Welche Herausforderungen virtueller Teams gibt es?
Virtuelle Teams lösen viele Probleme, schaffen aber auch neue. Damit wir ein möglich realistisches Bild von Remote-Teams erhalten, schauen wir uns an dieser Stelle nun die möglichen Schattenseiten dieser Arbeitsweise an. Wichtig ist vorab zu wissen, dass virtuelle Teams sehr stark von den Individuen, ihren Vorlieben und eigenen Präferenzen abhängig sind.
Problem des gegenseitigen Wissens und der sozialen Präsenz
Das Problem des gegenseitigen Wissens (auch '"'Mutual Knowledge Problem") genannt, ist ein natürlicher, aber schädlicher Aspekt der Remote-Arbeit, bei dem Menschen die notwendigen Informationen für eine umfassende Ausrichtung fehlen. Barrieren wie Entfernung, Kultur, Sprache und die Abhängigkeit von rein digitalen Werkzeugen tragen zu diesem Problem bei. Als Ergebnis könnten Remote-MitarbeiterInnen die Situation nicht vollständig verstehen und möglicherweise ungleichmäßig informiert oder voreingenommen sein. Dies führt zu einer reduzierten gemeinsamen Basis, die Missverständnisse und Hindernisse für eine produktive Zusammenarbeit schaffen kann.
Das Problem der sozialen Präsenz ergibt sich aus dem Ausmaß, in dem bestimmte digitale Werkzeuge uns ermöglichen, soziale Hinweise zu übermitteln, die das Gefühl der zwischenmenschlichen Nähe fördern und die psychologische Distanz oder das Gefühl der geistigen oder emotionalen Verbindung zwischen SprecherInnen beeinflussen.
Takeaway
- Es ist wichtig sicherzustellen, dass Remote-Teams eine gemeinsame Basis haben, einschließlich Annahmen, Erwartungen und dem individuellen Kontext jedes Einzelnen.
- Virtuelle Arbeit unterscheidet sich von der Zusammenarbeit vor Ort, und wir können sie nicht als identisch behandeln.
- Soziale Präsenz dient dazu, die Distanz zu überbrücken, die wir von unseren KollegInnen empfinden.
Herausforderungen und Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität
Drohende Einsamkeit und soziale Isolation
Das Spiel am Kickertisch, Klatsch und Tratsch über Kolleg*innen, das gemeinsame Feierabendbier - vorbei! Virtuelle Teams können sich auf den ersten Blick als totale, soziale Isolation entpuppen.
Die Folgen davon können verheerend sein. Mediziner*innen und Psycholog*innen zufolge haben einsame Personen wesentlich häufiger einen hohen Blutdruck, kämpfen mit einem schwächeren Immunsystem und leiden häufiger unter Schlafstörungen. Möglicherweise verringert Einsamkeit sogar die Hirnaktivität - auch das sind alles andere als "Good News" für virtuelle Teams.
Doch, und das ist nun die gute Nachricht in all den Horrorszenarien, soziale Isolation ist im Homeoffice kein unvermeidbares Naturgesetz. Immerhin können sich Remote-Arbeitende auch nach Feierabend mit Freund*innen in der Kneipe, zum Sport oder ins Kino verabreden und haben oftmals Familienmitgliedern, die ein ähnliches Arbeitskonzept verfolgen und mit denen sie ihre Pausen gemeinsam verbringen können.
Frage des Typs und Selbstmanagements
Für das Arbeiten in virtuellen Teams bzw. von anderen Orten aus ist in der Regel ein hohes Maß an Selbstdisziplin erforderlich. Es fehlt zunächst der gewohnte, äußere Rahmen, den wir mit dem Arbeiten verbinden. Oftmals ist das jedoch gar nicht die größte Hürde, vielmehr gibt es den inneren Schweinehund zu besiegen und die Pause auf dem sonnigen Balkon nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
Für diesen Aspekt ist es wichtig zu wissen, dass es zweierlei Typen von Menschen gibt. Einmal gibt es diejenigen, die Stille zu schätzen wissen und sich nach ihr sehnen. Sie bleiben lieber für sich, arbeiten alleine viel konzentrierter und schaffen in vier, was andere in acht Stunden schaffen. Und dann gibt es diejenigen, die immer etwas Hektik und ein Grundrauschen in der Nähe brauchen, um sich zu motivieren und produktiv zu sein. Es ist vor allem die Energie um sie herum, die ihre Leistungsfähigkeit beflügelt. Je nachdem, zu welchem Typ man sich selbst zählt, ist Homeoffice der ideale Arbeitsplatz (oder eben nicht).
Stockender Informationsfluss
- Die sozialen Kontakte zu Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und Führungskräften verringern sich.
- Keine Teilnahme an der informellen Kommunikation im Unternehmen.
- Es gibt weniger bis gar keine Kommunikation mit Kolleg*innen.
- Mitarbeiter*innen nehmen an der Entwicklung des Unternehmens nicht oder nur in eingeschränktem Maße teil, weil sie nicht vor Ort im Unternehmen sind.
Fehlende Anerkennung aufgrund der "Unsicherheit"
Dieser Faktor ist auf den ersten Blick für den einen oder anderen zunächst wenig einleuchtend, und dennoch kann er einer amerikanischen Studie zufolge einen sehr großen Unterschied machen: Wer nicht physisch anwesend ist, hat es schwerer, dem Chef zu imponieren und Lob oder Anerkennung für seine geleistete Arbeit zu erhalten.
Stanford-Wissenschaftler*innen haben diese Vermutung vor einigen Monaten mit einer spannenden Studie untermauert. Heimarbeiter*innen bekommen ihnen zufolge viel seltener Gehaltserhöhungen und werden weniger befördert als Büroarbeiter*innen - und das, obwohl ihre Leistungen oft nachweisbar besser sind.Erhöhtes Arbeitspensum
- Mitarbeiter*innen neigen dazu, sich selbst auszubeuten. Es kommt zur Überarbeitung.
- Mitarbeiter*innen können mit der Zeit Beruf und Freizeit kaum mehr trennen und arbeiten auch an sonst arbeitsfreien Tagen, wie Wochenenden oder Feiertagen.
- Manche Mitarbeiter*innen arbeiten trotz Krankheit.
- Der Pflegeurlaub für Kinder bzw. Familienangehörige wird nicht in Anspruch genommen, weil man ja sowieso zu Hause ist.
Erhöhtes Konfliktpotenzial
Jede*r kennt es von privaten Gesprächen in WhatsApp- oder Facebook-Gruppen. Eine salopp formulierte Nachricht oder ein langes Schweigen an einer ungünstigen Stelle können sich schnell negativ auf die Kommunikation auswirken. Dieser Aspekt birgt gewiss ein bestimmtes Risikopotenzial, das bei persönlichen Gesprächen zunächst wegfällt. Vielleicht antwortet die*der Kolleg*in gerade an einem heiklen Diskussionspunkt nicht, da sein Telefon klingelt. An dieser Stelle jedoch zu vermuten, dass sie*er ihren Vorschlag unpassend findet und sich deshalb nicht mehr meldet, klingt zunächst übertrieben, ist jedoch gelebte Praxis in den meisten digital Kommunikationsformen.
Ein solches Missverständnis kann wie folgt entstehen:
Mitarbeiter*in 1: "Leider geht sich das Fertigstellen der Präsentation heute nicht mehr aus."
Mitarbeiter*in 2: "Wieso denn nicht? Du hattest doch den ganzen Tag dafür Zeit."
Mitarbeiter*in 1: "Es kam den ganzen Tag etwas dazwischen."
Mitarbeiter*in 2: reagiert nicht
Mitarbeiter*in 1: "Eigentlich wollte ich nur nach einer neuen Deadline fragen, geht das?"
Mitarbeiter*in 2: "Was kam denn dazwischen? Und wieso meldest du dich erst jetzt?"
Mitarbeiter*in 1: "Dies, das, Ananas. Wenn ich mich jedes Mal melden sollte, wenn etwas dazwischenkommt, bin ich nur mehr auf Slack."
Mitarbeiter*in 2: "Das sollten wir meiner Meinung nach einmal mit unserem Chef besprechen."
Mitarbeiter*in 1: schweigt
Mitarbeiter*in 2: schweigt
In diesem Gespräch lauert mehr als nur eine Stelle, die ein erhöhtes Konfliktpotenzial birgt. Obwohl keiner der beiden Mitarbeiter*innen böse mit dem anderen meint, können sich beide missverstanden und unfair behandelt fühlen - eine Schattenseite, die jedoch auch im Büro bei schriftlicher Kommunikation durchaus so passieren kann. Diese Problematik ist demnach nicht spezifisch mit dem Homeoffice verbunden. Die Chance beim Remote-Arbeiten öfter in solch eine "schriftliche Konfliktfalle" zu tappen ist jedoch gewiss größer.
Weitere Probleme
Alles, was bei traditionellen Teams schiefgehen kann, setzt auch virtuellen Teams zu. Zusätzlich müssen sich virtuelle Teams den folgenden Herausforderungen stellen:- Bewusstsein für die spezielle Situation virtueller Teams
Virtuelle Teams werden versagen, wenn es an Bewusstsein fehlt, dass es Unterschiede zur Zusammenarbeit in traditionellen Arbeitsformen gibt. Diesem Umstand muss sich jedes Teammitglied in seinem Verhalten anpassen. Mitglieder in virtuellen Teams benötigen neben Fachkompetenz und Medienkompetenz auch Telekooperationskompetenz. - Teamgröße
Die optimale Teamgröße ist von mehreren Faktoren abhängig. Einerseits muss das Team groß genug sein, um die gestellten Aufgaben und Teamrollen zu besetzen, andererseits steigt der Abstimmungsaufwand bei steigender Teamgröße proportional.
Synchrone Kommunikation – der soziale Kitt aller Teams – wird erschwert, wenn ein Team eine bestimmte Mitgliederanzahl überschreitet.
Sechs bis acht Teammitglieder scheinen optimal, bei umfangreichen Projekten ist die Aufgabenverteilung an Subteams sinnvoll. Synchrone Kommunikation und die Abstimmung finden dann sinnvollerweise nur mehr zwischen den Subteamsprecher_innen oder Subteamsleiter_innen statt. - Aufwand für Teamsynchronisierung
Je weiter Menschen physisch voneinander entfernt sind, desto mehr Zeit müssen sie einsetzen um sich abzustimmen, um ihre Aufgaben gemeinsam erledigen zu können. Das Zeitfenster für synchrone Tätigkeiten ist umso kleiner, je mehr Zeitzonen überwunden werden müssen und es reduziert sich gegen Null, wenn sich die Betroffenen an gegenüberliegenden Orten auf dem Globus befinden. Andererseits wird es damit auch möglich, die "Betreuungszeit" von Projekten und Aufgaben auf 24 Stunden pro Tag zu erweitern. - TrittbrettfahrerInnen
In der Realität finden sich leider nicht immer die „besten Köpfe“ in virtuellen Teams. Teammitglieder werden von Vorgesetzten „zwangsnominiert“, die Teilnahme an Projekten erfolgt aus Prestigegründen oder ohne Bereitstellung der nötigen Ressourcen. Und plötzlich finden sich in einem virtuellen Team von sechs Personen, nur zwei „Arbeiter_innen“, die anderen sind „Trittbrettfahrer_innen“. Natürlich kann diese Situation auch in herkömmlichen Teams auftreten, aber sozialer Druck und Kontrolle sind dort weitaus höher. - Kulturelle Unterschiede und Sprachprobleme
Die große Chance der virtuellen Teamarbeit – organisations- und länderübergreifend arbeiten zu können ist gleichzeitig auch oft ein massiver Stolperstein. Teams, die sich diese Unterschiede bewusstmachen und auch offen diskutieren, haben die Chance voneinander zu lernen. Internationale virtuelle Teams müssen sich sich auf eine gemeinsame Arbeitssprache einigen. Bei großen Projekten können manchmal nicht alle Teilnehmer_innen ohne Hilfe von Dolmetscher_innen miteinander kommunizieren. Je mehr Arbeitssprachen das Team hat, umso komplizierter – und beim nötigen Einsatz von Dolmetscher*innen teurer - werden Beschlussfassungen und Austausch.
- Die Arbeit der Mitarbeiter*innen kann nicht laufend überprüft werden.
- Corporate Identity ist schwieriger zu vermitteln, wenn die Arbeitnehmer*innen nicht im Betrieb sind.
- Datenverlust durch defekte Hardware oder mangelhafte Bedienung der IT-Systeme.
- Datenklau bei den Mitarbeiter*innen.
- Arbeitsplatz zu Hause ist eventuell nicht in gleichem Maße ausgestattet wie der Arbeitsplatz im Unternehmen