Management und Organisation - Organisationstypen

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Organisationstypen

Nach den Phasen sehen wir uns jetzt noch die Typen an. Auch sie sind sehr „menschlich“ und lassen sich in mehr oder weniger allen Organisationen finden. Das hier vorgestellte Modell knüpft an bekannte Begrifflichkeiten an: Bürokratie, Projekt und Adhocratie. Nun werden diese Begriffe jedoch für die Charakterisierung von Organisationen verwendet und um einen weiteren ergänzt: Die Expedition.

Typ 1: Bürokratische Struktur

Bürokratien haben bekanntlich ihre Stärke in der Stabilität. Die Mächtigkeit stabilisierender Strukturen gegenüber den Ideen Einzelner ist theoretisch wie empirisch einleuchtend. Wer jemals versucht hat, eine Bürokratie zu organisieren, kennt die Kraft dieser Strukturen. Der Zugang Niklas Luhmanns, die Personen außerhalb des Systems zu sehen, eröffnet uns erst den klaren Blick auf die Strukturen. Bürokratien sind Sozialstrukturen miteinander verknüpfter Positionen. Bürokratien sind der Prototyp nichtlernender Organisationen. Dort sind die Personen vergleichsweise weit „draußen“. Daher sind die Strukturen dominant und mit den innengerichteten Zielen Selbstreproduktion und Existenzsicherung (Wachstum) beschäftigt. Organisationsstrukturen sind enttäuschungsresistent. D. h. sie werden auch im Enttäuschungsfall aufrecht erhalten. Damit sind Strukturen, insbesondere normative, grundsätzlich lernresistent. Personen haben diese Positionen regelkonform auszufüllen. Wie kann aber das Positive an der Bürokratie erhalten werden und sie gleichzeitig mobilisiert werden? Eine Voraussetzung dafür ist die Erfahrung der Organisation, dass es auch andere Modalitäten des Funktionierens gibt: In anderen Organisationen, in anderen Kontexten der eigenen Organisation wie z. B. in Projektteams. Zur Gewinnung derartiger Erfahrungen braucht es „neue Räume“, also Gelegenheiten, andere Organisationen und andere Denkweisen kennenzulernen bzw. zu entwickeln: Exkursionen zu anderen Organisationen, neue Aufgabenstellungen in nichtbürokratischen Strukturen, Großgruppenveranstaltungen etc. Am Ende dieses Entwicklungsprozesses steht eine Bürokratie, die zwischen unterschiedlichen Funktionsweisen differenzieren kann und erkennt, in welcher Situation welcher Modus vivandi angemessen ist. Empirisch lassen sich derartige Bürokratien beispielsweise in der Flugsicherung beobachten. Im Routinebetrieb ist der Lotse an strikte, bürokratische Procedere gebunden. Im Gefahrenbetrieb übernimmt der Lotse Eigenverantwortung und Autonomie zur Gefahrenbewältigung. Bei akuter Gefahr, z. B. zwei Flugzeuge befinden sich auf Kollisionskurs, ist der*die Lots*in völlig frei in seinen Entscheidungen mit dem Ziel, die Kollision zu verhindern. Die entwickelte Bürokratie setzt ihre Stärken dort ein, wo sie effektiv werden und hält aber auch andere Strukturen und Prozesse für Nicht-Routine-Situationen bereit. Diese lassen sich aus den drei anderen Organisationsmodellen ableiten.

Woran man eine Bürokratieorganisation erkennt
Bürokratien pflegen eine genau geregelte Etikette. Das äußert sich nicht nur in klar definierten Kommunikationsstrukturen sondern auch in der Bekleidung, den Umgangsformen und sogar bei den Büroausstattungen. Oft verfügen Bürokratien über eigene Möbelausstattungsklassen: in manchen Organisation lässt sich die Bedeutung einer Person an den Fensterachsen messen. Titelhierarchie, Status und die Dauer der Zugehörigkeit sind Charakteristika einer Bürokratie. Bürokratien geben klare Orientierung, sowohl für den*die Mitarbeiter*in als auch für den*die Kund*in. Beide werden geführt durch klare Entscheidungsstrukturen und formalisierte Regelkomplexe. Man weiß, woran man ist, man hat das Gefühl jeder weiß, was er*sie zu tun hat und wie er es zu tun hat. Bürokratien wecken Vertrauen und vermitteln Kompetenz, wie zum Beispiel gut geführte Fluglinien, welchen man sich als Passagier*in mit gutem Gewissen anvertrauen kann. Bürokratien stehen für Regelmäßigkeit, sie erwecken den Anschein als könnten sie ewig leben. Sie haben eine Vorliebe für Dokumentation und Akten und sind in der Lage, nach einer Unterbrechung und einer außerplanmäßigen Störung sofort wieder zu ihrem vertrauten Routinemodus zurückzukehren. Beispiele für Bürokratieorganisationen sind Fabriken mit Massenproduktion, öffentliche Verwaltungsorganisationen, die eine hohe Anzahl an Routinefällen zu bearbeiten haben, Fast-Food-Ketten, aber auch Flughäfen und –linien, Kernkraftwerke sowie meist auch Versicherungen und Banken.

Die Stärken und Schwächen der Bürokratieorganisation
Wenn ein Sturm aufzieht, sind Bürokratien meist nicht die ersten Organisationen, die zusammenbrechen. Sie sind in ihren Strukturen in der Regel nicht flexibel, aber stark. In einem Sturm sind sie wie Pyramiden: Diese laufen nicht weg, passen sich in ihrer Form nicht an und haben mit dieser Strategie schon viele Stürme überlebt. Gefährlich wird es für die Pyramide erst, wenn sich versteckte Risiken in ihr befinden: morsches Gebälk, verdeckte Finanzlöcher, usw. In diesem Fall deckt die Krise diese Schwächen auf und kann zu einer existenziellen Bedrohung für die Pyramide werden. Die Bürokratie ist eine entwickelte Organisation. Sie ist in ihrer Struktur nicht schnell aus der Ruhe zu bringen. Dazu bedarf es vielmehr nicht krisenadäquater Führungsentscheidungen. Neuartige Situationen werden für Bürokratien erst zum Problem, wenn sie zu nachhaltigen Änderungen des Umfeldes führen, die Anpassungen und Neuentwicklungen erfordern. In diesem Fall wird die Schwäche der geringen Anpassungsfähigkeit bedrohlich. Achtsamkeit – das Gegenteil von Aktionismus – ist eine Stärke der Bürokratie, weil Bürokratien von Natur aus vorsichtig sind. Auch Besonnenheit – das Gegenteil von Beschleunigung – zählt grundsätzlich zu den Stärken der Bürokratie. In Krisen sind Bürokratien gut beraten, ihre Stärke der Achtsamkeit und Besonnenheit weiter zu betonen. Bürokratien haben mehr als andere Organisationen einen Hang zur Regression in überkommene Kulturmuster. Bürokratien sind einerseits gekennzeichnet von gegenseitiger Loyalität zwischen Mitarbeiter*innen und Organisation. Dies ermöglicht diesen Organisationen eine gute Ausgangssituation hinsichtlich des Commitments. Bürokratien besitzen aber andererseits auch eine Tradition der Kontrolle und des Misstrauens. Das in Kontrollprozessen jahrelang angesammelte Wissen über die Mitarbeiter*innen ist auch geeignet als Munition gegenüber den eigenen Leuten. Damit lässt sich eben dieses Commitment auch rasch und wirkungsvoll zerstören.

Typ 2: Adhocratische Struktur

Adhocratien sind in mehrfacher Hinsicht gegensätzlich zu den Bürokratien. Es sind flüchtige, aber sehr flexible Sozialsysteme. Sie sind in hohem Maß personenabhängig und wenig strukturiert. Wenige handlungsmächtige Strukturen und große Freiheitsgrade für das (Anders-)Handeln der Personen kennzeichnen diese Organisationen. Daraus bezieht sie ihre Stärke, die Innovationskraft. Damit begibt sich die Adhocratie aber auch als soziales System an den Rand des Abgrunds: Je weiter sie die Handlungsautonomie ihrer Mitglieder zulässt, umso schwächer werden die Systemstrukturen, umso weniger lernt sie als Organisation. Sie leistet im Erfinden neuer Lösungen. Genau betrachtet leisten dies aber nicht die Strukturen, sondern die handelnden Personen. Die offenen Strukturen ermöglichen lediglich den Erfindergeist der Menschen und Teams, die darin tätig sind. In Adhocratien passiert also viel individuelles und wenig organisationales Lernen. So bleiben Adhocratien vielerorts lose strukturierte und sehr fragile Ansammlungen von Individuen, die sich schwer tun, organisationales Lernen zu generieren, obwohl sie in operativen Themen sehr beweglich und lernfähig sein können. Darin liegt aber auch die Crux adhocratischer Strukturen: Wie kann es gelingen, personale Lernprozesse zu organisationalisieren? Wie kann die adhocratische Organisation als solche lernen? Wie können beispielsweise die Einsichten aus einem Lernraum [1] , aber auch Projekterfahrungen in die Strukturen und Prozesse der Organisation Eingang finden? In lernenden Organisationen geht es um das Entdecken neuer Spiele statt um das Spielen der bestehenden. Sie bedienen sich der Mitglieder mit ihren Mustern, Ideen, Potenzialen, Wünschen und Ängsten. Im Gegenzug sind sie in der Lage, ihren Akteur*innen aber die Erfahrung höherer Lernebenen als jene, die sie als Personen erreichen könnten, zu ermöglichen. Die Entwicklung einer Adhocratie zu einer lernenden Organisation hängt von der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Personen ab.

Woran man eine Adhocratieorganisation erkennt
Adhocratien sind wie erwähnt gegensätzlich zu Bürokratien. Adhocratien verzichten auf Statussymbole und klare Strukturen. Sie sind gekennzeichnet durch Durcheinander und Unklarheit. Wer auf eine Adhocratie trifft, der spürt das Engagement der Mitarbeiter*innen, erkennt aber nicht genau, nach welchem Plan sie agieren und wie die einzelnen Handlungen zusammenspielen. Das Büro einer Adhocratie sieht ein bisschen aus wie eine Garagenwerkstatt. Es ist typischerweise eng, man hat einander gut im Auge, die Wege sind kurz und eine soziale Differenzierung ist kaum erkennbar. Auf den ersten Blick weiß man nicht, wer hier Chef*in ist und wie die Hierarchien geregelt sind – wenn sie es überhaupt sind. Es herrscht ein zwangloser und legerer Umgang. Individualismus wird großgeschrieben. Die Adhocratie ist eine unkomplizierte Organisation für hochkomplizierte und komplexe Problemstellungen.

Die Stärken und Schwächen einer Adhocratieorganisation
Wenn ein Sturm aufzieht, dann ist die Adhocratie wie ein junger Baum der sich hin und her biegt aber nicht bricht. Der Baum kann den Sturm überstehen, weil er flexibel genug ist, sich im Sturm flach zu machen und anzupassen. Wenn aber der Sturm zu stark ist und nicht mehr zu Ende geht, dann bricht auch der junge Baum oder wird ausgerissen. Im Gegensatz zu den bürokratischen „Pyramiden“ sind die Adhocratien aber strukturell nicht sehr stabil. Die Stärke der Adhocratie ist vielmehr ihre jugendliche Dynamik und Anpassungsfähigkeit. Sie ist grundsätzlich flexibel, sie ist dynamisch, sie ist aufgeschlossen, also das Gegenstück zur Innovationsfeindlichkeit. Sie neigt auch nicht zur Regression in starke überkommene Kulturmuster, weil sie über solche kaum verfügt. Sie verwendet wenig Ressourcen und Energie für sich selbst, weil sie den Großteil ihrer Energie dem Erfinden von Problemlösungen zuführt. Adhocratien sind von Natur aus aktionistisch und neigen zu Beschleunigung. Sie sind es gewohnt, auf Zuruf zu funktionieren und auftretende Probleme rasch zu lösen. Dies kann in einer Krise zu überstürzten Entscheidungen mit verhängnisvollen Folgen führen. Commitment – das Gegenteil von Aggression – ist eine Stärke der Adhocratie. Sie ist nicht durch definierte Prozesse und Kontrollschleifen gekennzeichnet. Stattdessen funktioniert sie hauptsächlich über Vertrauen. Die persönliche Beziehung steht im Vordergrund. In schwierigen Situationen müssen Adhocratien versuchen, ihre Stärken zu bewahren.

Typ 3: Die Projektstruktur

Die Projektstruktur hat im Gegensatz zur Bürokratie unscharfe Grenzen. Die Mitgliedschaft zu dieser Struktur ist meist unklar. Die fließenden Außengrenzen sind durch klare Formalstrukturen (z. B. Aufgabenfestlegungen) und ein identitätsstiftendes Werte- und Normengefüge „dicht“ zu machen. „Damit ein System seine Existenz sichern und überleben kann, muss es wissen, wer dazu gehört und wer nicht.“ [2] Dieses Problem haben die Projektstrukturen mit den Adhocratien gemeinsam. Der Schlüsselerfolgsfaktor ist die gemeinsame Identität, die Projektkultur, der Spirit, der imstande ist, das temporäre Sozialsystem der Projektstruktur von der Umwelt abzugrenzen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen dieser Strukturen. Demnach ist die skizzierte Grundproblematik auch unterschiedlich ausgeprägt. Die Linien-Projektstruktur (auch „reine Projektstruktur“ genannt) ist zusätzlich gekennzeichnet von Regeln und Prozeduren. Diese Form, in der die Mitarbeiter*innen meist zeitlich und räumlich konzentriert mitwirken und die Leitung volle Entscheidungskompetenz besitzt, kommt in ihrer Charakteristik eher der Bürokratie nahe. Man trifft diese Form der Projektstrukturen z. B. in der Forschung und Entwicklung. Die Stabs-Projektstruktur (auch „Einfluss-Projektstruktur“ genannt“) dagegen ist von besonders unscharfen Grenzen und einer besonderen Fragilität, aber auch einer besonderen Flexibilität gekennzeichnet. Diese Struktur hat gegenüber den entscheidenden Strukturen beratenden Charakter. Die Funktionen werden „nebenamtlich“ von betroffenen Mitgliedern und Expert*innen besetzt, die die Projektaufgaben neben ihrer angestammten Aufgabe übernehmen. Die Leitung besitzt lediglich Koordinationsfunktion, verfügt aber nicht in vollem Umfang über die Personalressourcen. Dadurch ist die Struktur fragil. Sie ist von der Stärke der Auftraggeberbeziehung und von der Autorität der Projektverantwortlichen (z. B. Organisationsentwickler*innen) abhängig. Umwelt des Stabsprojektes ist zuerst die Stammorganisation. Nichtsdestotrotz gibt es auch Organisationen, die weitgehend aus Stabs-Projekten bestehen wie zum Beispiel große Unternehmensberatungen.

Woran man eine Projektstruktur erkennt
Projektorganisationen nehmen in einem unterschiedlichen Verhältnis sowohl Elemente der Bürokratie, als auch der Adhocratie in sich auf. Einerseits sind sie technokratisch und von klaren Regeln durchzogen, andererseits sind sie durch eine Vertrauenskultur und einer starken Abhängigkeit von individuellen Kompetenzen gekennzeichnet. Der Grundproblematik der Projektorganisation liegt darin, das Unplanbare planbar machen zu sollen. Man erkennt sie daher auch an Planungsinstrumenten wie Charts, Tafeln, Zeitreihen und Terminplänen. Ihre Kommunikation ist formalisiert richtet sich aber an viele wie zum Beispiel durch einen regelmäßigen Newsletter oder ein schwarzes Brett.

Die Stärken und Schwächen der Projektstruktur
Wenn ein Sturm aufzieht, dann ist die Projektstruktur wie eine Yacht. Ein*e gute*r Kapitän*in, der achtsam und besonnen reagiert, kann auch in einer Krisensituation einiges retten, vorausgesetzt er*sie war auf solche Situationen gut vorbereitet und hat die richtige Ausrüstung mitgenommen. Er*sie rafft die Segel, räumt alles unter Deck, was nicht niet- und nagelfest ist und macht die Luken dicht. Die Projektstruktur ist in einer Krise nicht von vornherein verloren. Ihre Gefahr ist, dass sie nur in einem begrenzten Korridor, den sie nicht verlassen kann, flexibel ist. Eine Yacht ist stets an das Meer gebunden. Eine ihrer potenziellen Stärken ist die stark entwickelte Kultur. Projektorganisationen wurden bereits durch klare Regeln und Prozesse zusammengestellt. Das verschafft ihnen eine gute Ausgangsituation. Sie neigen nicht zu Aktionismus und gehen in der Vorbereitung achtsam und besonnen vor. Gefährlich ist ihre Neigung zu einem „optimalen Weg“, den sie in der Vorbereitung festlegen und dann in der Umsetzung möglichst schnell durchfahren wollen. Dies kann sie unflexibel machen und unterscheidet Projektstrukturen auch grundsätzlich von Expeditionsorganisationen: Eine Expedition braucht immer mehrere mögliche Wege und darf sich nicht lediglich auf einen festlegen. In der Umsetzung mangelt es Projektorganisationen oft an Achtsamkeit und Besonnenheit, sie können aktionistisch werden und neigen mit dem häufigen Hintergrund einer Terminfrist zu Beschleunigung. In der Planungsphase sind Projektstrukturen sehr kreativ und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen. In der Umsetzungsphase hingegen neigen sie zu innovationsfeindlichem Verhalten und lehnen aus Termintreue Neues oft ab, ganz besonders, wenn es von außen kommt. Eine Projektstruktur hat starke Teams, das Commitment ist hoch und eine Kultur des Vertrauens prägt die Organisation.

Exkurs: Die Expeditionsmetapher
„Expedition“ heißt, als Erste*r einen Weg zu gehen. Eine erfolgreiche Expedition braucht fünf Komponenten:

  • Eine Person mit einer Idee, die Andere begeistert: Das Resultat muss sich nicht mit der ursprünglichen Idee decken. Es kann bei Expeditionen vorkommen, dass man Amerika entdeckt hat, während man sich in Indien wähnt. Diese Qualität der inhaltlichen Offenheit der Ziele ist ein wesentlicher Grundsatz der Expeditionsperspektive, der demzufolge auch den drei gegenständlichen Expeditionsräumen gemeinsam ist. Der Expeditionsleader gibt Sicherheit und Vertrauen. Er begrenzt Räume und ermöglicht dadurch die rekursive Bildung von Regeln anstatt sie vorzugeben.
  • Bestimmte Ressourcen, die von einem*einer Mentor*in bereitgestellt werden: Der*die Mentor*in muss an die Idee glauben, um die erforderlichen Ressourcen bereit zu stellen.
  • Eine Vielfalt an Fach- und Managementkompetenz: Eine gute Vorbereitung reduziert die Gefahren des Scheiterns und erschließt alternative Handlungsräume statt sie einzuschränken.
  • Verantwortliche Mitspieler*innen, die sich loyal zur Idee und motiviert einsetzen: Expeditionen brauchen erfahrene und kompetente Mitspieler*innen (z. B. Navigator*innen). Diese Handlungsträger*innen tragen nicht nur mit ihrer Fachkompetenz zum Erfolg bei, sondern ermöglichen durch ihre Systemkompetenz auch Anschlussfähigkeit an bestehende soziale Strukturen. Eine längerfristige, qualifikationsorientierte Personalpolitik ist eine gute Voraussetzung für Organisationslernen. Nachwuchsförderung ist Zukunftssicherung (z. B. Schiffsjungen, Lehrlinge). Diese Handlungsträger sichern den Zufluss neuer Gedanken und Irritationen.
  • Glück: Expeditionen behalten aber auch stets eine hohe Risikokomponente in Bezug auf die Zielerreichung. [3]

„Eine Expedition ist eine zeitlich begrenzte Reise, die von mehreren Menschen zur Wahrnehmung einer komplexen Aufgabenstellung mit einer bestimmten Zielsetzung durchgeführt wird. Dabei betritt das Expeditionsteam ein ihm in wenigstens einem Aspekt unbekanntes Gebiet. In ihrem Verlauf ist die Expedition verschiedenen sich ändernden Umwelteinflüssen und schwer kalkulierbaren Risiken ausgesetzt. Das Expeditionsteam versucht sich dabei stets einen größtmöglichen Handlungsspielraum zu erhalten. Hinsichtlich der Gesamtheit aller Faktoren, die eine Expedition ausmachen, ist jede Expedition für sich genommen einzigartig.“ [4]

Typ 4: Die Expeditionale Struktur

Die Metapher der Expedition zeigt die Ambivalenz von Innovation und Bewährtem besonders deutlich. Eine Expedition ist dem Ziel nach aufs Unbekannte gerichtet. Die Zielerreichung hängt jedoch maßgeblich von der Nutzung des Bewährten ab. Expeditionale Strukturen sind daher durch ein Sowohl-als-auch gekennzeichnet. Sie integrieren adhocratische und bürokratische Elemente.

Keine Expedition findet ohne Idee, Vision statt. Keine erfolgreiche Expedition findet ohne Planung statt.
Expedition ist definiert als ein Weg, den noch niemand beschritten hat. Expedition braucht die Minimierung des Neuartigen (z. B. durch den Einsatz bewährter Technologien).
Expedition braucht Innovation und Mut. Expedition braucht Erfahrung und Loyalität.
Freiheit Disziplin
Persönliche Nähe im Team Klare Kommandostrukturen

Eine Expeditionsstruktur hält zumindest zwei modi vivandi vor: einen eher bürokratisch charakterisierten Routinebetrieb und einen eher adhocratischen Betrieb im Ausnahmefall. Wenn also organisationales Lernen, Kreativität, Ändern im Vordergrund steht, agieren die Personen innovativ in das System hinein, denn nur durch ihr verändertes Systemhandeln können neue Strukturen, also Organisationsveränderungen entstehen. Wenn dagegen verlässliche Durchführung, Sicherheit und Präzision im Vordergrund stehen, rücken die Personen wieder in den Hintergrund ab, lassen der selbststabilisierenden Struktur den Vorrang und führen das Vorgegebene aus. Die Grenze des Systems zu ihrer „inneren Umwelt“ ist also gewissermaßen perforiert. Strukturell bildet sich dieses Sowohl-als-auch in den sternförmigen Strukturen teilautonomer Teams mit einem eindeutigen Entscheidungszentrum ab. Die Größe der Teams ist bei 8 +- 2 Personen nach oben limitiert.
Der Routinebetrieb liefert aber auch die Voraussetzungen für das Funktionieren im Ausnahmefall: gezieltes Training von Ausnahmesituationen, Reflexionsfähigkeit und – besonders wichtig – das Einander Kennen und Vertrauen. Durch die praktizierte Partizipation an Entscheidungsprozessen im Nicht-Krisenfall schafft man jenes Know how und jene Vertrauensbasis, die im Krisenfall nötig ist, die Qualität und Akzeptanz rascher und hierarchischer Entscheidungen sicherstellt.


Woran man eine expeditionale Organisation erkennt
Wer eine Expeditionsorganisation betritt, erkennt sofort ein klares Entscheidungszentrum. Man erkennt auch, wer Chef*in ist. Man sieht, worauf sich die Schlüsselpersonen spezialisiert haben und womit sie sich aufeinandersetzen: man sieht (im übertragenen Sinne) den*die Navigator*in, den*die Arzt*Ärztin, den*die Forscher*in und man erkennt die Mannschaft. Expeditionsorganisationen haben klare soziale Strukturen die auch für Außenstehende erkennbar sind. Auch Außenstehende können beobachten, wer zum Leitungsteam und wer zu den operativen Teams gehört. Die Mitglieder sind robust und funktional gekleidet. Überhaupt ist Funktionalität das vorherrschende Element in einer Expedition. „Gut ist, was unserem Vorankommen und unserer Sicherheit nützt“ so die Auffassung der Leute. Trotz der Funktionalität ist aber auch Platz für Persönliches. Bilder, Maskottchen, Glücksbringer oder Tagebücher, auch Bücherecken ohne Fachliteratur sind weiche Faktoren, die aber dann doch wieder funktional genützt werden: Sie werden gebraucht, weil das Leben einer Expeditionsorganisation hart ist. Soziale Veranstaltungen sind ein fixer Bestandteil. Eine expeditionale Organisation versteht es auch, Erfolge zu feiern. Dadurch entsteht der im Ernstfall nötige soziale Zusammenhalt. Expeditionsorganisationen erkennt man auch an ihren Planungshilfsmitteln, Karten und Navigationsinstrumenten. Expeditionen sorgen durch klare Kommunikation dafür, dass ihre Ergebnisse und der aktuelle Stand ihres Fortschritts für alle sichtbar sind. Eine Balanced Scorecard passt daher gut zu einer Expeditionsorganisation. Expeditionale Strukturen sind Vertrauenskulturen: Man kennt einander meist bereits lange und gut, Loyalität und Verantwortungsgefühl sind stark ausgeprägt. Es herrscht der Geist der Musketiere: Einer für alle – Alle für einen.


Die Stärken und Schwächen der expeditionalen Struktur
Wenn ein Sturm aufzieht, dann hat die Expeditionsorganisation bereits damit gerechnet. Sie überlebt weder durch Festigkeit noch durch Flexibilität. Sie überlebt, weil sie von ihrer Natur aus fürs Überleben ausgerichtet ist. Sie verhält sich wie Pinguine: Wenn Schneestürme mit über 150 Stundenkilometern über das Packeis fegen, dann drängen sich die Pinguine zu einem festen Knäuel zusammen, Körper an Körper wärmen sie sich gegenseitig. Dabei etablieren sie ein ausgeklügeltes Rotationssystem, nach dem die Pinguine am Rand regelmäßig von den Pinguinen in der Mitte abgelöst werden bevor diese abkühlen. Die Expeditionsorganisation neigt weder zu Regression, Aktionismus, Beschleunigung, Innovationsfeindlichkeit, Aggression, noch zu Tunnelblick. Ihre Stärken sind Kulturentwicklung, Achtsamkeit, Besonnenheit, Aufgeschlossenheit, Commitment und Fitness. Das Scheitern einer Expeditionsorganisation kann passieren, wenn sie ihre Vorteile nicht sorgfältig genug verfolgt hatte, weil sie beispielsweise zu wenig Achtsamkeit aufbringt und erhält, die Demut vor ihrem Auftrag und den Gefahren verliert und beginnt leichtsinnig zu werden. Die gescheiterten historischen Expeditionen machten in mindestens einem solchen Bereich entscheidende Fehler.


Expeditionsorganisationen in der Praxis
Klassische Beispiele für Expeditionsorganisationen in der Praxis sind neben historischen Expeditionen die Sondereinsatzkommanden der Polizei und des Militärs. Wer von Expeditionen lernen will, der kann von Organisationen lernen, die sich mit unvorhersehbaren Situationen beschäftigen wie Personenschutz in Bagdad, Geiselnahmen in der Sahara oder einer Terrorismusattacke in einer Großstadt. Sondereinsatzkommanden der Polizei und des Militärs sind expeditionale Strukturen nahezu in Reinkultur: Sie sind ständig mit dem Unbekannten beschäftigt und setzen dabei auf das Beherrschen des Bewährten. Sie legen starken Wert auf Funktionalität und das Verarbeiten von unsicheren oder nicht vorhandenen Informationen gehört zu ihrem Tagesgeschäft. Sogenannte Blaulichtorganisationen beispielsweise halten weitgehend reine expeditionale Strukturen vor. Im Wirtschaftsleben kommen Expeditionsorganisationen als solche selten vor. Sie existieren jedoch in vielen Organisationen temporär und partiell. Der Eintritt in einen neuen Markt und die Entwicklung eines neuen Produkts sind als Beispiele einer temporären und partiellen Expeditionsorganisation anzuführen. Risikokapitalinvestitionen oder Unternehmenssanierungen sind auch temporäre Expeditionsorganisationen. Bei beiden Beispielen betritt man Großteils Neuland. Dies trifft ebenso auf Joint Venture Zusammenschlüsse oder auf Unternehmensübernahmen zu. Ein Beispiel für das partielle Auftreten sind Innovationen im Bereich der Produkte und der Märkte. Als Grundsatz gilt: Je innovativer und je neuartiger die Innovation ist, desto stärker wird dieser Bereich der Organisation expeditionale Elemente entwickeln. Personal- und Organisationsentwicklungsabteilungen besitzen ebenso Merkmale der expeditionalen Organisation. Zusammengefasst sind die expeditionalen Strukturen jene, die besonders gut zum Entdecken geeignet sind. Das Paradebeispiel für expeditionale Strukturen in der Wirtschaft ist jedoch das Topmanagement, das sich mit strategischer Unternehmensführung auseinandersetzt. Die Gestaltung der Zukunft des Unternehmens ist stets eine Expedition. Und je unsicherer die Zukunft, desto wichtiger werden die Stärken der expeditionalen Strukturen. Ein Beispiel sind die sogenannten „Blauen Ozeane“. Das sind neuartige Produkt-Markt-Kombinationen wie es sie in jeder Branche von Zeit zu Zeit gibt bzw. durch deren Aufkommen überhaupt neue Branchen entstehen. Das Aufspüren solcher historischer Chancen, das Neuerfinden bestehender Produkte sind vergleichbar mit dem Entdecken neuer, ferner Länder. Ein anderes Beispiel dafür sind auftretende Krisen. Eine schwere Krise zu überstehen lässt sich mit einer Expedition zum Südpol vergleichen: Die Umweltbedingungen und die Anforderungen an die Organisation sind ähnlich. Expeditionsstrukturen, die ja gemacht sind, um Krisen zu überstehen, haben eine bessere Überlebenschance. Dies soll nun nicht heißen, eine Bürokratie müsse zu einer Expeditionsorganisation werden, um eine Krisensituation zu überstehen – ganz im Gegenteil! Dennoch kann man auch als Bürokratie von Expeditionen lernen und man kann expeditionale Elemente in die bürokratische Kultur einführen. Der wichtigste Aspekt des Imperativs „von Expeditionen lernen“ liegt aber darin, zu sehen, wie es einer Expeditionsorganisation gelingt, rabiates Verhalten zu vermeiden.

Aufgabe 9

Das ist die letzte und letztlich auch eine der schwierigsten Aufgaben, denn es ist notwendig, in eine noch unbekannte Zukunft zu blicken. Es wäre denkbar, dass wir in einer krisengeschüttelten Zeit vermehrt Ansätze wie den der expeditionalen Struktur brauchen. Es kann sogar sein, dass nur oder am ehesten diejenigen Firmen überleben, die so einen Ansatz beherrschen, als Gesamtorganisation oder zumindest als Teil.
Versuchen Sie folgende Aufgabe zu lösen:
Sie sind CEO (oder ein*e andere*r sehr wichtige*r Mitarbeiter*in , dessen*deren Funktion mit drei Buchstaben abgekürzt wird) und müssen das hier vorliegende Modell umsetzen. Wofür würde sich das am ehesten eignen, etwa in der Firma, in der Sie gerade sind? Welche Kraft hätte das? Wo müsste mit Widerstand gerechnet werden? Wenn das nicht funktioniert, nehmen Sie sich eine fiktive Firma und versuchen Sie, auf Expedition zu gehen. Wenn auch diese Frage zu schwierig ist, dann horchen Sie in sich hinein: Was löst dieser Ansatz bei Ihnen aus? Wären Sie der „Typ“ für so etwas? Was ist daran reizvoll und was stößt Sie eher ab? Wo würden Sie sich dem gewachsen fühlen und wo wären Sie „eher nicht der richtige Mann oder die richtige Frau?“ Und nun zur schwierigsten Frage: Welche Art der Krise müsste eintreten, damit genau diese Form der Organisationsstruktur notwendig wird?

  1. Brunnmayr-Grüneis 2006
  2. Pacher 2006, S. 130
  3. Heimerl et al. 2006
  4. Mack 2000, S. 49 f.; Mack 2001