleich einfache und sehr wirkungsvolle Methode, um eine mittlere oder große Gruppe von Menschen in ein sinnvolles Gespräch miteinander zu bringen, zu einem gemeinsamen Thema das kollektive Wissen und die kollektive Intelligenz zutage zu fördern und dabei auch den Spirit der Gruppe zu revitalisieren.

Ein World Café ist sinnvoll, wenn

  • das Wissen und die Intelligenz vieler für ein komplexes Thema genutzt werden sollen
  • man will, dass “alle mit allen reden” und “alle zusammen denken”
  • die gemeinsame Sicht aller zu einem Thema oder einer Frage deutlich werden soll
  • ein Input von außen in einer Gruppe sinnvoll verarbeitet werden soll    
  • Die Methode des World Café fußt auf der zentralen Bedeutung des Gesprächs zwischen Menschen. Durch diese Gespräche findet intensiver Austausch zu einer Frage statt, es werden Realitäten neu interpretiert und Netze von Verbindungen geknüpft. Zukunft entsteht so – übrigens in jeder Organisation und überhaupt - aus einem Gewebe von Gesprächen.

Beim World Café werden Fragen diskutiert. In unterschiedlichen Gruppen und eventuell in einer bestimmten Reihenfolge von Fragen diskutieren alle über alle Fragen und tragen ihre Erkenntnisse zusammen.

Das World Café macht die gemeinsame Antwort aller Teilnehmer*innen aus diesen Fragen sichtbar. Auch wenn es in der Regel nicht darum geht, Maßnahmen zu erarbeiten, können doch schon in dieser Phase neue Handlungsmöglichkeiten erkannt werden.

Das Setting eines World Cafés ist sehr informell. Leitidee ist die entspannte Atmosphäre eines Straßencafés, in dem sich Menschen zwanglos unterhalten. Die Teilnehmer*innen sitzen in kleinen Gruppen an Tischen. Die zwanglose Atmosphäre und die kleinen Gruppen bewirken, dass alle beginnen, sich füreinander zu interessieren und sich wirklich zuzuhören. Sie verteidigen keine Positionen, sondern lassen sich auf ihre Gegenüber ein. Eine Person verbleibt während allen Runden an ein und demselben Tisch, während die übrigen nach 20 Minuten den Tisch wechseln. Die Gruppen sollten nach Möglichkeit immer wieder neu gemischt werden. Alle Gedanken werden auf eine „Papiertischdecke“ geschrieben und verbleiben am selben Tisch. Die folgende Gruppe kann dann daran anknüpfen.

An jedem dieser Thementische verbleibt ein*e Tischherr*dame, ohne sich inhaltlich einzubinden. Seine*ihre Aufgabe ist es vielmehr, darauf zu achten, dass die Ideen auch zu Papier gebracht werden und dass eventuell abschweifende Diskussionen wieder „eingefangen“ werden.

Nach Beendigung des aktiven Teiles des World Cafés werden die Informationen geclustert und dem Ziel des Workshops entsprechend an die Teilnehmer*innen zurückgespielt. Danach wird Raum für Diskussionen und Adjustierungen gelassen.

Als Ergebnisse werden gemeinsam mit den Teilnehmer*innen einige Hauptanliegen formuliert und festgeschrieben.

Kriterien: die Anwendung neutraler Beurteilungskriterien

Die Konfrontation mit widerstreitenden Interessen und Forderungen nach Zugeständnissen ist zentral in der Welt der Verhandlungen. Meist basieren diese Forderungen auf dem persönlichen Willen der Verhandlungsparteien. Will man nun nur seinen Willen durchsetzen, der auf subjektiven Kriterien aufgebaut ist, kann man nicht unbedingt mit einer für alle zufrieden stellenden Lösung rechnen. Dann geht es nur ums Gewinnen.

Der Weg aus dieser Sackgasse ist die Umlenkung des subjektiven Willens auf eine unabhängige Basis bestehend aus objektiven Kriterien. Wenn man sich z. B. mit einer Versicherung über eine Entschädigung für ein Auto streitet, weil die Versicherung offensichtlich versucht, sie so gering wie möglich zu halten, so ist es ratsam, sich auf Rechtsnormen und allgemeingültige Regeln in Bezug auf Entschädigungszahlungen zu stützen. So wird der Druck aus der Verhandlung genommen, die Objektivität wird maximiert und die Wahrscheinlichkeit, am Ende zu einem fairen Ergebnis zu gelangen, steigt.

Nehmen wir mal an, dass im obigen Fall der Entschädigungszahlung der gesetzliche Rahmen Entscheidungsspielräume offen lässt. Im Sinne des dritten Grundmerkmales des sachbezogenen Verhandelns, möglichst viele Optionen zu entwickeln (siehe Kap. 2.4), sollte man verschiedene Maßstäbe im vorhinein überlegen, wie z.B.:

  • Neuwert minus Abnutzung
  • Verkaufswert
  • Wiederbeschaffungswert

Die hierzu passenden neutralen Beurteilungskriterien, die in die Verhandlung mitgenommen werden sollten, wären z. B.:

  • Marktwert
  • Frühere Vergleichsfälle
  • Wissenschaftliche Gutachten
  • Mögliche Gerichtsurteile
  • Kriterien von Sachverständigen

Unabdingbar ist, dass diese objektiven Kriterien unabhängig vom Willen der Verhandlungsparteien sind, d.h. am besten gesetzlich oder allgemein gültig ethisch legitimiert und auch praktisch anwendbar.

Um objektive Kriterien in die Verhandlung einbringen zu können, ist die entschiedene Festlegung, die Objektivität anzunehmen und gleichzeitig in der Verwendung der Kriterien flexibel zu bleiben, zentral.

Die Umlenkung eines Streitfalles auf die Suche nach objektiven Kriterien hat schon so manchen Druck aus einer festgefahrenen Verhandlungssituation genommen. Die Frage als Reaktion auf eine Forderung, wie denn diese zustande gekommen sei, macht die Möglichkeit auf, sich gemeinsam auf die Suche nach Objektivität zu begeben. Das impliziert natürlich, dass es nicht die eigenen Kriterien sein müssen, die zur Anwendung kommen. Jede*r Verhandlungspartner*in kann ebenso mit einer Auswahl in das Gespräch gehen. Dann sollte es das Ziel sein, jenes Kriterium zu finden, dass für beide fair und daher akzeptabel ist. Sollte das bilateral nicht möglich sein, so empfiehlt es sich, eine dritte Person hinzuzuziehen, wo sich im Vorfeld darüber geeinigt wird, deren Entscheidung über das fairste Kriterium dann anzunehmen.

Zusätzlich zu den drei vorangegangenen Grundhaltungen des sachbezogenen Verhandelns verleiht die Stütze auf objektive Kriterien zusätzlich Macht durch Legitimation und es fällt leichter, keinesfalls subjektivem Druck nachzugeben. Man sollte sich nur vernünftigen Prinzipien unterwerfen. Das machtvollste Element ist, um nicht mehr zu bitten, als das was objektiv und fair ist.

Im Anschluss ein sehr plakatives Beispiel zum Verständnis, wie sachbezogenes Verhandeln ablaufen könnte:

Versicherungsvertreter (VV):

„Wir haben Ihren Fall geprüft und sind zu der Entscheidung gekommen, dass Ihre Polizze den Unfall deckt. Sie bekommen eine Entschädigung von € 8.500,--„

Hr. Meier (M):

„Wie sind Sie auf diese Summe gekommen?“

VV: „Das entspricht der Höhe, auf die wir Ihren Wagen schätzen.“

M: „Das verstehe ich, aber nach welchen Kriterien setzen Sie diese Höhe üblicherweise fest? Können Sie mir sagen, wo ich für den Preis einen vergleichbaren Wagen kaufen kann?“

VV: „Wie viel wollen Sie den an Entschädigung?“

M: „Genau so viel, wie die Polizei es vorsieht. Ich habe einen Wagen gefunden, der meinem früheren entspricht, und der € 9.500,-- kostet.“ Inklusive aller Gebühren und Steuern sind das über € 10.000,--.“

VV: „€ 10.000,--! Das ist zu viel!“

M: „Ich fordere nicht € 10.000,-- oder € 9.500,-- oder € 8.500,--, sondern eine faire Entscheidung. Sind Sie der Meinung, dass es nur fair ist, wenn ich genug bekomme, um den Wagen zu ersetzen?“

VV: „Einverstanden. Ich biete Ihnen € 9.000,-- an. Das ist das Höchste, was ich Ihnen geben kann. Das entspricht den Gepflogenheiten der Versicherung.“

M: „Nach welchen Kriterien berechnet die Versicherung das?“

VV: „Schauen Sie, das ist absolut die oberste Grenze. Nehmen Sie es oder lassen Sie es.“

M: „Ich weiß nicht genau, ob € 9.000,-- fair sind. Ich kenne mich da nicht aus. Ich verstehe Ihre Position, wenn Sie an die Gepflogenheiten Ihrer Firma gebunden sind, aber solange Sie mir nicht objektiv sagen können, warum gerade diese Summe berechtigt ist, werde ich wohl die Sache doch vor Gericht weiterverfolgen. Vielleicht sollten wir es aber noch einmal durchsehen und einen weiteren Gesprächstermin ausmachen?“

VV: stimmt zu

VV: „Hr. Meier, ich habe heute eine Anzeige in der Zeitung gefunden, ein Auto wie Ihr früheres, für € 8.700,--„

M: „Aha, wie viele Kilometer hat er?“

VV: „73.000. Warum?“

M: „Meiner hatte erst 24.000. Welcher Wertminderung entspricht das in Ihren Richtlinien?“
VV: „Mal sehen. € 450,--.

M: „Nehmen wir Ihre € 8.700,-- als Grundpreis, dann macht das nun € 9.150,--. Steht etwas über ein Radio?“

VV: „Nein.“

M: „Was macht das nach Ihren Richtlinien aus?“

VV: „€125,--„

M: „Klimaanlage?“

Eine Stunde später kam Hr. Meier mit einem Scheck über € 10.250,-- aus der Versicherungsanstalt heraus.

Zusammenfassung

Die Verhandlung ist eine allgegenwärtige, zutiefst menschliche Erscheinungsform des Gespräches, sowohl in beruflicher, gesellschaftspolitischer und privater Hinsicht. Schon die Kinder lernen schnell zu verhandeln und sei es nur um einen Bissen Schokolade oder um ein paar Minuten Fernsehzeit.

Was ist nun das Geheimnis erfolgreicher Verhandlungen? Was macht einen zum*zur besten Verhandler*in?

Sind es Übung oder Taktiken, Schlüsselwörter oder psychologische Reizungen beim Gegenüber, die einen eine Verhandlung „gewinnen“ lassen?

Sämtliche ernstzunehmende Arbeiten auf diesem Gebiet gipfeln im sogenannten „Harvard-Prinzip“, das von den amerikanischen Wissenschaftlern Fisher, Ury und Patton bereits Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt und seitdem immer wieder verfeinert wurde.

Kurz erklärt geht es darum, sich bewusst zu machen, dass es beim Verhandeln sicher in Sackgassen endet, wenn man nur um Standpunkte und Positionen feilscht und um den eigenen Vorteil kämpft. Sichtweisen und unerkannte Möglichkeiten bleiben im Dunkeln und im schlimmsten Fall werden auch die emotionalen Beziehungen der Gesprächspartner*innen zerstört.

Das „Harvard-Prinzip“ empfiehlt das sogenannte „sachbezogene Verhandeln“, d.h. die Trennung von Inhaltsebene und Verhandlungsprozess ist hier zentral. Es stützt sich dabei auf 4 Grundprinzipien:

  1. Menschen und Probleme getrennt voneinander betrachten, d.h. weitgehend versuchen, die inhaltliche Sachebene von der emotionalen Ebene getrennt voneinander zu behandeln, um so gegenseitig negative Einflüsse zu verhindern. Kooperation, nicht Konfrontation zur Lösungsfindung ist hier das Schlagwort.

  2. Konzentration auf Interessen, nicht Positionen, d.h. der Versuch, die Sicht auf die wirklichen Interessen der Gesprächspartner*innen freizulegen, um eventuell faule Kompromisse zu vermeiden und sogar noch bessere Lösungen zu finden, als anfangs angenommen wurde.

  3. Entwicklung von Optionen zum beiderseitigen Vorteil, d.h. auch unter Druck sich es sich nicht nehmen zu lassen, noch mehr Alternativen zu suchen und sich Wahlmöglichkeiten offen zu lassen, um die Lösungsfindung zu optimieren.

  4. Heranziehung von neutralen Beurteilungskriterien, um Willkür weitgehend einzudämmen. Die Anwendung von allgemeingültig fairen Maßstäben garantiert beiden Parteien die Wahrung ihrer Gesichter. Faire Verhaltensweisen sind so die Folge.

Reflexionsfragen

Welche Elemente zeichnen eine Verhandlung aus?

Vier Elemente des Harvard-Prinzips

Beschreiben Sie kurz jedes der vier Elemente des sachbezogenen Verhandelns des Harvard-Prinzips.

  1. Vgl., Fisher, Ury, Patton, 1991
  2. Vgl. Fisher, Ury, Patton, 2004
  3. Fisher, Ury, Patton, 2004, S.36/37
  4. Fisher, Ury, Patton, 2004, S. 89
  5. Autor unbekannt
  6. Vgl. Perg, 2006