Management und Organisation - Entwickungsphasen von Organisationen
Entwickungsphasen von Organisationen
Menschen gründen Organisationen, sie betreiben sie, entwickeln sie, leben und leiden in und mit ihnen und sie richten sie auch zugrunde. Organisationen sind menschlich, sie gehören zu uns und wir zu ihnen. Ähnlich wie Menschen z. B. Autos nach biomorphen Modellen bauen (der Motor ist z. B. das Herz, und wenn er stehen bleibt, dann sagen wir „Der Motor ist mir abgestorben“, obwohl er nie gelebt hat, weil er nicht organisch ist. Die Scheinwerfer sind die Augen, deswegen hat jedes Auto zwei und nicht eines oder drei etc.), entwickeln wir auch Organisationen anhand bestimmter Strukturen, die aus unserer eigenen Lebenswelt kommen. Organisationen machen auch bestimmte Phasen durch, und die wollen wir uns in einem Modell näher ansehen. Die folgenden Organisationstypologien beschreiben die Entwicklung von Organisationen im Zeitverlauf. Dabei lassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln Veränderungen feststellen. Personen treten ein, verändern sich, scheiden aus; neue Technologien kommen zur Anwendung und bedingen Veränderungen der Arbeitsorganisation, Leistungssortimente und Kundengruppen verschieben sich etc. In diesem Abschnitt interessiert die Frage, ob es im Laufe des Bestehens einer Organisation Phasen gibt, in welchen Veränderungsbedürfnisse gebündelt auftreten. Wie lässt sich erkennen, dass eine Organisation in ein krisenhaftes Stadium gerät? In der Organisationsforschung gibt es eine Reihe beschreibender Modelle, die in einer idealtypischen Form Bestehen und Veränderung von Organisationen abbilden. Organisationale Probleme lassen sich nach diesen Modellen in bestimmten, „normalen“ Krisen im Laufe eines „Organisationslebens“ zusammenfassen. Diese Modelle gehen von folgenden Prämissen [1] aus:
- Organisationen tragen eine gerichtete, irreversible, immanente Entwicklungslogik von Gründung in sich. Kontextfaktoren spielen dabei in den meisten Modellen eine untergeordnete Rolle. Meist wird die Umwelt als anonyme Kraft gesehen, die Gestaltveränderungsprozesse der Organisation induziert.
- Die Veränderung von Organisationen besteht aus einer konsekutiven Abfolge von Entwicklungsphasen, d. h. jedes Stadium ist aus den vorangegangenen Bedingungen heraus beschreib- und erklärbar.
- Die einzelnen Entwicklungsstadien sind durch bestimmte „Konfigurationen“ markiert. Dazwischen gibt es mitunter Phasen des Umbruchs, der Krise. Der gesamte Entwicklungsprozess folgt einem biologischen Muster von „Geburt“ über „frühe Reife“ und „Reife“ zum „Tod“. Regenerationen sind dabei jedoch meist vorgesehen.
Das Entwicklungsmodell von Glasl/Lievegoed [2] definiert vier Phasen (Tabelle 4). Den einzelnen Phasen werden dabei jeweils Organisationsmetaphern zugeordnet: Familie, Apparat (Maschine), Organismus und Glied im Biotop. An den Übergängen der Phasen tritt eine Zeit der Neuorientierung der Organisation auf, die zumeist mit krisenhaften Erscheinungen einhergeht.
Pionierphase: Das Unternehmen als Familie oder Stamm
In dieser Phase wird die Unternehmung von der Pionierpersönlichkeit, meist dem*der Gründer,in geprägt. Alles ist rund um einige wenige Personen aufgebaut. Idealiter treten dabei folgende Charakteristika auf:
Image, Sinn und „Leitbild“ des Unternehmens werden geprägt von einer – zumeist nicht ausgesprochenen – „Vision“ der Pionierpersönlichkeit.
- Ziele, Sinn und Zweck der Arbeit sind für jeden deutlich sichtbar.
- Im Pionierbetrieb dominieren Intuition und Fingerspitzengefühl.
- Die Mitarbeiter*innen sind alle direkt dem*der Chef*in unterstellt.
- Die Funktionen wachsen um die Personen herum („Wildwuchs“).
- Das Pionierunternehmen ist wie eine „große Familie“.
- Die Organisationsmitglieder pflegen intensive und direkte Kontakte – sowohl unter sich als auch mit der Umwelt des Unternehmens.
- Der direkte Kontakt der Mitarbeiter*innen mit dem*der Chefin*in ist die Basis für Motivation.
- Die Führung ist charismatisch und autokratisch. Dies wird von den Mitarbeiter*innen im Großen und Ganzen akzeptiert.
- Im Grunde kennt jeder jeden und weiß, welche Bedeutung er im Ganzen hat.
- Es wird kaum geplant, sondern zumeist improvisiert. Dadurch ist das Pionierunternehmen sehr flexibel und effizient.
- Der Kontakt zu Kund*innen ist sehr intensiv und direkt. Man geht grundsätzlich auf alle Sonderwünsche ein und ist den Kund*innen treu. („Der Kunde ist König.“)
- Marketingaktivitäten erfolgen zumeist ungeplant und ohne vorher-gegangene Marktanalysen.
- Das Rechnungswesen ist zumeist nur soweit ausgebaut wie (aufgrund der Steuergesetze) notwendig; d. h., es erfüllt nur dokumentarische Funktionen.
Krisenerscheinungen der Pionierphase: Die Symptome eines überreifen Pionierbetriebes sind Störungen in der Kommunikation: Man hat die Übersicht verloren, es fehlt an orientierenden Strukturen; man weiß nicht mehr, wer wofür zuständig ist. Dadurch wird die Entscheidungsfähigkeit gehemmt, die Wendigkeit der Organisation nimmt ab.
Entscheidungen werden zu lange aufgeschoben, weil man sich in allem der Zustimmung „des alten Herren“ vergewissern will. Die direkte Führung jedoch ist nicht mehr wirksam, weil viele Angelegenheiten komplexer geworden sind. Es lässt sich nicht alles über den Daumen peilen oder aus der direkten Erfahrung heraus beurteilen. Unter den Mitarbeiter*innen treten Kompetenz- und Machtkämpfe auf, Konflikte und Reibungen bleiben dem*der Pionier*in jedoch verborgen. Faktoren, die zu dieser Situation beitragen, sind:
- starkes Wachstum hinsichtlich der Anzahl der Mitarbeiter*innen, des Umfanges der Produktion und der Ausdehnung des Marktes
- Kapitalmangel
- Nachfolgeprobleme
- Emanzipation der Mitarbeiter*innen
Der direkte Übergang von der Pionierphase in die Integrationsphase ist nach ursprünglicher Auffassung des Modells nicht möglich. Das Durchlaufen der Organisationsphase sei zur Erlangung von Erfahrungen erforderlich, ohne die der Weg in die Integrationsphase verschlossen bleibe. Dieser Auffassung entgegenstehende Beobachtungen lassen sich jedoch insbesondere in innovativen Organisationen machen. Dort sind vielfach bereits nach einer relativ kurzen Pionierphase Strukturen zu erkennen, die als Kennzeichen der Integrationsphase gelten: starke Corporate Identity, Teamorganisation, Mitgestaltung der Mitarbeiter*innen etc.
Organisationsphase (=Differenzierungsphase): Das Unternehmen als konstruierter Apparat
In dieser Phase bemüht sich das Unternehmen um Transparenz, Systematik, Logik und Steuerbarkeit. Die Unternehmung soll nach den Prinzipien Mechanisierung, Standardisierung, Spezialisierung und Koordinierung „durchkonstruiert“ werden. Die Organisation wird als steuerbare, beherrschbare und kontrollierbare „Maschine“ angesehen. Dementsprechend steht betriebswirtschaftliches und technisches Denken im Vordergrund. In der Struktur der Organisation findet funktionale Säulenbildung (Verwaltung, Produktion, Verkauf usw.) statt. Abläufe werden weitgehend standardisiert. Weitere Kennzeichen dieser Phase sind:
- produktorientiertes Denken
- Marktforschung
- Bereinigung der Produktpalette (Standardisierung)
- aggressive Marktpolitik und ein anonymer Markt
- ein klares Kommunikations- und Berichtswesen wird installiert
- Analyse von Arbeitsabläufen und Festhalten an formellen Anweisungen
- wirtschaftliche Unternehmensführung
- Statistiken
- Kostenrechnung, Budgetierung, Abweichungsanalysen
Krisenerscheinungen der Organisationsphase
- Erstarrung: Es tritt Beamtenmentalität auf. Verfahren werden wichtiger als Ziele und Ergebnisse.
- Abteilungsdenken: Führungskräfte und Mitarbeiter*innen, die Sinn, Ziel und Zusammenhang des Ganzen nicht mehr sehen oder erleben, ziehen sich in die eigene Abteilung zurück und bringen kein Verständnis für den*die Nachbar*in auf (horizontal und vertikal).
- Koordinationsschwierigkeiten: Die Abteilungsbezogenheit (unzureichende horizontale Kommunikation) führt dazu, dass der Aufwand, um alles koordinieren zu können, stets größer wird („Papierkrieg“).
- Zentrale Führung: Die vertikale Kommunikation wird immer mehr beansprucht und überfordert. Verantwortung wird nach oben geschoben, weil man auf den unteren Ebenen mangels Einsicht die Verantwortung scheut. Dies führt zu einer Konzentration der Verantwortung bei höheren Ebenen und damit zurück zur „Kopflastigkeit“ der Pionierphase.
- Stab-Linien-Differenzen: Die Stab- und Linienkonzeption, die anfänglich zu klaren Aufgaben und Befugnissen geführt hat, kann dazu führen, dass der*die Stabsangehörige der*diejenige ist, der eigentlich Bescheid weiß, ohne direkt entscheiden zu können, und der*die Linienchef*in entscheidet, ohne Bescheid zu wissen.
- Motivationsprobleme aufgrund der Zersplitterung der Aufgaben, der vielfältigen Regelungen und der hierarchischen Prinzipien;
- Durch überkonsequente Spezialisierung fühlen sich die Mitarbeiter*innen als Nummern, als anonyme Räder der „Organisationsmaschine“ und verhalten sich auch so. Durch das einseitige technische Denken ist der menschliche Aspekt vernachlässigt worden.
Integrationsphase: Das Unternehmen als lebendiger Organismus
Um aus der Erstarrung zu kommen, die sich in der überreifen Organisationsphase verbreitet hat, müssen die Beziehungen zwischen Menschen, Gruppen (Abteilungen) und größeren Einheiten neu gestaltet werden. Das Bild der Organisation in der Integrationsphase lässt sich folgendermaßen beschreiben: [3]
- Das Handeln der Organisationsmitglieder orientiert sich nicht primär an der produzierten Leistung, sondern am Problem des*der Kund*in.
- In die Entwicklung eines gemeinsamen Selbstverständnisses (Leitbild, Corporate identity, „Mission“) wird viel investiert. Dabei übernehmen die Mitarbeiter*innen eine aktive Rolle.
- Das Gesamtunternehmen wird in kleine, eigenverantwortliche Einheiten strukturiert. Zentrale Stabsstellen reglementieren nicht, sondern bieten Dienstleistungen an, die es den einzelnen Einheiten erlauben, ihre Eigenverantwortung besser wahrzunehmen.
- Die Führung ist unterschiedlichen Anforderungen und Möglichkeiten angepasst und begünstigt Teamarbeit sowie eine hohe Beteiligung der Mitarbeiter*innen an Entscheidungen, aber auch am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Durch ständige Schulungs- und Entwicklungsmaßnahmen wird die Entfaltung der Mitarbeiter*innen und damit die Entwicklung des Unternehmens gefördert.
- Mensch und Arbeit stehen nicht in Gegensatz zueinander, sondern befruchten einander.
- Die Mitarbeiter*innen sind nicht auf reine Ausführungshandlungen beschränkt, sondern gestalten Aufbau- und Ablauforganisation mit. Nur dadurch können sie auch mit verantworten.
- Die kleinen organisatorischen Einheiten richten sich auf eigene Produktgruppen oder Marktsegmente. Die Organisation wird dadurch flexibel und kundenbezogen gestaltet.
- Innovationen finden auf Basis von Marketingkonzepten statt.
- Das Rechnungswesen dient dem Unternehmen als Informationsquelle für Entscheidungen.
Assoziationsphase: Das Unternehmen als Glied im Biotop
In einer Überarbeitung am Beginn der neunziger Jahre wird das Modell um eine vierte Phase erweitert, die den Blick auf die Handhabung der Organisationsumwelt lenkt [4] . Konzentrieren sich die Beschreibungen der Integrationsphase noch stark auf das organisationsinterne Geschehen, geht es im Rahmen der „Assoziationsphase“ vor allem um die Vernetzung von Organisationen mit den Umwelten. Mit Assoziationen sind dabei längerfristige Kooperationen mit anderen Organisationen gemeint: In Forschung und Produktentwicklung, mit Lieferant*innen, in der Produktion und mit Vertriebspartner*innen. Wie in der Integrationsphase Netzwerke der internen Zusammenarbeit geflochten werden, geschieht dies nun auf überbetrieblicher Ebene. Die Grenzen der Organisation verschwimmen zunehmend: Organisationsinterne Kund*innen sollen im Wert überbetrieblichen Kooperationspartner*innen gleichgestellt sein, Funktionen, die nicht nahe dem eigenen Leistungserstellungsprozess sind, werden anderen Unternehmen übertragen (Outsourcing), Vertriebspartner*innen werden als wichtiger Zugang zu Kunden*innen gesehen. Zweifellos ist mit der zunehmenden Bedeutung und Handhabung der überbetrieblichen Zusammenarbeit ein zentraler Trend in der Organisationsforschung angesprochen. Mit Glasl/Lievegoed lassen sich folgende Charakteristika der Assoziationsphase zusammenfassen:
- Ausrichtung der Organisationsstrukturen an definierten Kern- und Zulieferprozessen;
- Intensive Zusammenarbeit mit anderen Organisationen erfordert eine fast ständige Arbeit an der eigenen Identität. Die Position im Unternehmensnetzwerk wird über den Nutzen der Zusammenarbeit in Dialogform definiert;
- Durchlässige Grenzen der Organisation, interne und externe Vernetzung relativ selbststeuernder Bereiche, Nahtstellenorgane (z. B. Auftragsprozessmanager*in) mit Externen;
- Fördernde Personalpolitik, Personalentwicklung auch organisationsübergreifend, externe Jobrotation sowie Teamarbeit;
- In der Ablauforganisation erweitertes Prozessdenken, Selbststeuerung, Nahtstellen-Management, Verzicht auf Pufferzonen und Sicherheitsnetze („Just in time“);
- Integration von Mensch und Technik, möglichst sparsamer Einsatz von Raum und Kapital.
Mit Ausnahme des nach außen gerichteten Fokus lassen sich jedoch auch viele Merkmale der Integrationsphase in die Assoziationsphase übertragen. Sehr radikal scheint der Übergang von einem „lebenden Organismus“ zu einem „Glied im Biotop“ nicht zu sein. Bezeichnenderweise wird auch zwischen den beiden Phasen keine weitere Organisationskrise beschrieben.
Aufgabe 8
Denken Sie an die Organisation, in der Sie gerade arbeiten oder an die letzte, in der Sie tätig waren. Sie können auch eine andere aus der Vergangenheit nehmen, etwa eine, in der Sie besonders gerne tätig waren. Folgende Fragen sind hier interessant:
1.) Welche der Phasen waren dort erkennbar? In welcher Phase hat sich das Unternehmen gerade befunden oder befindet sich derzeit?
2.) Gab es eine Krise, die auf einen Phasenwechsel hindeutet? Wie sah diese aus und wie wurde sie gemeistert?
- ↑ Türk 1989, S. 60
- ↑ Glasl/Lievegoed 1993, S. 100
- ↑ Die Organismusmetapher wird hier in einem etwas anderen Sinn als im Open systems approach verwendet. Während sie dort in Verbindung mit Evolution bzw. Anpassung an Umweltbedingungen und damit Offenheit markierend verwendet wird, wird hier im Sinne des Burns/Stalker‘schen (1961) „organischen” Modells eher ein interner Bezug auf Dezentralisierung, Teamentwicklung, partizipative Führung, Identitätsrekonstruktion etc. hergestellt.
- ↑ Glasl/Lievegoed 1993, S. 99 ff.