Management und Organisation - Der gerechte Chef

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Der gerechte Chef

In dieser Lektion lernen Sie die unterschiedlichen Formen der Gerechtigkeit. Kennen Sie schon? Natürlich kennen Sie das schon. Sie wissen nur ev. noch nicht woher und in welcher Form Sie das kennen. Und welche Rolle es in Organisationen spielt – eine große nämlich, denn es beeinflusst jede Menge Management-Entscheidungen und hat einen starken Impact auf die Unternehmenskultur.


Menschen, die Führungsarbeit leisten, werden täglich vor Probleme gestellt. Eine Anforderung besteht darin, ein*e „gerechte*r Chef*in “zu sein. Kein*e Mitarbeiter*in will „ungerecht“ behandelt werden. Worin liegt nun das Geheimnis der „Gerechtigkeit“ - und: wie zum Teufel hat Salomon das geschafft?
Sehen wir uns als Beispiel die Geschichte vom „Verlorenen Sohn“ aus der Bibel an - hier nur in stark verkürzter Fassung.
Ein Vater hatte zwei Söhne. Der erstgeborene war ein fleißiger Jüngling, der dem Vater am Feld brav zur Hand ging. Der jüngere war ein Taugenichts, der sich am liebsten mit Freunden herumtrieb und sich im Hause nahm, was er brauchte. Eines Tages ging der jüngere Sohn von zu Hause fort. Er nahm sich Geld mit, Kleidung und Essen, während der ältere Sohn daheim blieb und dem Vater weiterhin eine große Hilfe war.
Viele Jahre vergingen, der Vater und die Mutter waren inzwischen alte Leute, da klopfte es eines Abends an der Tür und der jüngere Sohn trat ein. Er war heruntergekommen und hatte offensichtlich schon lange nichts gegessen. Nachdem ihn die Familie willkommen geheißen hatte, verlangte der jüngere Sohn nach seinem Erbe. Vater und Mutter berieten sich und gaben schließlich dem jüngeren Sohn all das Geld, das sich im Laufe der Jahre reichlich angesammelt hatte - nicht zu letzt durch die Mithilfe des älteren Sohnes. Dieser war ob der Verteilung des Erbes erzürnt.

Wie die Geschichte ausgeht, ist in der Bibel zu lesen - hier interessiert uns die Frage nach der Gerechtigkeit. Warum hat der jüngere Sohn, der nie mithalf und keinerlei Leistung vollbracht hatte, das gesamte Erbe bekommen? Warum war es nicht zwischen den Söhnen aufgeteilt worden? Es war ja schließlich nicht die Schuld der Familie, dass der jüngere Sohn in der Fremde alles verprasst hatte.
Wer stimmt mit ein, wenn wir schreien: DAS IST UNGERECHT!?
Sehen wir uns zur Beantwortung der Frage nach der Gerechtigkeit einmal an, was die Söhne auszeichnet: Der ältere ist fleißig, er erbringt regelmäßig LEISTUNG für die Familie. Der jüngere Sohn ist faul und sticht dadurch heraus, dass er an die Familie mit BEDÜRFNISSEN herantritt. Es gibt nun mehrere Formen der Gerechtigkeit, die auch in modernen Unternehmen unterschieden werden müssen:


1. DIE LEISTUNGSGERECHTIGKEIT
Sie ist die vorherrschende, „gefragte“ Form in Hierarchien. Die Belohnungen - meistens Geld, aber auch, sehr modern, „Incentives“ – werden an den*diejenigen vergeben, der*die die beste Leistung gebracht hat: am meisten verkauft, die motiviertesten Mitarbeiter*innen, die schnellste Projektorganisation usw. Diese Form der Gerechtigkeit eignet sich gut, um das Konkurrenzprinzip zu fördern. Das „Gegeneinander“ wird geschürt, denn nur der*diejenige, der*die besser ist als der*die andere (oder auch als eine fiktive Vorgabe) erhält die Belohnung. Die Leistungsgerechtigkeit ist ein männliches, väterliches Prinzip.


2. DIE BEDÜRFNISGERECHTIGKEIT
Eine Mutter gibt demjenigen ihrer Kinder am meisten zu essen, das den größten Hunger hat - ein vor allem unter Menschen zu beobachtendes Phänomen, das vor allem dann seine Gültigkeit hat, wenn genug Ressourcen vorhanden sind, um alle Kinder ernähren zu können. Die Mutterbrust bekommt derjenige gereicht, der ihrer bedarf - nicht der*diejenige, der*die am meisten „leistet“.
Dieses Prinzip ist in Hierarchien nur selten zu finden, in Gruppen häufiger, da dort alle Mitglieder ein wertvoller Bestandteil der Gruppe sind, um deren Erhalt man sich gemeinsam kümmern muss.
Die Bedürfnisgerechtigkeit ist ein weibliches, mütterliches Prinzip.

Wenn es nur Leistungs- und Bedürfnisgerechtigkeit gäbe, so hätte die moderne Form des menschlichen Zusammenlebens nur wenige Chancen zu bestehen. Unter Menschen, die nur nach dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit leben, lautet das Motto: „es ist gerecht, wenn der Stärkere alles bekommt“ - der Schwächere muss dem Stärkeren weichen, bekommt gar nichts und stirbt.
Diese Form der „Gerechtigkeit“ wird mittels Gewalt durchgesetzt und zeichnet sich durch einige Nachteile aus, die die Menschen dazu veranlasst haben, ein weiteres Prinzip der Gerechtigkeit einzuführen:
a. Der*die Schwächere hat oft Informationen, Können oder Wissen, das für das Überleben der anderen (Gruppenmitglieder) wichtig ist.
b. Eine Weiterentwicklung der Konfliktlösungsmöglichkeiten ist nur dann möglich, wenn die Gewalt in „geordnete Bahnen“ geleitet wird.
c. Wenn genug Ressourcen vorhanden sind, macht es wenig Sinn, wenn der*die Stärkere alles besitzt.
Die Menschen entwickelten das Konfliktlösungsmodell der Hierarchie, die „Delegation“. Diese ist jedoch nur durchzusetzen, wenn man die Menschen zwingen kann, all ihre Konflikte an die höhere Instanz zu delegieren. Dazu wurde das „Gewaltmonopol“ erfunden - Polizei, Gerichte und Gefängnisse sind moderne Manifestationen dieses Prinzips.
Wenn der*die Richter*in entscheidet, dann haben wir hier die dritte Form der Gerechtigkeit:


3. DIE GESETZESGERECHTIGKEIT
Das Gesetz entscheidet, wer wann was bekommt.
Dies ist ebenfalls ein männliches, hierarchisches Prinzip. Meist gibt es in einer Firma klare Regelungen, die ebenso klar missachtet werden. Offiziell bekommen alle den gleichen Bonus, aber der Ferdinand darf nächstes Jahr die besseren Dienstreisen machen. Offiziell, laut Qualifikation und Erfahrung müsste die Dagmar die nächste Projektleiterin sein, de facto wird es die Doris.
Gesetz bedeutet in diesem Fall firmeninterne Regelung, manchmal aber auch tatsächlich gesetzliche Regelung, etwa wenn der Staat eine gewisse Quote vorgibt oder Kollektivverträge einzuhalten sind.
In Organisationen ist es notwendig, alle drei Gerechtigkeiten im System irgendwo verankert zu haben, um bei gegebenem Anlass darauf zurückgreifen zu können.
Ein*e gute*r Chef*in muss die Balance zwischen diesen drei Formen der Gerechtigkeit wahren können – und die Ausübung aller drei Formen beherrschen. Das ist die Kunst des Managements in Organisationen.

Aufgabe 5

Auch hier geht es wieder darum, Ihre Erinnerung zu strapazieren.
1. Beschreiben Sie eine Begebenheit aus ihrem beruflichen Alltag, wo der*diejenige am meisten bekommen hat, der*die der*die Beste war:
2. Beschreiben Sie eine Begebenheit, wo der*diejenige am meisten bekommen hat, der*die am meisten brauchte:
3. Beschreiben Sie eine Begebenheit, wo derjenige Recht bekommen hat, der sich nach den Vorschriften verhalten hat:
4. Wo würden Sie sich selbst einschätzen? Welche der drei Formen bevorzugen Sie und warum? Welche hat sich eventuell in Ihrer eigenen beruflichen Laufbahn bewährt? Bringen Sie bitte Argumente dafür und dann – das ist der schwierigere Teil der Aufgabe – suchen Sie bitte Argumente, die gegen Ihre Argumente sprechen.
Wofür das gut ist? Für die eigene Fähigkeit, die individuellen Grenzen zu erkennen. Gerade im Bereich der Suche nach Gerechtigkeit gibt es oft kein richtig und falsch, sondern es ist notwendig, zwei Seiten gegeneinander abzuwägen, und dann eine Entscheidung zu treffen.


Das ist Management und daher nicht immer leicht. Deshalb bekommen Manager*innen auch oft mehr bezahlt als andere Menschen, weil sie vor Entscheidungen gestellt werden, die eben nicht eindimensional zu treffen sind. Vielfach sind dann auch die Auswirkungen zu managen und die Auswirkungen der Auswirkungen.